| |
Veröffentlicht am 08­.01.2016

Christ & Welt 50/2015

Was sagt die Kirche zum Sex?

Liebe kann nicht Sünde sein, glauben die meisten Katholiken. Zusammenleben ohne Trauschein, zweite Ehe, homosexuelle Lebensgemeinschaften, das geht für sie in Ordnung. Der Passauer Bischof Stefan Oster nimmt das nicht hin. Wer Gott begegnet, liebt anders, sagt er. Sexualität gehöre in die Ehe. Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, wünscht sich dagegen Reformen. Ein Streitgespräch moderiert VON CHRISTIANE FLORIN

> zum Artikel

> Leserbrief von Prof. Dr. Norbert Scholl
> Offener Brief von Magnus Lux
> Leserbrief von Christian Lauer






Leserbrief von Prof. Dr. Norbert Scholl

Bischof Oster und die Unkenntnis

Die Äußerungen von Bischof Oster verraten eine in vieler Hinsicht erstaunliche Unkenntnis.

Er wehrt sich gegen eine Segnung homosexueller Paare. Denn „Benedicere, segnen, bedeutet gutheißen. Findet das im Rahmen einer liturgischen Feier statt, wird es ausdrücklich gewürdigt. Das wäre eine Umkehrung der Lehre in diesem Punkt. Was bisher verneint wurde, würde nun bejaht.“ Oster weiß offenbar nicht, dass bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) das römische Pontifikale (ein liturgisches Buch mit Anleitungen und Texten für Rituale, die von einem Bischof durchgeführt werden) außer der „Ritterweihe” je ein Formular zur Segnung von Waffen, des Schwertes und einer Kriegsfahne enthielt. Das Zweite Vatikanische Konzil forderte dazu auf, eine „absolute“ Ächtung jeglichen Krieges anzustreben (GS 82). Seitdem ist im römischen Pontifikale kein Formular für die Segnung (= Gutheißung) von Waffen mehr enthalten. Das bedeutet „eine Umkehrung der Lehre in diesem Punkt“. Noch immer aber werden Motorräder, Kräuter und Kleintiere gesegnet, nur bei Homosexuellen soll das nach Bischof Oster nicht möglich sein.

Oster lehnt eine „Umkehrung der Lehre“ in Bezug auf die Segnung homosexueller Paare ab. „Was bisher verneint wurde, würde nun bejaht.“ Eine „Umkehrung der Lehre“ ist aber in der Kirche schon öfter geschehen:

  • Bei Papst Gregor XVI. (1831-1846) flossen Meinungs- und Gewissensfreiheit aus der „modrigen Quelle der Gleichgültigkeit“, sie waren eine „törichte und falsche Ansicht, die man besser als Wahnsinn bezeichnet.“ Das Zweite Vatikanische Konzil spricht dagegen von der „Würde des sittlichen Gewissens“ (GS 5) und vom „Recht auf Meinungsfreiheit“ (GS 73).
  • Beim Kirchenlehrer Petrus Daminani (+1072) waren die Juden „Christusmörder“, bei Papst Johannes Paul II. hingegen „unsere älteren Brüder“. Papst Innozenz III. schrieb 1205 über die Juden: Sie „sind zu ewiger Sklaverei verurteilt, da sie den Herrn gekreuzigt haben.“ Das Zweite Vatikanische Konzil sah sie dagegen „noch immer von Gott geliebt“ (Nostra Aetate 4).
  • Die katholische Kirche lehnte bis ins 19. Jahrhundert jedes Recht auf Religionsfreiheit strikt ab mit der „Begründung“: Rechte kommen nur der Wahrheit zu, und die besitzt nur die allein wahre Kirche Jesu Christi, die katholische Kirche. „Was nicht der Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht, hat objektiv kein Recht auf Dasein, Propaganda und Aktion." (Papst Pius XII. 1953). Das Zweite Vatikanische Konzil hingegen hat nur 10 Jahre später eine eigene „Erklärung über die Religionsfreiheit“ verabschiedet. Darin wird feierlich erklärt, dass „die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat,… dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln“ (Art. 2).
  • Auf dem Zweiten Laterankonzil (1139) wurde das Verbot festgelegt, auf verliehenes Geld Zinsen zu verlangen. Papst Innozenz III. (1215) und das Konzil von Vienne (1311) bestätigten das Verbot. Noch 1745 wandte sich Papst Benedikt XIV. entschieden gegen den Zins: „Jeder Gewinn, der die geliehene Summe übersteigt, ist deshalb unerlaubt“ (Vix pervenit § 3,I). Dagegen wurde von Papst Pius VIII. das Zinsverbot am 18.8.1830 aufgehoben.
Noch gravierender ist die Unkenntnis des Bischofs über die neuere Exegese.
  • Oster sagt: Jesus „vermehrt Brot und läuft übers Wasser.“ Gemäß heutiger Exegese ist „der historische Hintergrund der Geschichte nur sehr schwer auszumachen. […"> Vermutlich reflektiert sie ein besonderes Ereignis, das eine große Volksmenge miteinbezog“ (J. Gnilka, HthKNT I/2, 9). Jesus ist auch nicht „übers Wasser“ gelaufen. Es handelt sich hier um eine um das Motiv vom Glauben und Zweifel der Jünger erweiterte Epiphaniegeschichte (A. Weiser, Was die Bibel Wunder nennt, 1975, 112).
  • Bischof Oster zitiert: „Die Jünger fragen ihn doch: Wenn wir uns nicht mehr scheiden lassen dürfen, warum sollen wir dann überhaupt heiraten?“ und „Als Jesus gefragt wird, warum Mose Scheidebriefe erlaubt hat, sagt er: Er hat das nur wegen eurer Hartherzigkeit getan. Die Menschen sind hartherzig, das führt laut Jesus zur Scheidung.“ Die Exegeten sind sich heute einig, dass Jesus hier kein Gesetz aufstellen will. Er will die Zuhörer aufrütteln und provozieren. Allerdings: „Die rechtssatzähnliche Qualifizierung jeder Scheidung und jeder Heirat von Geschiedenen als Ehebruch kann eine gefährliche Verallgemeinerung werden und läuft Gefahr, den konkreten Menschen zu übersehen“ (U. Luz, EKK I/3, 102). Jesus sieht das Gesetz des Mose „als Ausdruck des lebensfördernden Liebeswillens Gottes… Für Jesus ist Gottes Gesetz eine Provokation menschlicher Freiheit, eine Herausforderung der Freiheit der Liebe.“ Das Jesuswort „ist nicht die Promulgation eines neuen Gesetzes, sondern ein eindringlicher Ruf zu freier Treue“ (R. Pesch, Freie Treue, Freiburg 1971, 15 f.)
  • Merkwürdigerweise zitiert Bischof Oster nicht die nur vom Evangelisten Matthäus 19.9 überlieferte „Unzuchtsklausel“: „Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus“ (Mt 5,32). Anders als beim provozierenden strikten Verbot jeglicher Ehescheidung gilt in der Gemeinde des Matthäus, ca. 60 Jahre nach dem Tod Jesu, Ehebruch als Entschuldigungsgrund für eine Scheidung. „Im Fall von porneía (=Unzucht ) ist die Ehe zerstört oder nicht mehr bindend; eine zweite Heirat ist möglich.“ (Th. Söding, In favorem Dei, in: Graulich/Seidmaier (Hg.), Zwischen Jesu Wort und Norm, Freiburg 2014, 63).
  • Bischof Oster erwähnt nicht das so genannte Privilegium Paulinum (1 Kor 7, 10-16): Wenn eine verheiratete Frau zur christlichen Gemeinde konvertiert, ihr Mann diesen Schritt aber nicht billigt und sich von ihr scheiden will, gibt Paulus in eigener Verantwortung diesen Ratschlag: „(also der christliche Partner) ist in solchen Fällen nicht sklavisch gebunden.“ Das heißt: Er (der nicht-gläubige Partner) soll sich scheiden. Der Bruder oder die Schwester Er ist frei für eine Wiederheirat.
  • Auch vom so genannten „Privilegium Petrinum“ scheint Oster nichts zu wissen. Der Papst kann „zugunsten des Glaubens“ eine so genannte „Naturehe“ (nichtsakramentale Ehe zwischen zwei Ungetauften oder „halbchristliche“ Ehe zwischen einer/m Getauften und einem/r Ungetauften lösen.
  • Eigentlich müsste Bischof Oster wissen: Das Neue Testament zeigt gültige Ansatzpunkte für die Suche nach gangbaren Wegen, die die unbedingte Treue zum Gebot Jesus mit dem Sinn für das menschlich je Mögliche und pastoral Erforderliche verbinden. „Will man den Richtungssinn des Scheidungsverbots Jesu für die Gegenwart formulieren, muss von der Mitte und vom Ganzen des NT ausgegangen werden. Es ist nicht vertretbar, Schritte zur Linderung oder gar Lösung der Not eines einzelnen Menschen nicht zu wagen, um die grundsätzliche Kompromisslosigkeit der Treueforderung Jesu nicht zu gefährden. Jesus hätte demnach der Ehebrecherin auch nicht vergeben dürfen, sondern sie – zum Zeichen für die Ernsthaftigkeit seiner Weisung – der ihr zustehenden Strafe ausliefern müssen. Die Zuwendung zu jenen Menschen, die an der Vision Jesu scheitern, hat ebenfalls etwas Radikales und Provozierendes an sich, auch sie ereignet sich im Horizont der kommenden Herrschaft Gottes.“ (Th. Pfammatter, Geschiedene und nach Scheidung wiederverheiratete Menschen in der katholischen Kirche, Fribourg 2002, 232).
  • Bischof Oster sagt: „Der entscheidende Punkt ist für mich die Unauflöslichkeit der Ehe. Das ist unsere Lehre und ich sehe nicht, wie sich das ändern könnte.“ Er sollte eigentlich wissen: Im ersten Jahrtausend gab es keine für die Gültigkeit der Ehe (und die damit verbundene Unauflöslichkeit) verbindliche Form für die kirchliche Eheschließung. Der bürgerliche Eheabschluss und der kirchlich-liturgische Ehesegen standen unverbunden nebeneinander. Das Eherecht wurde durch die weltliche Gesellschaft geregelt, was auch Scheidungsmöglichkeiten einschloss. Das Konzil von Arles (314) schwankt zwischen einem „Verbot“ der Wiederverheiratung und einem „dringenden Rat“ dagegen. Eine Wiederheirat wird nicht verurteilt und schon gar nicht mit Sanktionen belegt (DH117).
  • Die Ostkirchen orientieren sich an der „Unzuchtklausel“ im Matthäusevangelium. Das kirchliche Handeln weicht in Ausnahmefällen von dem streng gesetzlichen Weg ab – um des Seelenheiles willen, in Nachahmung der Barmherzigkeit und der in Christus erschienenen Menschenfreundlichkeit Gottes, der die Verlorenen, Gefallenen, Gescheiterten nicht im Stich lässt, sondern ihnen aufhilft. Neben Ehebruch lassen die Ostkirchen auch andere „grobe Verfehlungen“ als Scheidungsgrund gelten. Es ist bemerkenswert, dass dieses Prinzip bis heute nie von einem Konzil oder einem Papst verurteilt wurde.

Bischof Oster hat offenbar vergessen, dass bereits 1972 der damalige Regensburger Dogmatikprofessor Joseph Ratzinger zu bedenken gegeben hatte: „Wo eine erste Ehe seit langem und in einer für beide Seiten irreparablen Weise zerbrochen ist; wo umgekehrt eine hernach eingegangene zweite Ehe sich über einen längeren Zeitraum hin als eine sittliche Realität bewährt hat und mit dem Geist des Glaubens, besonders auch in der Erziehung der Kinder, erfüllt worden ist […">, da sollte auf einem außergerichtlichen Weg auf das Zeugnis des Pfarrers und von Gemeindegliedern hin die Zulassung der in einer solchen zweiten Ehe Lebenden zur Kommunion gewährt werden. Eine solche Regelung scheint mir […"> von der Tradition her gedeckt“ (Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe. In: Henrich / Eid [Hg.">, Ehe und Ehescheidung. München 1972, 54). Wenn eine zweite Ehe „sich als eine sittliche Realität bewährt hat“ und „mit dem Geist des Glaubens … erfüllt worden ist“, darf man doch wohl annehmen, dass es sich dabei nicht um eine fortgesetzte schwere Sünde handeln kann, die vom Empfang der Kommunion ausschließt. Auch wenn Joseph Ratzinger 40 Jahre später als „Papa emeritus“ zu seinem eigenen früheren Argument (ohne Angabe von Gründen) nicht mehr stehen möchte, bleibt dieses Argument selbst so lange gültig und bedenkenswert, als es nicht widerlegt wird.

Kardinal Walter Kasper hat sich wiederholt für eine Zulassung von geschiedenen Wiederverheirateten zur Kommunion in Einzelfällen ausgesprochen. Eine „realistische Theologie der Ehe“ müsse das Scheitern ebenso wie die Möglichkeit der Vergebung bedenken“, schreibt er in einem Aufsatz, den die Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ veröffentlichte (StZ 7/2015, 435-445). Kasper plädiert in dem Beitrag dafür, den Betroffenen nach einem Prozess der Buße unter eng umrissenen Voraussetzungen die Möglichkeit zum Kommunionempfang zu geben. Dazu müssten „ein ehrliches Urteil des Betroffenen über seine persönliche Situation“ und ein positives Votum des Beichtvaters vorliegen. Die Aufsicht über den Prozess müsse beim Ortsbischof liegen. Hierbei gehe es nicht um Ausnahmen vom Recht, so Kasper, „sondern um eine angemessene und barmherzige Anwendung des Rechts.“ Jede einzelne Situation müsse „verständnisvoll, diskret und taktvoll“ geprüft werden. Es könne nur Einzellösungen geben, „keine allgemeine Lösung des Problems“, heißt es in dem Beitrag mit dem Titel: „Nochmals: Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten?“ Eine „solche Weiterentwicklung der kirchlichen Bußpraxis“ für wiederverheiratete Geschiedene wäre kein „Bruch mit der Lehre und der Praxis der Kirche“, schreibt Kasper offensichtlich mit Blick auf seine Kritiker. Eine „recht verstandene“ Hermeneutik der Kontinuität schließe „praktische Reformen und damit ein Moment der Diskontinuität nicht aus, sondern ein“ (KNA-Meldung vom 25.6.2015 [pkqmp-89-00143">).

Bischof Oster müsste gerade in dem von Papst Franziskus ausgerufenen „Jahr der Barmherzigkeit“ bedenken und berücksichtigen: Es geht nicht um eine Freigabe der Ehescheidung oder die Einführung einer sakramentalen Eheschließung für Homosexuelle, sondern um eine Möglichkeit, unter den heutigen gesellschaftlichen und pastoralen Umständen eine glaubwürdige Form zu finden, die Praxis Jesu auf betroffene Menschen hin auszudeuten und konkret werden zu lassen.

Norbert Scholl, Wilhelmsfeld




Offener Brief von Magnus Lux

Sehr geehrter Herr Bischof Oster,

Ihr Interview „Was sagt die Kirche zum Sex?“ in“ Christ und Welt“ 50/2015 hat mich sehr betroffen gemacht, und das in vielerlei Hinsicht. Lassen Sie mich das in ein paar Punkten begründen.

1. Es ist erstaunlich, mit welcher Unbedarftheit Sie mit biblischen Texten umgehen, so, als könnten wir sie wortwörtlich nehmen und sozusagen buchstäblich ins Heute übertragen. Sie fragen nicht nach einer Exegese, die die biblischen Texte in ihrer Zeitbezogenheit zu verstehen versucht, um sie so den Menschen heute nachvollziehbar und als Richtschnur für ihren Glauben annehmbar zu machen. Es ist eine Überheblichkeit, so zu tun, als sei das, was die Kirchenleitung heute sagt, von Jesus schon genau so gemeint gewesen. Ihre Schlussfolgerung „entweder Sex nur in der Ehe oder gar kein Sex“ entbehrt jeder biblischen Grundlage.

2. Es ist erstaunlich, mit welchen Scheuklappen Sie durchs Leben gehen, wenn Sie apodiktisch sagen: „Es geht doch gerade nicht um ein Glück ausschließlich in dieser Welt“ und damit das Glück in dieser Welt im Grunde geringachten. Sie sehen nicht, dass es auch ein „Leben vor dem Tod“ gibt. Nach Jesu Botschaft ist das Reich Gottes schon jetzt angebrochen, wird bruchstückhaft verwirklicht und eschatologisch vollendet. Die Suche danach, wie es dem Menschen gelingt, ein erfülltes Leben in seiner von Gott gegebenen Sexualität zu finden, als „romantische Liebe“ und „eine Art Ersatzreligion“ zu sehen, ist bezeichnend für das, was ich Scheuklappendenken nenne.

3. Es ist erstaunlich, mit welcher Unverfrorenheit sie „Kirche“ mit sich oder meinetwegen mit der gesamten Kirchenleitung gleichsetzen, wenn Sie sagen: „Die Kirche weiß durch die Offenbarung nicht nur tiefer, wer Gott ist; sie weiß auch, weil Gott Mensch geworden ist, tiefer, wer der Mensch ist und wohin der Mensch geht“ und in gleichem Atemzug abschätzig äußern, dass „hinter dem ZdK-Papier nicht die Weiterentwicklung der Lehre (steckt), sondern der Wunsch nach einer neuen Anthropologie.“ Es stehe nicht mehr auf dem Boden der Lehre. Sie nehmen damit den „sensus fidelium“ nicht ernst und pochen auf eine immer schon so da gewesene unabänderliche, weil „wahre“ Lehre. Wenn Sie in die Geschichte der Kirche schauen, müssen Sie sich eines anderen belehren lassen.

4. Es ist erstaunlich – oder nach den bisherigen Einlassungen eigentlich nicht mehr erstaunlich – wie Sie mit der „Unauflöslichkeit der Ehe“ umspringen. Sicher ist die Ehe in den „Bund Gottes mit den Menschen“ einbezogen. Gott nimmt seine Liebe nie zurück. Aber daraus schlusszufolgern, dass Menschen, die nach einer gescheiterten Ehe wieder geheiratet haben und eine neue ethische Verpflichtung, auch Kindern gegenüber, eingegangen sind, aus diesem „Bund Gottes mit den Menschen“ herausgefallen seien und deshalb nicht mehr zur Kommunion gehen dürften, ist eine Aufgeblasenheit der Kirchenleitung, die sich über die Menschen erhebt, die doch im „gemeinsamen Priestertum“ Verantwortung für den in unserer Welt gelebten Glauben haben. Wer gibt jemandem, der nicht in Situation der Ehe lebt, zölibatären Männern also, das Recht, anderen schwere Lasten aufzubürden, die sie selbst nicht zu tragen bereit sind? Nur Gott ist in seiner Liebe absolut, wir Menschen können uns dieser Liebe immer nur annähern. Sie statt eines Angebotes Gottes als ein unverbrüchliches Gesetz zu deklarieren, zeugt davon, dass Sie die Botschaft Jesu vom liebenden Gott zum Steinbruch für eine neue Gesetzesfrömmigkeit machen.

5. Es ist erstaunlich, wie Sie die Möglichkeit der Eheannullierung sehen: „Deshalb ist es auch wichtig, genau zu prüfen, ob eine sakramentale Ehe gültig zustande gekommen ist, ob diese Ehe wirklich von Gott verbunden wurde. Von Gott her gedacht ist die Ehe unauflöslich, nicht von uns her. Man kann ihn nicht so einfach daraus verabschieden.“ Ehe ist doch ein lebenslanger Prozess, nicht der einmalige Akt des Eheversprechens. Kein Wunder, wenn die „Eheannullierung“ in dieser Form von den Menschen als „Scheidung auf katholisch“ bezeichnet wird. Man kann nicht sein ganzes bisheriges Leben, man kann nicht seine Kinder „annullieren“. Andererseits: Wie kann eine Ehe „unauflöslich“ sein, wenn sie de facto nicht mehr existiert, wenn die Liebe einfach abhanden gekommen und nicht mehr erneuerbar ist, wenn die Beziehung also „tot“ ist, vielleicht gar durch ständige Gewalt der Partnerin oder den Kindern gegenüber? Was bleiben muss – und das wäre eine sinnvolle Deutung von „unauflöslich“ – ist die lebenslange Verantwortung für den Menschen, mit dem ich einmal in Liebe verbunden war, und vor allem die Verantwortung für gemeinsame Kinder.

6. Und schließlich ist es erstaunlich, mit welcher Arroganz Sie sich selbst in den Mittelpunkt stellen und zum alleinigen Maßstab machen, wenn Sie sagen: „Aber das, was ich jetzt vertrete, habe ich nicht erst als Bischof vertreten. Ich habe so etwas wie Bekehrung erlebt, schon lange. In volkskirchlichen Strukturen und womöglich auch in ZdK-Strukturen hat das Wort »Bekehrung«, das biblisch so wichtig ist, nach meiner Wahrnehmung kaum noch einen Klang. Verändert der Glaube mein Leben?“ Wollen Sie Menschen, die durch die Taufe neu geboren und in die Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche geführt worden sind, denen eine christliche Erziehung den Blick für das Wesentliche geöffnet hat und die durch ein bewusstes Ja dazu als Christinnen und Christen leben, absprechen, dass der Glaube ihr Leben verändert – verändert in dem Sinne, dass sie in ihrem Leben immer tiefer in ihn eindringen und ihn zum Maßstab für ihr Reden und Tun machen?

Sehr geehrter Herr Bischof Oster, von einem Bischof erwarte ich, dass er auf die Menschen in ihren jeweiligen Lebenssituationen zugeht und sie ernstnimmt, dass er also nicht schon von vornherein weiß, was richtig ist, nur weil er „von Amts wegen“ spricht. Wer die „Zeichen der Zeit“, von denen das Zweite Vatikanische Konzil spricht, als Bischof nicht sehen will, wer das „aggiornamento“ des Konzilspapstes Johannes XXIII. als billige „Anpassung an den Zeitgeist“ verunglimpft, der läuft Gefahr, dass er in den Augen der Menschen seine Legitimität als Bischof verliert.

Es ist meiner Meinung nach an der Zeit, dass die Bischöfe das „Jahr der Barmherzigkeit“ ernstnehmen und nicht ein starres Lehrgebäude mit dem Glauben verwechseln. Gott sei Dank gibt es schon viele Bischöfe, die sich das auf ihre Fahne geschrieben haben.

Mit geschwisterlichen Grüßen

Magnus Lux
Diplomtheologe
Schrotberg 105
97453 Schonungen

Dieser Brief geht auch an meinen Ortsbischof, Bischof Hofmann von Würzburg, an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Marx, an Ihren Interviewpartner ZdK-Generalsekretär Vesper sowie an „Christ und Welt“. Als „Offenen Brief“ mache ich ihn auch anderen Menschen zugänglich.






Leserbrief von Christian Lauer

Das Interview zwischen Stefan Oster und Stefan Vesper, moderiert von Christiane Florin, drängt es mich, Ihnen meine Eindrücke mitzuteilen.

Zum Einen war es m.E. kein Streitgespräch. Auch wenn die Positionen von ZdK und Oster weit auseinander zu liegen scheinen, finden sie in der Lehre der katholischen Kirche ihren Konsens und aus diesem Korsett kommt auch Stefan Vesper leider nicht heraus, im Gegenteil, es erschwert seine Argumentation. Oster zieht ohne große Anstrengung seine Sichtweise durch, Vesper muss für seinen Standpunkt kämpfen und darauf achten, von Oster nicht der Häresie bezichtigt zu werden.

Zum Anderen erstaunt es mich sehr, dass weder Stefan Vepser noch Christiane Florin kritisch auf die unsägliche Überheblichkeit Osters eingegangen sind, der zweimal allen Ernstes behauptet hat, er würde aus der Sicht Gottes argumentieren. Ist er Gott? Ist er Gott gleichgestellt? Wie kann er wissen, ob und wie Gott argumentieren würde? M.E. kann man es noch nicht mal durchgehen lassen, dass die katholiche Kirche auf Grund der widersprüchlichen "Offenbarungen" weiß was Gottes Wille ist. Jesus war da wesentlich behutsamer. Für ihn war Gott Liebe und Gottes Liebe zu den Menschen verpflichtet zur Liebe gegenüber Gott und gegenüber jedem Menschen ohne Ausnahme, bedingungslos. Man mag es drehen und wenden wie man will: Liebe trägt zum Wohlergehen bei, der Mangel an Liebe zum Gegenteil, dabei geht es keineswegs um eine Wohlfühlreligion oder etwas, was mit dem unsäglichen Ausdruck "Gutmenschentum" belegt wird.

Folgt man der jesuanischen Überzeugung, gibt es ein Gesetz und dieses Gesetz heißt "Liebe" ohne wenn und aber. Und wenn Jesus gekommen ist, das Gesetz zu erfüllen, dann dieses Gesetz der Liebe, das sich in dem Gebot ausdrückt "Du sollst Gott lieben aus Deinem ganzen Herzen und Deinen Nächsten wie Dich selbst". Ausschließlich gut ist, was dieses Gesetz der Liebe erfüllt, schlecht sind Handlungen, die dem Gebot der Liebe widersprechen. Man könnte auch sagen, das Gebot der Liebe ist das Fundament der Mesnchenrechte. In unserer menschlichen Unvollkommenheit gelingt es uns allerdings nicht, das Gesetz der Liebe vollkommen zu erfüllen, daraus entsteht Schuld.

Das gibt u.a. auch eine klare Unterscheidung zwischen Homo- und Bisexuell veranlagten Menschen und Pädophilen. Während die Liebe zwischen zwei Mensche, gleich welchen Geschlechts, dem Liebesgebot folgt, fügt der Pädophil veranlagte einem anderen, einem Kind, Schaden zu, dies widerspricht ganz eindeutig dem Gesetz der Liebe. Das zeigt auch klar, dass man Homo- und Bisexuell veranlagte nicht mit Pädophilen in einen Topf werfen darf, wie Oster das tut, um danach scheinheilig zu erklären, dies zu tun läge ihm fern.

Das gilt auch für die Ehe. Wenn in einer Ehe keine Liebe mehr herrscht, warum auch immer, dient die Beziehung nicht mehr dem Wohlergehen und verletzt das Gebot der Liebe. Die Ehe ist nicht unauflöslich, das Versprechen der Treue bis in den Tod, in guten und schlechten Zeiten ist eine ehrenhafte Absichtserklärung. Wer damit scheitert hat eindeutig eine zweite Chance verdient. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass sich vieles einfach daher sagen läßt, es ist allerdings, wenn man auf dem Weg ist, viel komplexer und dies wäre auch mit Respekt zu würdigen.

Am Anfang steht die bedingungslose Liebe, daraus folgt die Barmherzigkeit. Insofern ist m.E. Franziskus' Kurs grundsätzlich eine Wendung hin zum jesuanischen Lebensentwurf und Lebensweg.

Mit freundlichen Grüßen
Christian Lauer
Robert-Schumann-Str. 71
67304 Eisenberg

Zuletzt geändert am 09­.01.2016