Für ein versöhntes Europa in religiöser Vielfalt

Der europäische Einigungsprozess der vergangenen Jahrzehnte ist eine Erfolgsgeschichte, die große Fortschritte im friedlichen Zusammenleben und wirtschaftlichen Wohlstand für viele gebracht hat.Für das weitere kulturelle und politische Zusammenwachsen Europas ist jetzt die Versöhnung zwischen den Konfessionen und Religionen ein eminent wichtiger Baustein. Dies hat dankenswerter auch der deutsche Bundespräsident Dr. Horst Köhler beim Treffen der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung im Februar diesen Jahres in Wittenberg zum Ausdruck gebracht, als er an die Kirchenleitungen appellierte, neuen Schwung in die Ökumene zu bringen und die Chance zur Ökumene nicht zu verspielen.

Gerade in einem säkularen Europa müssen die christlichen Kirchen gemeinsam Zeugnis geben, denn unsere Trennungen machen uns vor der Welt unglaubwürdig. Die „Charta Oecumenica“ (1997 bei der Ökumenischen Versammlung in Graz auf den Weg gebracht und 2001 beim Straßburger Millenniumstreffen sowie 2003 während des Ökumenischen Kirchentages in Berlin unterzeichnet), enthält Leitlinien für die Zusammenarbeit der Kirchen in Europa als gegenseitige Verpflichtung zu einem erkennbaren und glaubwürdigen Miteinander. Neuen Schwung in diesem Prozess mit konkreten Beiträgen für ein verständnisvolles Miteinander erwarten wir von dem für September 2007 geplanten Treffen der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Sibiu.

Die christlichen Kirchen haben Erhebliches zum friedlichen Wandel 1989 beigetragen. Mit der Erfahrung der eigenen Spaltungen, die im 11. und 16. Jahrhundert von Europa ausgingen, aber vor allem mit der Erfahrung der ökumenischen Bewegung des 20. Jahrhunderts können die christlichen Kirchen Impulse geben und ein Modell auch für das Zusammenwachsen der Völker und Kulturen Europas sein: Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Die Vielfalt des christlichen Zeugnisses muss dabei kein Zeichen der Schwäche sein, sondern kann durchaus stärken.

Neben einer Versöhnung von Katholiken, Protestanten und Orthodoxen braucht Europa aber auch den interreligiösen Dialog mit anderen Glaubenstraditionen und wichtigen Geistesströmungen. Dies betrifft vor allem den Dialog der drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Denn, wie das von Hans Küng initiierte Projekt Weltethos feststellt: Es gibt keinen Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Und es gibt keinen Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen.

Europa hat nicht ausschließlich christliche Wurzeln. Unser Kontinent ist ein Lebensraum, in dem Menschen unterschiedlichster Identitäten, Kulturen, Konfessionen und Religionen zusammenleben. Diesen Lebensraum weder religiös noch ideologisch zu überhöhen, sondern als gemeinsamen Raum der Freiheit, Gerechtigkeit und des Friedens zu gestalten, ist eine große Herausforderung. Die Vision Europa muss die Köpfe und Herzen der Menschen erreichen. Die Umsetzung dieser Vision ist nicht nur Aufgabe der Regierenden und der Kirchenleitungen, sondern aller Menschen guten Willens.

Wenn sich die Kirchen in diesen Gestaltungsprozess einbringen, sollten sie der Versuchung widerstehen, übermäßigen politischen Einfluss zu gewinnen, denn in der europäischen Vergangenheit wurden Politik und Religion oft auf unheilvolle Weise vermischt. Die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes des Zweiten Vatikanums sagt in Nummer 76: „Sehr wichtig ist besonders in einer pluralistischen Gesellschaft, dass man das Verhältnis zwischen der politischen Gemeinschaft und der Kirche richtig sieht, ... Die Kirche (darf)... in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden ... sie (setzt) ihre Hoffnung nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern.“

Wir glauben, dass der Schutz der Religionsfreiheit, den die „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ vom 7. Dezember 2000 in ihrem Artikel 10 auch für die gemeinsame Glaubensausübung vorsieht, genügt. Deshalb erscheint es uns unangebracht, dass die Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften im Entwurf der Europäischen Verfassung gegenüber den üblichen Modalitäten der partizipativen Demokratie (Art. 47) einen besonderen Status (Art. 52 (3)) erhalten sollen.

Wir brauchen ethische Maßstäbe für Europa, zu denen die Kirchen und das ganze Kirchenvolk unverzichtbar beitragen können. Europa kann bereits auf Errungenschaften verweisen, die nicht zur Disposition stehen dürfen, wie die unantastbare Würde des Menschen und die Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Subsidiarität und Partizipation, Gleichberechtigung der Geschlechter, soziale Gerechtigkeit sowie die individuelle und kollektive Religionsfreiheit. Aber wir müssen auch dafür offen sein, dass Andere ihre Werte und ihren geistig-kulturellen Reichtum einbringen und dafür sorgen, dass Europa gestärkt aus diesem Austausch hervorgeht.

Europa muss auch in Zukunft Wege für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen finden. Gerade in einer globalisierten Welt sind die europäischen Gesellschaften herausgefordert, sich auch anderen als den eigenen Kulturen und Religionen zu öffnen. Dazu ist der interkulturelle und interreligiöse Dialog zu fördern, nicht nur um das friedliche Zusammenleben zu sichern sondern – nach eigener langer geschichtlicher Erfahrung – als wirklich zu praktizierendes Modell versöhnter Verschiedenheit.

Bundesteam der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche

München/Berlin 12. März 2007


> Wir sind Kirche-Brief an Bundeskanzlerin und EU-Ratspräsidentin Dr. Angela Merkel (PDF 166 KB)

> Welches Europa zu Beginn des Jahrtausends? Erklärung katholischer Basisbewegungen zum zukünftigen Europa fünfzig Jahre nach den Römischen Verträgen (PDF 84 KB)


Weiterführende Links:
> EUROPA HOFFNUNG MACHEN! Erklärung der Internationalen Bewegung „Wir sind Kirche“ und des Europäischen Netzwerks „Kirche im Aufbruch“ anlässlich der Europa-Synode katholischer Bischöfe in Rom im Oktober 1999

> Den Sinn der europäischen Einigung wiederfinden Manifest der Gruppe "Initiative von Christen für Europa" (IXE)

> Europa: In Verantwortung vor Gott und den Menschen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge

Zuletzt geändert am 22­.03.2007