| |
Veröffentlicht am 28­.12.2009

Edward Schillebeeckx – in Memoriam





Am Abend des 23.12.2009 ist Edward Schillebeeckx OP in Nijmegen verstorben. E. Schillebeeckx, geboren am 12. November 1914 in Antwerpen, seit 1934 Mitglied des Dominikanerordens und einer der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts, 1957-1982 Theologieprofessor an der theologischen Fakultät Nijmegen, hat eine der interessantesten Epochen der katholischen Kirche miterlebt, mitgestaltet und miterlitten. Er studiert Philosophie (1935), dann Theologie (1939), 1943 tritt er in Löwen als Theologiedozent seine erste Stelle an; es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Karriere. Von Anfang an interessiert ihn das Verhältnis von Glaube, zeitgenössischer Kultur und menschlicher Existenz. Zugleich zeigt er sich beeinflusst von den neuen, aus Frankreich kommenden Impulsen der nouvelle théologie. Er präsentiert die katholischen Glaubenswahrheiten nicht als starres System, sondern als die lebensnahe Interpretation eines lebendigen Glaubens an den lebendigen Gott. Seine erste größere Arbeit über die Sakramente (1952) wird mit großem Enthusiasmus aufgenommen. 1955 folgt ein Buch über Maria, 1959 in zweiter Version ein Werk über Christus, das in mehrere Sprachen übersetzt wird: Christus, Sakrament der Gottbegegnung (1960). Inzwischen ist Schillebeeckx ein anerkannter Publizist und vielgefragter Sprecher.

1957 erhält Schillebeeckx einen Ruf an die theologische Fakultät der Katholischen Universität Nijmegen. Für die niederländische Kirche bedeutet dies einen enormen Gewinn. Mit seiner Sensibilität für kulturelle und gesellschaftliche Fragen steht er damals noch allein; zugleich eröffnet er der katholischen Theologie der Niederlande einen Anschluss an die internationale katholische Diskussion.

Im Januar 1959 kündigt Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil an. Es ist die Stunde von Schillebeeckx; dieses Ereignis wird maßgeblich sein ganzes Leben, Denken und Handeln bestimmen. Mit großer Intensität engagiert er sich an dessen Vorbereitungen und wird für die niederländischen Bischöfe zum wichtigsten Berater. Ihr Hirtenbrief über das Konzil (1960), den vor allem E. Schillebeeckx verfasste, erregt internationales Aufsehen. Während der gesamten Konzilszeit (1962-1965) hält er in Rom Vorträge für Fachleute, Bischöfe und Bischofskonferenzen. Er tritt im niederländischen Fernsehen auf und macht die niederländische Kirche international bekannt.

Schon bald zeigt sich, welche ungeheure Dynamik von diesem Konzil ausgeht. Für die Kirche kündigt sich eine Ära der Erneuerung an, aber schon in den 1960er Jahren beginnen die Enttäuschungen. Doch Schillebeeckx lässt sich auf seinem Weg nicht beirren. Er kümmert sich um die Menschen mit ihrer „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst” und immer nachdrücklicher fragt er nach dem Sinn des Leidens und der Leidenden, wie dies die spätere Befreiungstheologie mit großem Nachdruck bespricht. Schillebeeckx wird diese Thematik, die er oft unter dem Stichwort der „Kontrasterfahrung” bespricht, nie aufgeben. Er geht ihr bis in ihre tiefsten hermeneutischen und wissenschaftstheoreitschen Aspekte nach.

Zugleich setzt sich Schillebeeckx für eine Theologie ein, die von einem breiten Publikum verstanden wird. Schon 1960 ergreift er die Initiative zur Gründung der Tijdschrift voor Theologie, die die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Fragen aufgreifen soll. 1965 gründet er zusammen mit anderen prominenten Konzilstheologen (Y. Congar, H. Küng und K. Rahner) die Internationale Zeitschrift Concilium, die in sieben Sprachen die Erneuerung der Kirche vorantreiben soll. Beide Zeitschriften bestehen noch immer. In der Periode nach dem Konzil arbeitet er, wie er selbst schreibt, „mit fieberhaftem Druck” an den drängenden Fragen weiter. Es geht um ein neues Verhältnis der Kirche zur Welt, um die Fragen einer voranschreitenden Säkularisierung, sowie um die ideologischen, kulturellen und ökonomischen Veränderungen von Glaube und Theologie. In zahllosen Artikeln geht er diesen Fragen nacht. Er geht äußerst kritisch ans Werk, aber nie sperrt er sich gegen diese Entwicklungen und konsequent führt er das theologische Denken an eine neue Denkwelt heran.

Bahnbrechend sind neben grundlegenden Artikeln zur Hermeneutik seine großen Studien über Jesus und dessen Bedeutung: Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden (1974) und Christus und die Christen. Die Geschichte einer neuen Lebenspraxis (1977). Diese Bücher haben – nur wenig anderen vergleichbar - für unser gläubiges Sprechen eine neue Grundlage gelegt. Dabei arbeitet Schillebeeckx nicht nur als Systematiker, sondern auch als Exeget. Es gelingt ihm, sich vorurteilslos und sachkundig auf die exegetische Debatte seiner Zeit einzulassen und sie – zusammen mit der zeitgenössischen kirchen- und dogmengeschichtlichen Debatte - für eine christlich gläubige Sicht von Welt, Geschichte und Menschen, von Heil, Erlösung und Befreiung fruchtbar zu machen. Auf dieser Grundlage vertieft er sich in verschiedene Formen der Gesellschaftstheorie, insbesondere in die Neue Polistische Theologie und die später aufkommende latein-amerikanische Befreiungstheologie. Mit großer Sympathie verfolgt er bis weit in die 1990er Jahre hinein die Entwicklung kontextueller Theologien in Afrika und in asiatischen Ländern.

Vor diesem Hintergrund setzt sich Schillebeeckx weiterhin auch intensiv mit den innerkirchlichen Entwicklungen auseinander, die nach dem Konzil stagnieren und der katholischen Kirche – wie man zu Recht sagte – einen kalten Winter bescheren. 1980 und 1985 schreibt er aufsehenerregende Bücher über das kirchliche Amt: Das kirchliche Amt (1981) und Christliche Identität und kirchliches Amt. Plädoyer für den Menschen in der Kirche (1985). Leider zeigt die Kirchenleitung für diese wichtigen und außerordentlich konstruktiven Beiträge keinerlei Verständnis Dreimal rufen ihn die Vatikanischen Instanzen zur Rechenschaft. Offiziell verurteilt wird er nie, dafür ist die Beweislage seiner Gegner zu schwach. Aber bis zum Ende wird sein gesamtes Werk in eine Atmosphäre des Misstrauens und unhaltbarer Verdächtigungen gerückt. Eine neue Generation niederländischer Bischöfe übernimmt schließlich kritiklos diese Haltung. Die tiefsten kirchlichen Intentionen Schillebeeckx’ werden so verkannt, aber ein tiefes Gottvertrauen und seine zutiefst dominikanische Spiritualität lassen ihn in dieser Konfrontation nie bitter werden.

Auch nach seiner Emeritierung (1983) bleibt Schillebeeckx theologisch aktiv. 1989 erscheint das Buch Menschen. Die Geschichte von Gott (1990), mit dem er seine Trilogie über Jesus, Gnade und Gott vollendet. Für viele ist dies sein eindringlichstes Buch. Im Jahr 2000 erscheint zu diesem Thema ein letzter Artikel. Dabei wendet er sich noch einmal seinen tiefsten spirituellen Quellen zu, die er stets in der Liturgie, in der Predigt und bei der Feier der Eucharistie findet. Deshalb sind die vielen kleineren Publikationen über spirituelle Themen, seine Predigten und Erwägungen zur aktuellen Bedeutung des christlichen Glaubens nicht zu vergessen. Schillebeeckx bleibt immer ein zutiefst gläubiger und ein zufriedener Mensch. Kennzeichnend sind für ihn zwei Buchtitel: Gott ist jeden Tag neu (1994) und (in deutscher Übersetzung): „Ich bin ein glücklicher Theologe“ (1994).

Auf inhaltlicher und auf methodischer Ebene werden die vielen Impulse von Schillebeeckx’ Theologie ihren Einfluss behalten. Ich nenne sechs Punkte:

    (1) Die Entdeckung Jesu von Nazareth als einem erneuernden Impuls für Lehre und Verkündigung. Auf offizieller Ebene wird dieser Impuls noch immer behindert; er wird aber umso wichtiger, je mehr die Weitergabe des Glaubens zum Problem wird.

    (2) Die Erschließung biblischer Texte, insbesondere des Neuen Testaments, für Glaube und Spiritualität. Die beiden Jesusbücher werden noch eine langfristige Wirkung entfalten.

    (3) Die ausdrückliche Einführung der Hermeneutik in die katholische systematische Theologie als Gegengift gegen eine jede Form eines starren und rationalistischen Dogmatismus. In seiner „kritisch erweiterten Hermeneutik“ hat Schillebeeckx diesen Ansatz wirksam gegen einen ideologisch konservativen Missbrauch abgesichert.

    (4) Die intensive Aufmerksamkeit für die Leidenden und Marginalisierten, dies als Grundoption einer jeden christlichen Theologie auch in der westlichen Gesellschaft.

    (5) Die prinzipielle Offenheit des theologischen Denkens für Welt und Gesellschaft, die bei Schillebeeckx in der Losung „außerhalb der Welt kein Heil“ ihren Höhepunkt findet.

    (6) Schließlich der Appell an die Theologie zur interdisziplinären und interreligiösen Zusammenarbeit, der bei Schillebeeckx schon früh zu entdecken ist.

Edward Schillebeeckx war immer davon überzeugt: Auch für die katholische Kirche wird ein neuer Frühling anbrechen. Leider konnte er ihn nicht mehr erleben. Aber in seinem Werk hat uns dieser immer freundliche und wohlwollende Theologe ein reiches und unerschöpfliches Werk hinterlassen. Wir können ihm dafür nicht genug danken. Am 31. Dezember, dem letzten Tag dieses Jahres, wird er zu Grabe getragen. Seine Engel mögen ihn ins Paradies begleiten.

28. Dezember 2009
Hermann Häring

Zuletzt geändert am 26­.01.2010