Sexualisierte Gewalt

Wir sind Kirche: „Ist es mit der Umkehr der Bischöfe schon wieder vorbei?“

Pressemitteilung München, 20. März 2012

Zu aktuellen Problemen der römisch-katholischen Kirche im Umgang mit sexualisierter Gewalt

„Dies ist kein vorbildhaftes Zeichen für eine Umkehr und einen wirklichen Neuanfang im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche“, erklärt die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche zu der Meldung, dass im Bistum Trier derzeit sieben ehemalige Täter weiter im priesterlichen Dienst und in der Seelsorge eingesetzt sein sollen. Die Erklärung des Bistums, Bischof Dr. Ackermann – der seit Februar 2010 auch „Missbrauchsbeauftragter“ der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist – habe nicht gegen die geltenden Leitlinien der DBK verstoßen, mag formal richtig sein, überzeugend ist sie keinesfalls.

Wir sind Kirche erneuert deshalb die seit Langem vorgetragene Forderung, ehemalige Täter nicht nur aus der Kinder- und Jugendseelsorge, sondern aus jeglicher sakramentaler und seelsorglicher Tätigkeit abzuziehen, auch aus Krankenhäusern, Alteneinrichtungen und Justizvollzugsanstalten etc. Denn wenn dort jemand in einer Lebensbeichte auf das Thema sexualisierte Gewalt zu sprechen kommt, sind diese Priester, die ihre priesterliche Vollmacht missbraucht haben, doch die denkbar ungeeignetesten Ansprechpartner.

Der aktuelle Fall wirft erneut die dringende Frage auf, ob die im August 2010 von der DBK überarbeiteten Leitlinien der von Papst Benedikt XVI. geforderten und anderswo auch praktizierten Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Priestern entsprechen. Den deutschen Leitlinien nach sollen straffällig gewordene Personen nicht mehr in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden (Punkt 42), dürfen aber ansonsten unter gewissen Voraussetzungen (Punkt 43 bis 47) weiterhin als Priester in der Seelsorge arbeiten. Wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, haben sich angesichts der Täterprofile auch „Auflagen“ und Kontrollen der Dienstvorgesetzten oft nicht als wirksam erwiesen, sondern Kinder und Jugendliche großer Gefährdungen ausgesetzt.

Bischof Dr. Ackermann, der im Januar 2012 bereits eine gravierende Fehlhandlung eingestehen musste, und alle anderen Bischöfe müssen sich fragen lassen, wie glaubwürdig sie sich für die von sexualisierter Gewalt Betroffenen einsetzen können, da sie gleichzeitig Dienstvorgesetzte der klerikalen Täter sind. Auf diesen unvermeidbaren Interessenkonflikt hatte die KirchenVolksBewegung von Anfang an hingewiesen und fordert weiterhin unabhängige Ombudsstellen.

Auch sonst mehren sich die Zeichen, dass die im Jahr 2010 auf dem Höhepunkt der Aufdeckung jahrzehntelanger Vertuschung sexualisierter Gewalt eingeleiteten Maßnahmen von den Bischöfen schon wieder zurückgefahren werden:

  • Zum 1. April 2012 soll die von der DBK im Jahr 2010 eingerichtete bundesweite Telefon-Hotline „Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs“ wieder eingestellt werden. Zwar gibt es jetzt Beauftragte in den einzelnen Diözesen und bei den Ordensgemeinschaften, doch es ist nicht hinnehmbar, dass in einzelnen Diözesen immer noch Domkapitulare und andere Mitglieder der Bistumsleitung als Ansprechpersonen für Betroffene angegeben werden.
  • Das komplizierte und die Betroffenen belastende Antragsverfahren hat vermutlich dazu geführt, dass bisher nur ein Bruchteil der Betroffenen einen Antrag auf finanzielle Entschädigungen gestellt hat. Wenn dann noch – wie im Bistum Regensburg geschehen – gleichlautende Ablehnungsschreiben versandt werden, lässt dies große Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit der bischöflichen Stellen aufkommen, das Leid der Betroffenen anzuerkennen und so weit wie möglich zu lindern.
  • Die Freisinger Bischofskonferenz hat kürzlich beschlossen, die vor einem Jahr eingerichtete Fachstelle Prävention sexueller Gewalt wieder zu streichen, die bei der Landesstelle für katholische Jugendarbeit in München angesiedelt war.
  • Die deutschen Bischöfe verwenden nach wie vor den verharmlosenden Begriff „sexueller Missbrauch“, der in der Fachwelt seit Langem obsolet ist, denn dann müsste es ja auch einen „sexuellen Gebrauch“ geben. Richtigerweise muss von „sexueller Kindesmisshandlung durch Kleriker“ gesprochen werden.
  • Auch der bisherige Verlauf des „Dialogprozesses“ – von den Bischöfen im Herbst 2010 zur Wiedergewinnung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit angekündigt, aber schon sehr schnell zu einem unverbindlichen „Gesprächsprozess“ zurückgestuft und in den Diözesen sehr unterschiedlich gehandhabt – enttäuscht immer mehr kirchlich Engagierte. Das lässt große Zweifel am ernsthaften Willen der deutschen Bischöfe aufkommen, die lange überfälligen Reformen in den Blick zu nehmen und sich auch dafür einzusetzen.


ZUM WEITERLESEN:
„Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Eine notwendige Konfrontation“ des australischen Weihbischofs Geoffrey Robinson; Oberursel 2010
Michael Albus / Ludwig Brüggemann: Hände weg! Sexuelle Gewalt in der Kirche, Kevelaer 2011

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Zuletzt geändert am 21­.03.2012