Internat. Bewegung Wir sind Kirche

Zum Bericht der irischen Kommission zur Untersuchung von Kindesmisshandlungen (Ryan Report)

Rom / Dublin / München, 5. Juni 2009

Pressemitteilung der Internationalen Bewegung Wir sind Kirche zum Bericht der irischen Kommission zur Untersuchung von Kindesmisshandlungen (Ryan Report)

Der Bericht der irischen Kommission zur Untersuchung von Kindesmisshandlungen, der letzte Woche veröffentlicht wurde, zeichnet ein Bild von systematischer, institutionalisierter Gewalt und listet einen erschreckenden Katalog emotionaler, physischer und sexueller Misshandlungen von Kindern auf, die durch Jahrzehnte in Institutionen gefangen gehalten waren, die von einer Anzahl von Ordensgemeinschaften geführt wurden.

Der Bericht enthüllt ein Strafsystem, angewendet von irischen kirchlichen Gemeinschaften und finanziell unterstützt vom Staat, in dem tausende von irischen Kindern eingesperrt waren, viele von ihnen für geringfügiges Fehlverhalten, oft lange Zeit ihres Lebens. Er zeichnet ein Bild von Grausamkeit unvorstellbaren Ausmaßes und unvorstellbarer Intensität und Auswirkung auf Kinder, die keinerlei Möglichkeit des Widerstandes hatten.

Ablehnung durch religiöse Gemeinschaften
Der Ryan Report straft die oftmals wiederholte Versicherung Lügen, die Misshandlungen seien von abnormalen Individuen oder „faulen Äpfeln“ innerhalb dieser Institutionen begangen worden.

Trotz der heftigen Dementis der betroffenen religiösen Gemeinschaften geht aus dem Bericht klar hervor, dass die Ordensangehörigen sich der endemischen Vorfälle von Gewalt und Brutalität bewusst waren, die sich in diesen Institutionen abspielten, aber eine Kultur des Verschweigens und Augen-Verschließens ließ sie weiter bestehen. Im Fall der Christian Brothers bestätigten Dokumente aus den eigenen Archiven der Kongregation in Rom, die reichlich spät von den Ordensangehörigen vorgelegt wurden, dass die Kongregation über jahrelange Klagen von Misshandlungen und Gewalt informiert war.

Der Ryan Report kritisiert an den religiösen Gemeinschaften – mit Ausnahme des Rosmini-Ordens (Rosminian Order) – besonders, dass sie nicht zu ihrer Verantwortung für die Misshandlungen standen und Antworten auf die Berichte darüber verweigerten. Das wurde besonders deutlich in der feindlichen Einstellung derjenigen Kongregationen, die die Aussagen von Zeugen bezweifelten, von denen viele wieder traumatisiert wurden, als sie von den Misshandlungen berichteten, die ihnen als Kindern angetan worden waren.

Dagegen wurde der Rosmini-Orden von Richter Ryan dafür gelobt, dass sie sich entschieden hatten, in einer nicht feindseligen Weise den Zeugenaussagen zuzuhören, um daraus zu lernen.

Antworten auf den Bericht
1) Von Opfern der Misshandlungen:
Es gibt auf den Bericht verschiedenste Antworten von Opfern.
Einige von diesen haben den Bericht und die Bestätigung von Grausamkeit und Brutalität begrüßt, die früher von den Orden in Abrede gestellt worden waren. Sie fühlten sich gerechtfertigt dadurch, dass ihre Berichte gehört wurden und ihnen von der Kommission geglaubt wurde.
Andere weisen auf die Grenzen und Schwächen des Berichts hin, weil die Verantwortlichen für die Misshandlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Der Bericht schützt die Identität der Schuldigen und gibt ihnen Decknamen, sogar in den Fällen, in denen Schuldige bereits gerichtlich verurteilt wurden.
Wieder andere kritisieren die einseitige Konzentration des Berichtes auf physische, emotionale und sexuelle Gewalt und sein Unvermögen, die Auswirkung von Misshandlungen auf die ganze Person zu erkennen, etwas, das ein Zeuge als „Mord an der Seele“ bezeichnet hat.

2) Reaktionen der Öffentlichkeit
In der Öffentlichkeit war die Empörung über die Ergebnisse der Untersuchung sehr groß. Es gab emotionale Szenen, als sich Leute öffentlich anstellten, um ein Buch der Solidarität mit den Opfern zu unterzeichnen, das der Bürgermeister von Dublin, Eibhlin Byrne, aufgelegt hatte. In der Öffentlichkeit steigt auch der Ärger über das Kompensationsabkommen, dem die irische Regierung unter dem früheren Ministerpräsidenten Bertie Ahern zugestimmt hat, nur Tage vor der Regierungsumbildung im Jahr 2002. Dieses Abkommen, das mit der irischen Ordenskonferenz (Conference of Religious of Ireland) als Vertretung von 18 betroffenen Ordensgemeinschaften ausgehandelt wurde, sieht vor, dass der Staat und die Orden sich die Kompensationszahlungen an die Opfer teilen. Der Beitrag der Orden wurde jedoch mit 127 Millionen € gedeckelt, wovon ein großer Teil mit Realbesitz beglichen werden kann. Die Regierung sagte zu, die Orden im Gegenzug gegen jeden weiteren finanziellen Anspruch abzusichern. Es stellt sich nun heraus, dass die Kompensationszahlungen an die Opfer die Summe von 1.3 Milliarden € überschreiten werden, mehr als neunmal soviel wie der Beitrag der Orden. Die Regierung kommt zunehmend unter öffentlichen politischen Druck, das Abkommen neu zu verhandeln, behauptet aber, gesetzlich gebunden und dadurch verhindert zu sein, dies zu tun. Auch der Druck auf die Orden nimmt zu, freiwillig mehr Kompensation zu zahlen. Kardinal Sean Brady, der Erzbischof von Dublin Dr. Diarmuid Martin und der Bischof von Killaloe Willie Walsh haben durch Stellungnahmen die Forderungen derjenigen unterstützt, die von den Orden verlangen, ihre Antworten gegenüber den Opfern und die Angelegenheit der Kompensationszahlungen nochmals zu überdenken.

Antwort und Presseaussendung von „Wir sind Kirche Irland“
„Wir sind Kirche Irland“ ist der Meinung, dass die Ergebnisse des Ryan- Berichtes und die Bestätigung sowie die Verleugnung der Größenordnung der Gewalt an Kindern grundsätzliche Fragen für den irischen Staat, die irische Gesellschaft und die Kirche aufwerfen.

Fragen an Staat und Gesellschaft:
Warum waren Kinder in diesen Strafinstitutionen so lange eingesperrt, obwohl dafür die gesetzliche Grundlage fehlte? Warum nahm der Staat gegenüber den kirchlichen Institutionen eine so unterwürfige, demütige Haltung ein und spielte bei der Vertuschung von institutionalisierter Gewalt mit? Warum zögerten die staatlichen Institutionen und Einrichtungen, die Orden verantwortlich zu machen? Werden die Schuldigen weiterhin vom Staat geschützt werden oder werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen?

Fragen an die Kirche „Wir sind Kirche Irland“ glaubt, dass die Ergebnisse des Ryan- Berichtes in der Kirche eine kritische Reflexion über die Gepflogenheiten und die Praxis notwendig machen, die dazu geführt haben, dass institutionalisierte Gewalt ein solches Ausmaß erreichen konnte.

1) Da Gewalt vor allem gestützt wird durch ein Bedürfnis nach Macht und Kontrolle über die Opfer, muss die Kirche den Einfluss starrer autoritärer Systeme und Machtstrukturen und die Struktur unterwürfigen Gehorsams in der Kirche als Problem aufgreifen.
2) Die Kirche muss die gebräuchliche Vorgangsweise, von Seiten der Institution Vorwürfe in Abrede zu stellen und die Wahrheit zu verschweigen, einer Prüfung unterziehen.
3) Die Kirche muss überdenken, welche Rolle die Unterdrückung der Sexualität in unserer Kirche in der Entwicklung abwegiger und verzerrter Formen von Sexualität gespielt hat.

Eine andere Kirche ist möglich
„Wir sind Kirche Irland“ erklärt, dass eine andere Kirche möglich ist:
  • eine Kirche, die eine positive Einstellung zu Sexualität vertritt,
  • eine Kirche, die Geschlechtergleichheit und Geschlechtergerechtigkeit akzeptiert und fördert,
  • eine Kirche, in der der Zölibat der Priester nicht als Pflicht, sondern als Option gesehen wird,
  • eine Kirche, die ihre Ordnungsstrukturen nach demokratischen Prinzipien aufbaut,
  • eine dienende Kirche, die das Amt als Dienst an den Menschen, nicht an der Institution sieht, eine hörende Kirche, die die Stimme Gottes im Leben der Menschen wahrnimmt,
  • eine christliche Kirche, die ihre Vision und Mission auf das Evangelium Jesu Christi baut.

Wir müssen jetzt mehr denn je klarlegen und unterstreichen, was wir von Rom fordern. Wir wollen unseren Einfluss ausüben, damit unsere Kirche wirklich eine Kirche der heutigen Zeit wird und unsere gelebten Erfahrungen ernst nimmt. Zum jetzigen Zeitpunkt wollen wir unsere Stimme erheben auf Grund der Erfahrung unseres Landes mit grausamer, früher als „Obsorge“ geltender Machtausübung, die der Ryan-Bericht aufgezeigt hat.

Vor allem sollte den Nöten derer, die in diesen Institutionen gelitten haben, mit Großherzigkeit und Mitgefühl begegnet werden. Die irische Gesellschaft muss ermitteln, warum solche Misshandlungen jahrzehntelang geduldet wurden. Wir müssen unsere Finsternis mit dem zeitgemäßen Geist der Offenheit konfrontieren. Die falsche Unterwürfigkeit, die so lange den Autoritätspersonen entgegengebracht wurde und die soviel verschleiert hat, muss ein für allemal abgelegt werden.

Der Ryan-Bericht ist einsehbar unter http://www.rirb.ie/ryanreport.asp

Kontakt zu „Wir sind Kirche Irland“: Helen McCarthy wearechurchireland@eircom.net

Übersetzung aus dem Englischen: Gotlind Hammerer, Wir sind Kirche Österreich

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Hintergrund: Internationale Bewegung Wir sind Kirche
Die Internationale Bewegung Wir sind Kirche, 1996 in Rom gegründet, ist in mehr als zwanzig Ländern auf allen Kontinenten vertreten und weltweit mit ähnlich gesinnten Reformgruppen vernetzt. Als innerkirchliche Reformbewegung setzt Wir sind Kirche sich ein für eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 - 1965). Wir sind Kirche ist aus dem 1995 in Österreich gestarteten Kirchenvolks-Begehren hervorgegangen.

Zuletzt geändert am 19­.12.2009