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Veröffentlicht am 05­.12.2015

5.12.2015 - Die Welt

Papst Franziskus ist ein primitiver Antikapitalist

Der Hausherr im Vatikan ist ein Anhänger des korporativen Staates, Gegner des Liberalismus und Individualismus. Damit steht er in der für Südamerika verhängnisvollen Tradition des Peronismus.

Von Alan Posener Korrespondent für Politik und Gesellschaft

Papst Franziskus nennt sich selbst einen "Apostel der Hoffnung". Fragt sich nur, worauf er hofft; worauf wir mit ihm hoffen sollen. Um es gleich zu sagen: Wenn der Papst in der zentralafrikanischen Republik eine muslimische Enklave besucht, die von christlichen Terrorgruppen bedrängt wird, und mit dem Imam für den Frieden betet, dann ist das mutig und im wahrsten Sinn christlich.

So mancher hiesiger katholischer Dschihadist könnte sich ein Beispiel an seinem Papst nehmen.

Insbesondere in Deutschland und Österreich, wo eher linke katholische Basisorganisationen wie "Wir sind Kirche" den Anspruch erheben, das eigentliche Kirchenvolk zu sein, wird Franziskus in der Tat als Apostel der Hoffnung gesehen. Mit ihm werde die Kirche endlich zurückkehren zu den Prinzipien des Zweiten Vatikanischen Konzils, von dem sich Johannes Paul II. und vor allem Benedikt XVI. entfernt haben.

Da kann der unter einem negativen Konvertitensyndrom leidende Hubertus Mynarek in seiner "kritischen" Franziskus-Biografie noch so sehr beteuern, der neue Papst sei im Grunde der alte; das ist so offenkundig nicht der Fall, dass man sich fragt, was Mynarek reitet außer dem Ärger, dass der Papst immer noch katholisch ist.

Ein Gegner des Liberalismus

Das Problem mit dem Papst ist aber nicht, dass Franziskus nicht "progressiv" genug ist. Das Problem ist, dass der argentinische Papst einer spezifisch südamerikanischen, ja argentinischen Form "progressiver" Politik anhängt. Er ist im Kern Peronist; ein Anhänger des korporativen Staates, Gegner des Liberalismus und Individualismus – und vor allem der USA und ihrer Gesellschaftsordnung, die diese Werte verkörpert.

Deutlich wurde die Haltung des Papstes bereits bei seinem Besuch in Lateinamerika, wo er einen "neuen Kolonialismus" geißelte, aber kein Wort gegen die örtlichen Machthaber verlor. Franziskus kritisierte "die anonyme Macht des Götzen Geld", darunter "Körperschaften", vermutlich der Weltwährungsfonds, "Kreditvermittler" und "sogenannte Freihandelsabkommen"; er lobte das von ihm mitverfasste Dokument von Aparecida, in dem die lateinamerikanischen Bischöfe schrieben:

"Finanzinstitutionen und transnationale Konzerne entwickeln eine solche Macht, dass sie sich die jeweilige lokale Wirtschaft untertan machen, vor allem aber die Staaten schwächen, die kaum noch die Macht haben, Entwicklungsprojekte zugunsten ihrer Bevölkerungen voranzubringen."

Fatale Neigungen

Kein Wort verlor der Papst über die Korruption der lateinamerikanischen Eliten, die allgegenwärtige Kriminalität, die Ungerechtigkeit von Landlosigkeit auf der einen, riesigem Landbesitz auf der anderen Seite. Kein Wort darüber, dass die Kirche jahrhundertelang im Bunde war mit dem Großgrundbesitz und den korrupten Oligarchien.

Kein Wort über den Caudillismo, die fatale Neigung zum populistischen Diktator, von Perón über Castro bis Chávez. Die Wahrheit ist, dass nicht ominöse "Finanzinstitutionen" und "transnationale Konzerne" Lateinamerikas Rückständigkeit zu verantworten haben; die ist hausgemacht.

Nach dem Attentat von Paris wurde kolportiert, der Papst habe diesen Anschlag als Teil des "dritten Weltkriegs" bezeichnet. Manche voreiligen Kulturkrieger freuten sich schon, der Papst meine damit den Dschihad des radikalen Islam gegen den Westen. Weit gefehlt. Franziskus meint einen Krieg zwischen dem Bösen schlechthin und Gottes Plan für den Frieden auf der Welt.

Diesen Gedanken einer "Art dritten Weltkriegs, der stückweise geführt wird", entwickelte Franziskus in Sarajewo im Juni dieses Jahres. Es gäbe Kräfte, die "den Zusammenstoß zwischen verschiedenen Kulturen und Zivilisationen suchen, und die, die mit den Kriegen spekulieren, um Waffen zu verkaufen". Deshalb würden sie die Medien in ihrem Sinne manipulieren: Auch "bei der globalen Kommunikation nimmt man ein Klima des Krieges wahr".

Kräfte des "Imperialismus"

Wer jene Kräfte sind, hat der Papst kürzlich in einem auf der Website von Radio Vatikan veröffentlichten Interview klargestellt, als er auf den "internationalen Imperialismus des Geldes" verwies, den sein Vorgänger Pius XI. in der Enzyklika "Quadragesimo anno" gegeißelt habe. Pius habe nicht übertrieben, manche seiner Aussagen hätten sich erst jetzt bewahrheitet.

Dazu muss man wissen, dass Pius in "Quadragesimo anno" den "Götzen des Liberalismus" kritisierte und ausdrücklich den faschistischen Staat Mussolinis lobte: "Schon eine flüchtige Überlegung lässt die Vorteile erkennen: friedliche Zusammenarbeit der Klassen, Zurückdrängung der sozialistischen Organisationen und Bestrebungen, regelnder Einfluss eines eigenen Behördenapparats." (Auch der Feudalismus kam nach Pius "der rechten Vernunftordnung einigermaßen nahe". Er sei aber "an einer falschen Freiheitsidee" zugrunde gegangen.)

Die von Pius beschriebene "despotische Wirtschaftsdiktatur ... derjenigen, die den Kredit und das Verleihen von Geld kontrollieren" – die "Zinsknechtschaft", wie es die Nazis kurz und bündig nannten – war damals wie heute ein Codewort für das internationale Judentum, dem auch damals vorgeworfen wurde, die Völker im eigenen Interesse gegeneinander zu hetzen.

Es hat schon ein – wie sagt man? – Geschmäckle, wenn der Papst ausgerechnet in Sarajewo vom dritten Weltkrieg sprach. Wurde doch Bosniens mehrheitlich muslimische Hauptstadt jahrelang von christlichen Serben eingeschlossen, die von den Hügeln herunter auf alles schossen, was sich in den Straßen bewegte.

Statt auf das Versagen der Kirchen hinzuweisen; statt zu erwähnen, dass erst der bewaffnete Einsatz der Nato die Furcht beendete und den Frieden brachte, raunte der Papst vom dritten Weltkrieg und seinen internationalen Hintermännern. Ein Raunen, das man in der Moskauer Propaganda ebenso hören kann wie überall auf dem Balkan, besonders aber in Serbien und in der Republika Srpska, dem serbischen Teil Bosniens: Hinter dem Krieg damals in Bosnien hätten die Amerikaner gestanden; und hinter den Amerikanern stehen – "natürlich" – die Rothschilds.

Der Katholik Xavier Naidoo lässt grüßen: "Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel./ Der Schmock ist'n Fuchs und ihr seid nur Trottel."

Franziskus steht mit seinem primitiven Antikapitalismus in einer unseligen römischen Tradition. Die katholische Linke, die ihre Hoffnung auf den argentinischen Papst setzt, läuft Gefahr, auf diese Weise selbst von korporatistischen, antidemokratischen Ideologemen infiziert zu werden.

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article149618333/Papst-Franziskus-ist-ein-primitiver-Antikapitalist.html

Zuletzt geändert am 09­.12.2015