Pennsylvania-Report / Papst-Brief

"Nur vollständige Transparenz und grundlegender Kulturwechsel können die Kirche retten"

  • Spaltung der Kirche in Kleriker und „Laien“ ist aufzuheben
  • Kirchliche Sexuallehre am verantworteten Gewissen neu ausrichten
  • Acht-Punkte-Plan von Wir sind Kirche International

Pressemitteilung München / Rom, 24. August 2018

Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche respektiert den Brief von Papst Franziskus vom 20. August 2018 anlässlich des Pennsylvania-Reports über die Jahrzehnte lang vertuschte sexualisierte Gewalt als ein ehrliches und äußerst bemerkenswertes Schuldeingeständnis des Papstes. Wenn jedoch die römisch-katholische Weltkirche ihre Glaubwürdigkeit nicht ganz und gar verlieren will, muss jetzt auch der dringend nötige Kulturwechsel auf allen Ebenen folgen.

Wir sind Kirche begrüßt, dass Papst Franziskus wie kein Papst zuvor den mit den Verbrechen sexualisierter Gewalt verbundenen Macht- wie Gewissensmissbrauch in aller Deutlichkeit anprangert und ein inakzeptables Verständnis von kirchlicher Autorität sowie den Klerikalismus als eine der strukturellen Hauptursachen benennt.

Spaltung der Kirche in Kleriker und „ Laien“ ist aufzuheben

Dass Papst Franziskus sein Schreiben bewusst an die gesamte Kirche gerichtet hat, kann nicht heißen, dass er das gesamte Kirchenvolk in die Verantwortung für die Fehlentwicklungen einbezieht. Vielmehr macht er in aller Deutlichkeit bewusst, dass der erforderliche grundlegende Kulturwandel von den Klerikern alleine nicht zu leisten ist. Die Kirche ist gerade jetzt auf das aktive Mittun des ganzen Kirchenvolkes angewiesen. Notwendig ist ein absoluter Kurswechsel gegenüber dem bisherigen Ausschluss aller Nichtkleriker an den wesentlichen kirchlichen Entscheidungsprozessen.

Wir sind Kirche mahnt dringend auch weitere tiefgreifende Reformen in der römisch-katholischen Kirche an, um den Opferschutz zu stärken und den bisherigen systemimmanenten Täterschutz zu überwinden. Dazu gehören Strukturreformen auf allen Ebenen, die Reform des Kirchenrechts und eine Korrektur des selbstbezogenen Klerikalismus. Die verderbliche mentale Fehlhaltung des Klerikalismus hat letztlich tief eingefleischte theologische Gründe, die kritisch zu hinterfragen sind. Die biblisch nicht zu begründende Spaltung der Kirche in Kleriker und Nichtkleriker mit ihren katastrophalen Folgen ist endlich aufzuheben.

Kirchliche Sexuallehre am verantworteten Gewissen neu ausrichten

Ebenso ist es dringend nötig, die kirchliche Sexuallehre an einer gegenseitigen, im persönlichen Gewissen verantworteten Achtung vor  den Mitmenschen neu auszurichten. Dazu gehört, die menschliche Sexualität als von Gott gegeben zu würdigen und den Plicht-Zölibat nicht als Alleinstellungsmerkmal vorzuschreiben, das die Kleriker über die anderen erhebt. Denn derzeit hat die römisch-katholische Kirche jede Glaubwürdigkeit in Fragen der Sexualität verloren.

Einen wesentlichen Anteil an der schleppenden Aufarbeitung mag auch Kardinal Gerhard Ludwig Müller haben, der von 2012 bis 2017 als Präfekt der Glaubenskongregation weltweit für diese Missstände verantwortlich war. Denn immer leugnete er die strukturellen Ursachen dieser Verbrechen und sprach verharmlosend nur von „Einzelfällen“ und von einer Kampagne gegen die Kirche.

Das ungeheure Ausmaß sexualisierter Gewalt durch Kleriker der römisch-katholischen Kirche ist in den vergangenen Jahrzehnten erst nach und nach offenbar geworden, vor allem in den USA, Irland, Belgien, Australien, Deutschland und zuletzt Chile. In vielen Ländern werden diese Verbrechen immer noch ignoriert und geleugnet. Hinzu kommt die jetzt öffentlich gewordene sexualisierte Gewalt auch gegenüber Ordensfrauen in vielen Ländern. Selbst nach Aussagen des Jesuiten Hans Zollner, Leiter des Kinderschutzzentrums an der Gregoriana und Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission, fehlt es in großen Teilen der weltweiten Kirche noch immer an der Bereitschaft, sich den Strukturfragen von Gewalt innerhalb des eigenen Systems zu stellen.

Acht-Punkte-Plan von Wir sind Kirche International

Direkt nach der Veröffentlichung des erschütternden Pennsylvania-Reports hat Wir sind Kirche International einen konkreten Acht-Punkte-Plan vorgelegt, der u.a. die Öffnung aller Akten, die Ahndung der Vertuschungen durch Bischöfe, die Beratung und finanzielle Entschädigung der Betroffenen, einen öffentlichen Prozess der Versöhnung, die Zusammenarbeit mit den Justizbehörden sowie die Einrichtung von Beratungsstellen umfasst (www.wir-sind-kirche.de/?id=128&id_entry=7140).

Die mittlerweile weltweit vernetzte internationale Reformbewegung Wir sind Kirche ist 1995 in Österreich als Reaktion auf die Vorwürfe sexualisierter Gewalt entstanden, die gegenüber dem damaligen Wiener Kardinal Hans-Hermann Groer erhoben wurden. In Deutschland hat Wir sind Kirche seit 2002 und damit lange vor den deutschen Bischöfen zehn Jahre lang ein niederschwelliges Not-Telefon für Betroffene betrieben. Und trotz vieler Bemühungen bleibt auch für die katholische Kirche in Deutschland in punkto Aufarbeitung und effektiver Prävention noch viel zu tun.

Pressekontakte Wir sind Kirche-Bundesteam:
Magnus Lux, Tel: 0176 41266392, E-Mail: lux@wir-sind-kirche.de
Christian Weisner, Tel: 0172 5184082, E-Mail: weisner@wir-sind-kirche.de

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Buch-Tipps:

Geoffrey Robinson: „Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Ein notwendige Konfrontation“
In seinem Buch „Confronting Power and Sex in the Catholic Church“ hat der emeritierte australische Weihbischof Geoffrey Robinson, selber Opfer und später Vorsitzender des nationalen Komitees zur Klärung der Missbrauchsvorwürfe, bereits 2007 die Zusammenhänge aufgezeigt. Die von Wir sind Kirche erfolgte deutsche Übersetzung ist 2010 bei Publik-Forum erschienen und kann auch über Wir sind Kirche bezogen werden.

Herbert Haag: Worauf es ankommt. Wollte Jesus eine Zwei-Stände-Kirche?
Herder Verlag Freiburg i.Br. 1997

Zuletzt geändert am 28­.08.2018