21.11.2014 - Mittelbayerische
Zu viele Privilegien der Kirche
Die Menschen in Deutschland verstehen nicht mehr, warum wiederverheiratete Ärzte oder Erzieher gekündigt werden können.
Die Kirche genießt wie auch Parteien oder Gewerkschaften im Arbeitsrecht den privilegierten Status eines sogenannten Tendenzbetriebs. Das ist sinnvoll, denn man kann ihr nicht zumuten, dass ein vom Glauben abgefallener Pfarrer oder eine zum Islam konvertierte Pastoralreferentin weiter im Liturgischen Dienst und in der Glaubensverkündigung für die römisch-katholische Kirche tätig sein sollen.
Jedoch wurde in den letzten Jahrzehnten dieses Prinzip von den Kirchen immer weiter auf alle ihre Arbeitsbereiche und auch auf die private Lebensführung etwa hinsichtlich sexueller Orientierung ausgedehnt – und der Staat hat sich das bislang gefallen lassen.
Das betrifft allein beim sozialen Dienst der Caritas in Deutschland mehr als eine halbe Million Beschäftigte. Ursprünglich hatte man vor allem Kleriker und Ordenspersonal im Blick. Immer mehr Menschen verstehen allerdings nicht, dass ein wiederverheirateter Erzieher oder eine Chefärztin, die in einem nach katholischer Sprechweise in einer „irregulären“ Beziehung lebt, allein aus diesem Grund gekündigt werden kann und auch das verdunkelt in gewisser Weise das Zeugnis der Kirche in der heutigen Zeit.
Das findet in Deutschland keinen Konsens mehr, denn der überwiegende Anteil dieser Beschäftigungsverhältnisse wird fast ausschließlich von der öffentlichen Hand bezahlt. So ist es üblich, dass zur kommunalen und staatlichen Grundfinanzierung von ca. 80 Prozent für eine Erzieherin in einem kirchlichen Kindergarten das nach den Elternbeiträgen noch verbleibende Defizite zusätzlich als freiwillige Leistung zum größten Teil und auf Jahrzehnte hinaus verpflichtend von der Kommune eingefordert und geleistet wird.
Um der vielen Menschen willen, die in kirchlichen Arbeitsverhältnissen stehen, ist es erforderlich, dass die Ausdehnung arbeitsrechtlicher Privilegien staatlicherseits zurückgebaut wird. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 20.11.2014 auf Grund der derzeit gültigen Gesetzeslage steht noch in der Tradition der bislang erfolgten Ausdehnungen, auch wenn es Grenzen hinsichtlich der Nicht-Gültigkeit für nach Gewinn strebende kirchliche Einrichtungen aufgezeigt hat. Das Urteil kommt jedoch für die Kirche zur Unzeit, da nach der Familiensynode man selbst schon bereit war, diese Engführung eines angeblich christlichen Zeugnisses abzubauen. Das Konzilsdokument „Gaudium et Spes“ (Die Kirche in der Welt von heute) 76 spricht ein klare Sprache: „Die Kirche wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern.“
Den deutschen Bischöfen sei zum Wohle der Kirche und der Menschen insgesamt anempfohlen, bereit zu sein, den entsprechenden Reformankündigungen durch den Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst und dem Trierer Bischof Stephan Ackermann zu folgen.
Letzterer hatte jüngst gefordert, dass „wiederverheiratete Geschiedene nicht mehr um ihren kirchlichen Arbeitsplatz bangen müssen.“
http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/artikel/zu-viele-privilegien-der-kirche/1153422/zu-viele-privilegien-der-kirche.html
Zuletzt geändert am 22.11.2014