Zur umstrittenen Karfreitagsfürbitte

Der Gesprächskreis "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat in einer am 29. Februar 2008 veröffentlichten Stellungnahme Papst Benedikt XVI. gebeten, für den gesamten Römischen Ritus nur die Karfreitagsfürbitte "Für die Juden" in der Fassung von 1970 zuzulassen.

> Stellungnahme im Wortlaut

> Alle Fassungen der Karfreitagsfürbitten seit 570

> Mission oder Hoffnung? Der Streit ums Karfreitagsgebet hält an (Domradio, 11.3.2008)



Prof. Dr. Johannes Brosseder zur neuen antijüdischen Karfreitagsfürbitte

Die Karwoche und insbesondere der Karfreitag sind für Juden durch die Jahrhunderte hindurch mit den schlimmsten Erinnerungen verbunden, die sich tief in ihr Gedächtnis eingegraben haben. Gerade in der Karwoche tobte sich der christliche Antijudaismus an den Juden aus, um auch handgreiflich zu demonstrieren, dass Israel von Gott verworfen worden sei. Auf dem Hintergrund der grauenhaften Erfahrungen mit dem christlichen Antijudaismus, dem neuzeitlichen Antisemitismus und der Shoah kann es nicht verwundern, wenn Juden heute besonders aufmerksam beobachten, wie Christen ihre Karwoche gestalten und was sie am Karfreitag beten.

Nun hat für die römisch-katholische Kirche das II. Vatikanische Konzil mit seiner Erklärung „Nostra Aetate“ ein völlig neues Kapitel in den christlich-jüdischen Beziehungen aufgeschlagen, indem es christliche Schuld an den Juden eingestand, Antijudaismus und Antisemitismus verurteilte und mit der Feststellung, Gottes Bund mit Israel sei ungekündigt, eine theologische Kehrtwende vollzog. Diese Einstellung führte erstmals in der Geschichte ihrer Beziehungen zu einem seriösen Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem Judentum. Ein Ergebnis dieses Dialogs ist ein gänzlich neues Karfreitagsgebet für die Juden in der Gottesdienstreform von 1970 und lautet folgendermaßen:

„Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will (...). Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt. Darum bitten wir, durch Christus, unseren Herrn“.

Dieses Gebet hält dem Niveau gegenwärtiger jüdisch-christlicher Beziehungen stand und spiegelt grundlegende exegetische Einsichten. Jüdische Einwände gibt es nicht.

Am 7. Juli 2007 hat nun Benedikt XVI. das tridentinische Missale Romanum von 1570 in der geänderten Fassung von 1962 als außerordentliche Form des Römischen Ritus wieder zugelassen. Hier findet sich die entsetzliche antijüdische Karfreitagsfürbitte, aus der Johannes XXIII. im Jahre 1962 lediglich das Wort von der Gottlosigkeit bzw. Treulosigkeit der Juden ersatzlos gestrichen hatte. Dieses Gebet hatte folgenden Wortlaut:

„Lasst uns auch beten für die (1570: treulosen, perfidis) Juden: Gott, unser Herr möge den Schleier von ihren Herzen wegnehmen, auf dass auch sie unseren Herrn Jesus Christus erkennen (...). Allmächtiger, ewiger Gott, der du auch die Juden (1570 anstatt ‚die Juden’: die jüdische Untreue, judaicam perfidiam) nicht von deiner Erbarmung ausschließt, erhöre unsere Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor dich bringen. Mögen sie das Licht deiner Wahrheit, das Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden, durch ihn, unseren Herrn ...“. Die Gottesdienstreform von 1970 hat dieses Gebet zu Recht aus dem Verkehr gezogen.

Sollte dieses Gebet nun wieder eingeführt werden? Am 4. Februar 2008 gab das Vatikanische Staatssekretariat bekannt, Benedikt XVI. habe angeordnet, diese tridentinische Karfreitagsfürbitte durch eine neue zu ersetzen. Diese lautet:

„Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen (...). Allmächtiger ewiger Gott, der du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle der Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus, unseren Herrn“.

Verglichen mit dem Gebet der Gottesdienstreform von 1970 stellt diese neue Fürbitte einen Rückfall in antijüdisches Denken dar. Der Antijudaismus ist hier zwar milder als in den Texten von 1570 und 1962; er weicht aber weder von der dort gegebenen Beurteilung des Judentums ab noch ändert er die christliche Zielsetzung ihm gegenüber. Mit dem alten unterstellt auch der neue Text, die Herzen der Juden seien nicht erleuchtet und die Juden seien noch nicht zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt; nach wie vor wird ihre Bekehrung zu Jesus Christus erwartet.

Der Hintergrund jahrhunderte langer leidvoller Karfreitagserfahrungen macht den jüdischen Sturm der Entrüstung über dieses Gebet nur zu verständlich, dem bisher allerdings leider noch kein christlicher Aufschrei gefolgt ist. Welcher Teufel hat wohl den Papst geritten, dass er es in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus einer Minderheit von Katholiken erlaubt, jenen Antijudaismen liturgisch weiter zu huldigen, die im Gefolge von „Nostra aetate“ im Missale von 1970 endgültig überwunden schienen? Ist denn die von Benedikt XVI. erstrebte Versöhnung mit den Erzkonservativen, die das ganze II. Vatikanische Konzil ablehnen, nur um den Preis der Wiedereinführung theologischer Antijudaismen zu haben, von anderen Preisen ganz zu schweigen?

Kardinal Walter Kasper sagte beschwichtigend, Judenmission sei nicht geplant und der Papst habe nur den Römerbrief des Apostels Paulus zitiert (Röm 11, 25-27); doch letzteres ist so nicht zutreffend, wie jeder selbst feststellen kann. Das neue Gebet bleibt ein Ausdruck christlicher Überheblichkeit gegenüber dem Judentum; diese vor Augen hatte schon Paulus den Christen ins Stammbuch geschrieben: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ (Röm 11,18; vgl. Röm 11,11-28). Dieser Mahnung hält jedenfalls die Karfreitagsfürbitte der ordentlichen Form des Römischen Ritus von 1970 stand, diejenige der außerordentlichen von 2008 nicht.

Zuletzt geändert am 15­.03.2008