16.12.2013 - www.freiewelt.net
»Für einen kompromisslosen Reformkurs«
Mit Christian Weisner von der Laienorganisation Wir sind Kirche sprach FreieWelt.net über die Hoffnungen, die das aktuelle Papstschreiben »Evangelii Gaudium« geweckt hat.
FreieWelt.net: Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie dem Papstschreiben »Evangelii Gaudium« entnehmen?
Christian Weisner: Das Apostolische Schreiben, eine Art »Regierungsprogramm« von Franziskus, ist so umfangreich, da fällt mir die Auswahl schwer. Das Wichtigste ist wohl die Grundbotschaft: Wir sollen Zeichen der Hoffnung sein und nicht in einen sterilen Pessimismus verfallen. Das erinnert mich auch sehr an die Botschaft von Papst Johannes XXIII. bei der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, dessen 50. Jahrestag wir derzeit begehen.
FreieWelt.net: Bei der Wahl Bergoglios zum Papst haben Sie die Hoffnung geäußert, sein Pontifikat werde sich als Wendepunkt in der Geschichte der katholischen Kirche erweisen. Ist Franziskus‘ Schreiben ein Zeichen, das Ihre Hoffnung nährt, oder müssen Sie noch etwas warten?
Christian Weisner: Der eigentliche Wendepunkt war der sehr zu respektierende, aber wohl notwendige Rücktritt von Papst Benedikt. Dieser Rücktritt hat das Papsttum schon verändert. Mit der erstmaligen Wahl eines Kardinals aus der Kirche Lateinamerikas kommen jetzt ganz neue Erfahrungen aus der Kirchenbasis in Rom zum Tragen, nämlich aus dem größten katholischen Kontinent. Franziskus scheint ein Mann mit sehr viel Lebenserfahrung zu sein, auch in schwierigen Situationen. Das alleine macht schon Hoffnung. Die Beschlüsse der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen 1968 in Medellin, 1979 in Puebla und zuletzt 2007 in Aparecida, wo Franziskus als Kardinal entscheidend mitwirkte, liegen sehr auf der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das macht große Hoffungen, dass die im Konzil festgelegten Reformschritte jetzt auch gegangen werden.
FreieWelt.net: Sagt Franziskus wirklich etwas Neues oder ist es bloß ein neuer Stil, in dem er Altes wiederholt?
Christian Weisner: Ich denke, es ist beides. Franziskus lenkt den Blick auf die konkrete Nachfolge von Jesus in der Verkündigung eines barmherzigen Gottes und im Einsatz für das Reich Gottes hier auf Erden. Faszinierend finde ich aber auch, wie prägnant er Sprachbilder formuliert, die schnell zum geflügelten Wort wurden, zum Beispiel dass die Hirten den Geruch der Schafe annehmen sollten.
FreieWelt.net: Sie loben Franziskus für seinen bescheidenen Lebensstil und sein bescheidenes, freundliches, unkonventionelles Auftreten. Aber das sind doch eigentlich nur Äußerlichkeiten, oder?
Christian Weisner: Nein. Im persönlichen Leben ist Papst Benedikt wohl auch bescheiden. Aber Franziskus hat ganz bewusst auf Zeichen der Macht wie die roten Schuhe, das Tragen der Mozetta und das Wohnen im Apostolischen Palast verzichtet. In unserer Kirche, die so viel Wert auf Zeichen legt, ist dieser Machtverzicht ein entscheidender realer Wandel. Die Einberufung des ständigen Beratergremiums der acht Kardinäle aus aller Welt zum Beispiel ist ein konkretes Zeichen der Kollegialität.
FreieWelt.net: Immer wieder fragen sich Experten, ob Franziskus in der Tradition Benedikts steht oder nicht. Wie lesen Sie in bezug auf diese Frage seine Enzyklika?
Christian Weisner: Wie Benedikt sieht auch Franziskus die Evangelisierung, die Verkündigung der Frohen Botschaft von Jesus Christus als die zentrale Aufgabe der Kirche. Aber sein Verständnis des Verhältnisses von »Welt« und »Kirche« ist ein anderes, und dementsprechend auch der von ihm gewollte Weg der Evangelisierung. Franziskus sagt erstmal Ja zur Welt und zu den Menschen, so wie sie sind. Und will ihnen helfen, wo sie allein gelassen sind. Während es Benedikt vor allem um die Reinheit der Lehre, um die Dogmatik geht, ist das zentrale Leitmotiv von Franziskus wohl die Barmherzigkeit Gottes, in der Verkündigung und vor allem im Handeln aller Christinnen und Christen.
FreieWelt.net: Inwieweit finden Sie von Wir sind Kirche sich in den Aussagen Franziskus‘ wieder?
Christian Weisner: Der von Franziskus berufene neue vatikanische Staatsekretär Pietro Parolin hat vor kurzem formuliert: »Die Kirche ist kein Ort, an dem es unterschiedliche Klassen von Personen gibt, etwa ›die da oben‹ und ›die da unten‹. Die Kirche ist eine Gemeinschaft, in der alle gleich sind, weil sie getauft sind.« Das entspricht genau der Communio-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, die auch das zentrale Anliegen der Kirchenvolksbewegung ist.
FreieWelt.net: Welche Themen hat Franziskus in seinem Schreiben nicht angesprochen – und sollte es in seiner nächsten nachholen?
Christian Weisner: »Evangelii Gaudium« enthält so viele konkrete Aussagen sowohl zur inneren Reform der Kirche als auch zu ihrer Aufgabe in der Welt – das ist ein Programm, das für Jahre, ja für Jahrzehnte reicht. Manche mag enttäuschen, dass Papst Franziskus unter Berufung auf Johannes Paul II. gesagt hat, die Tür zur Frauenordination sei noch geschlossen. Wir unterstützen einen kompromisslosen Reformkurs und helfen in dieser Frage gerne, den Schlüssel zu finden, um die Tür zu öffnen.
FreieWelt.net: Vielen Dank für das Interview.
Perma-Link: http://www.freiewelt.net/interview/fur-einen-kompromisslosen-reformkurs-10019265/
Zuletzt geändert am 16.12.2013