Kirchensteuer-Dekret / DBK

„Pay and pray!“ ist völlig falsches Signal zum falschen Zeitpunkt

Pressemitteilung München / Fulda, 24. September 2012

Wir sind Kirche zu dem am 24. September 2012 in Kraft tretenden Dekret der Deutschen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt

Das am 24. September 2012 in Kraft getretene Dekret der Deutschen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt ist nach Ansicht der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche ein völlig falsches Signal zum falschen Zeitpunkt. Anstatt den Ursachen für die hohen Kirchenaustrittszahlen auf den Grund zu gehen, stellt dieses Dekret der Bischöfe eine Drohbotschaft für das Kirchenvolk dar und wird keine Motivation für suchende Menschen sein, der Kirchensteuergemeinschaft weiter treu zu bleiben oder ihr beizutreten. Dieses Dekret konterkariert den derzeit stattfindenden Gesprächsprozess, mit dem die deutschen Bischöfe mühsam versuchen, die Glaubwürdigkeit der Kirchenleitung zurückzugewinnen, die durch die jahrzehntelange Vertuschung des Missbrauchskandals verloren gegangen ist.

Die Bischöfe sind jetzt in der Bringschuld, auch kirchenrechtlich sauber zu erklären, welchen Rechtscharakter die Sanktionen haben, wenn sie von selbst eintreten, aber keine Kirchenstrafe sind. Welche Rechtseinschränkungen wird es genau geben, wenn der Pfarrer nach dem Gespräch feststellt, dass es nicht nur um die Ablehnung des staatlichen Kirchensteuereinzugs, sondern um eine Lossagung von der Kirche geht? Was sind die „entsprechenden Maßnahmen“, die die Bischöfe ergreifen wollen? Auf welchem Wege soll das geschehen? Der angedrohte Ausschluss vom Gemeindeleben ist eine de facto-Exkommunikation und widerspricht dem sakramentalen Verständnis einer unauslöschlichen Zugehörigkeit zur katholischen Kirche durch die Taufe, wie dies der Vatikan bis jetzt und theologisch zu Recht vertreten hat.

Zu fragen ist auch, welche Rechtskraft dieses Dekret wirklich hat. Es müsste nämlich rechtzeitig im „Kirchlichen Amtsblatt des Vatikan“ veröffentlicht werden. Am 28. August 2012 wurde es in Rom durch die Kongregation für die Bischöfe rekognosziert, die aber möglicherweise für solche Fragen gar nicht zuständig ist. Im Jahr 2006 war es der Päpstliche Rat für Gesetzestexte, der klarstellte, dass ein Kirchenaustritt vor staatlichen Stellen nicht ausreicht, um einen Glaubensabfall zu dokumentieren und damit eine Exkommunikation und den Ausschluss von den Sakramenten zu rechtfertigen.

Das nur wenige Tage vor der Verhandlung zum Kirchenaustritt beim Leipziger Bundesverwaltungsgericht am 26. September 2012 hastig veröffentlichte Dekret zeigt die große Angst der deutschen Bischöfe und des Vatikans vor weiteren erheblichen Einnahmeverlusten bei der Kirchensteuer, deren Volumen derzeit etwa 5 Mrd. Euro pro Jahr beträgt. Zusammen mit Italien und den USA gehört die deutsche Kirche zu den wesentlichen Finanzgebern für den Vatikan.

Die künftig anzubietenden Seelsorgegespräche mit den Ortspfarrern – so sinnvoll sie auch sein mögen – stellen eine erhebliche zusätzliche Belastung für diese Priester dar, die durch die Bildung von Großpfarreien schon jetzt völlig überlastet sind. Die Bischöfe selber dagegen entziehen sich dem Gespräch und verlagern die Auseinandersetzung auf die untere Ebene. Denn der formelle Kirchenaustritt wird oft nicht wegen tiefer Glaubensfragen, sondern vor allem wegen kirchlicher Moral- und Strukturfragen (Pflichtzölibat, Frauenfrage etc.) vollzogen. Ohnehin fragen sich immer mehr Menschen, warum sie unverändert Kirchensteuer zahlen sollen, wo doch durch die Schließungen und Zusammenlegungen von Pfarreien das pastorale Angebot seit Jahren massiv abgebaut wird.

Das Dekret der Bischöfe wird die Diskussion um die Ausgestaltung und Transparenz der Kirchensteuer, um die Bezahlung von Bischöfen und Pfarrern (staatliche Dotationen) und um die Finanzierung katholischer Bildungs- und Sozialeinrichtungen (die ja überwiegend durch staatliche Zuschüsse getragen werden) neu entfachen. Mittelfristig sind auch negative Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft für die katholischen Hilfswerke zu befürchten, die immer mehr – Beispiel „Caritas Internationalis“ – unter römische Kontrolle geraten.


Gesprächsprozess: Spielraum im Arbeitsrecht und für geschiedene Wiederverheiratete?

Bei der Herbstvollversammlung 2012 in Fulda wird sich entscheiden, ob es den am bundesweiten Gesprächsprozess teilnehmenden Bischöfen (siehe Zusammenstellung von Wir sind Kirche) gelingt, wenigstens ansatzweise auch die Bischöfe dafür zu gewinnen, die nicht an den Jahrestreffen im Juli 2011 in Mannheim und jetzt in Hannover teilgenommen haben.

Die am Ende des Gesprächsforums vorletzte Woche in Hannover von den Bischöfen vermittelte Hoffnung, Spielraum im Arbeitsrecht etwa bei der Anstellung von nach Scheidung Wiederverheirateten in Kindergärten oder Einrichtungen der Caritas zu sehen, heißt im Klartext: die bisher quasi automatische Kündigung lässt sich innerhalb des deutschen und europäischen Rechtssystems für die meisten Berufsgruppen bei Kirche und Caritas einfach nicht mehr durchhalten. In der Frage, ob nach Scheidung Wiederverheiratete die Kommunion empfangen können, wollen sich die deutschen Bischöfe eng mit dem Vatikan beraten. Wenn man weiß, wie Papst Benedikt hierüber denkt, besteht hier auch in Zukunft keine Hoffnung.

Langfristige Entwicklungen

Gegenüber dem Spitzenwert von 181.193 Kirchenaustritten im Krisenjahr 2010, in dem die jahrzehntelange Vertuschung sexualisierter Gewalt offenbar wurde, ist der Wert von 126.488 Kirchenaustritten 2011 zwar deutlich gesunken, gehört aber immer noch zu den Spitzenwerten seit der Jahrtausendwende. Während es 1990 noch 28,2 Mio. KatholikInnen in Deutschland gab, ist diese Zahl nach den am 29. Juni 2012 veröffentlichten Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz in den letzten 22 Jahren um fast 4 Mio. gesunken. Fast 3 Mio. KatholikInnen sind in diesen 22 Jahren aus der röm.-kath. Kirche ausgetreten oder – aber das ist nur ein kleiner Teil – in eine andere Kirche übergetreten.


Wir sind Kirche-Pressegespräch zur Herbstvollversammlung der DBK in Fulda
Dienstag, 25. September 2012, 11:00 Uhr, Fulda „Café am Dom“
Kanalstraße 2a
> Einladung zum Pressegespräch

Wir sind Kirche-Pressekontakte während Herbstvollversammlung der DBK in Fulda:
Sigrid Grabmeier, Tel. 0170-8626290, E-Mail: grabmeier@wir-sind-kirche.de
Magnus Lux, Tel. 0176-41266392, E-Mail: Famlux@t-online.de
Christian Weisner, Tel. 0172-5184082, E-Mail: presse@wir-sind-kirche.de

Zuletzt geändert am 24­.09.2012