Ökumene die wir meinen

Ökumenische Gemeinsamkeiten sind seit Jahren auf vielen Gebieten des kirchlichen Lebens gewachsen. Auf den Feldern der sozialen Arbeit, der Erziehung und Bildung, bei gemeinsamen Veranstaltungen und gottesdienstlichen Feiern und nicht zuletzt in kirchenamtlichen Verlautbarungen zu zentralen gesellschaftlichen Problemen ist ökumenisches Denken zur Selbstverständlichkeit geworden.

Nicht zu vergessen sind die Ergebnisse der theologischen Diskussion, die in zahlreichen "Konvergenzerklärungen" vorliegen. Dabei sind kaum noch kirchentrennende Fragen offengeblieben. Der Ertrag dieser jahrzehntelangen Arbeit ist allerdings (mit Ausnahme der Rechtfertigungslehre) bisher kirchenamtlich noch nicht rezipiert worden.

Hinzu kommt, daß offenbar die aktuelle Bedeutung der Probleme vergangener Jahrhunderte oft überbewertet wird. Zu fragen ist, ob dabei nicht eine sterile, westeuropäische und stark männlich geprägte Denktradition vorherrscht. Jedenfalls bietet sie leicht einen Vorwand, alles beim alten zu lassen. Daher rührt weitgehend der Argumentationsnotstand der römischen Kirchenleitung. Ihr fehlen offenbar überzeugende Argumente gegenüber Traditionalisten, wirkliche Reformen durchzusetzen und gleichzeitig gegenüber dem Kirchenvolk ihren eigenen Immobilismus zu rechtfertigen, wenn sie ohne stichhaltige Begründung die ökumenische Entwicklung zu bremsen versucht.

I

Jahrhunderte, in denen innerhalb des Christentums zahlreiche konfessionelle Gegensätze und Feindschaften aufgebrochen sind, die nicht selten zu erbitterten Auseinandersetzungen und zu Kriegen führten, liegen hinter uns.

Im 21. Jahrhundert haben wir die Verpflichtung, vor dem Hintergrund des wachsenden Menschheitsbewusstseins, einer Welt anzugehören und im Bewusstsein weltweiter Existenzbedrohung, bestehende Trennungen auch in der Ökumene zu überwinden.

Diese notwendige Einsicht muss von den christlichen Konfessionen als Chance begriffen werden, ihren eigenen Beitrag zur Überwindung der Gegensätze zu leisten.

a.. Die Selbstbesinnung der Kirchen und Konfessionen muss in einem konkreten Bekenntnis des Versagens voreinander und vor Gott und in ehrlicher Versöhnungsbereitschaft münden. b.. Frucht dieser Besinnung wird die Erkenntnis sein, dass Menschen sich dem Geheimnis Gott nur bescheiden nähern können. Kein Mensch, keine Kirche oder Konfession können schlechthin die Wahrheit und vollständige Erkenntnis für sich beanspruchen. Wir sind überzeugt, dass Gottes Geist auch außerhalb unserer eigenen Kirche, ja auch außerhalb aller Kirchenmauern weht. Die Kirchen haben als gemeinsame Grundlage die Botschaft des Jesus von Nazareth, der Gott in der jüdischen Tradition als liebenden Vater und sorgende Mutter beschreibt. Doch ist auch das Bemühen der Kirchen, den Menschen durch die Verkündigung dieser Botschaft ein sinnerfülltes Leben in der Nachfolge Jesu zu ermöglichen, immer zeitbedingt, auf die jeweiligen Zeiten und Kulturen zugeschnitten, wandelbar.

Die gegenseitige Akzeptanz und Achtung der Konfessionen und Kirchen, ihrer Riten, Sakramentenpraxis, Kirchenstrukturen, Traditionen lässt auch die Möglichkeit offen für Reformen, die zu allen Zeiten gefordert sind. Damit wären auch noch bestehende Streitfragen, die als Hindernis der Ökumene angesehen werden, zu überwinden.

II

Der gemeinsame Ökumenische Kirchentag 2003 im Land der Reformation stellt in dieser Hinsicht eine kirchengeschichtlich und weltgeschichtlich außergewöhnliche Chance dar für das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zu den Kirchen der Reformation.

Zwar gehört die allgemeine Wertschätzung der unterschiedlichen konfessionellen Traditionen katholischerseits seit dem II. Vatikanischen Konzil zum Grundbestand des Umgangs miteinander. Diese Wertschätzung ist aber noch nicht an dem Punkt der vollen Anerkennung der unterschiedlichen sakramentalen Glaubenspraxis als legitimer Christusnachfolge angekommen. Gläubige Menschen in den Kirchen sind längst zu der - auch theologisch gut begründeten - Überzeugung gelangt, dass jetzt die Zeit reif ist, die noch ausstehenden konfessionstrennenden Hindernisse zu überwinden und damit die Reformation "aufzuheben", sie zu überwinden, um sie zugleich zu vollenden und damit ihre berechtigten Anliegen zu bewahren.

III

Aus diesem Grund sehen die Initiative Kirche von unten und Wir sind Kirche die Zeit für gekommen, jetzt für folgende Überzeugung einzutreten und auch entsprechend zu handeln:

a.. Im zentralen Bereich der Glaubenspraxis, dem Gemeinde stiftenden Gedächtnis der Auferstehung Jesu Christi, ist die gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft konsequent. Auf dieser Grundlage werden wir beim Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin das Abendmahl gemeinsam feiern. b.. Die kirchliche Ordination wird gegenseitig voll anerkannt und legitimiert, weil der Wert unterschiedlicher kirchlicher Traditionen geschätzt und voll erkannt ist.
Nur in einer ernst gemeinten Ökumene, die keine und keinen vereinnahmt, sondern in gegenseitiger Achtung besteht und Vielfalt zulässt, können die Kirchen die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestehen. Die Ziele des konziliaren Prozesses "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" zeigen den Weg, den die Christenheit zu gehen hat. Sie erinnern die Kirche daran, daß sie nicht um ihrer selbst willen da ist.

IV

"Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit." Diese Aussage des 2. Vatikanischen Konzils (LG 1) gilt sicher für die gesamte christliche Kirche ohne Unterschied der Konfessionen. Die vollständige "Einheit der ganzen Menschheit" erhoffen wir im Reich Gottes, von dem wir glauben, daß es bereits jetzt mitten unter uns Gestalt gewinnt.

So ist das Bemühen um ökumenische Fortschritte zwischen den konfessionellen Teilkirchen einerseits eingebettet in die Säkularökumene. Andererseits gehen von der gemeinsam gefeierten Eucharistie wieder Impulse aus für unsere Verantwortung in der Welt und in unserer Gesellschaft. Die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen hat 1982 in Lima zur Eucharistie festgestellt:

"Die Eucharistie nimmt den Gläubigen hinein in das zentrale Geschehen der Geschichte der Welt. Als Teilnehmer an der Eucharistie erweisen wir uns daher als unwürdig, wenn wir uns nicht aktiv an der ständigen Wiederherstellung der Situation der Welt und der menschlichen Lebensbedingungen beteiligen. Die Eucharistie zeigt uns, daß unser Verhalten der versöhnenden Gegenwart Gottes in der menschlichen Geschichte in keiner Weise entspricht: Wir werden ständig vor das Gericht gestellt durch das Fortbestehen der verschiedensten ungerechten Beziehungen in unserer Gesellschaft, der mannigfachen Trennungen aufgrund menschlichen Stolzes, materieller Interessen und Machtpolitik und vor allem der Hartnäckigkeit ungerechtfertigter konfessioneller Gegensätze innerhalb des Leibes Christi." (Nr. 20)

(Beschlossen vom Gemeinsamen Arbeitskreis "Ökumene" am 22. September 2002. Am 26. September hat sich die Pfarrerschaft der Kirchengemeinde Prenzlauer Berg-Nord zu Berlin, die evangelische Partnerin der von uns beim ÖKT geplanten Abendmahlsgottesdieste, dieser Erklärung angeschlossen.)

Kontakt:
AK Ökumene
c/o Carl-Peter Klusmann
Dudenstr. 9, 44137 Dortmund
Tel: 0231-147303
Fax: 0231-2866505
e-mail: cp.klusmann (at) dokom.net
Internet: www.ikvu.de und www.wir-sind-kirche.de

Zuletzt geändert am 02­.05.2006