Frühjahrsvollversammlung DBK Lingen

„Die katholische Kirche in Deutschland steht am Scheideweg“

Pressemitteilung München / Lingen, 8. März 2019

Wir sind Kirche zur Frühjahrskonferenz der deutschen Bischöfe in Lingen (11.-14. März 2019)

1. Akuter konkreter Handlungsbedarf

Nach Ansicht der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche können nach dem enttäuschenden Missbrauchs-Krisengipfel in Rom die Bischöfe die Weichenstellung für die Zukunft der Kirche in Deutschland nicht länger aufschieben, auch wenn der Vatikan bislang noch keine klaren und verbindlichen Regelungen formuliert, wie in den Ortskirchen und Orden transparent mit Verdachtsfällen umzugehen ist.

Nur ein rasches, entschiedenes, konkretes und möglichst gemeinsames Handeln aller deutschen Bischöfe bietet jetzt überhaupt noch die Chance, der größten Glaubwürdigkeitskrise seit der Reformation zu begegnen, die die jahrzehntelang vertuschte sexualisierte Gewalt durch Kleriker gegenüber Kindern, Jugendlichen, Frauen und Ordensfrauen ausgelöst hat.

Klare Worte an die Adresse der Bischöfe sind genug gefallen. Die Bischöfe müssen jetzt handeln, indem sie sich für die lange überfälligen Reformen einsetzen und damit auch ihrer Verantwortung für die Weltkirche gerecht werden. Die Angst vor einer Spaltung der Bischofskonferenz darf nicht zu einem Rückzug derer führen, die die Notwendigkeit von Reformen erkannt haben. Die Menschen wollen nicht auf den letzten Bedenkenträger warten, sondern sie erwarten, dass eine Richtung eingeschlagen wird, die der Kirche Zukunft eröffnet.

Aber auch der deutsche Staat ist gefragt, die römisch-katholische Kirche stärker in die Pflicht zu nehmen, die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden einzufordern und Standards für die Missbrauchs-Aufarbeitung zu entwickeln. Denn die Kirche ist kein Staat im Staate. Eine Trockenlegung des Vertuschungssumpfes geht nur mit Hilfe staatlicher Stellen, wie es sich in Irland oder jetzt Australien und Frankreich zeigt.
 

2. Grundlegender spiritueller und struktureller Reformbedarf

Neben den weiter zu verbessernden Einzelmaßnahmen von Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention bedarf es innerkirchlich der vorbehaltlosen Anerkennung der tieferen Ursachen. Diese liegen – wie es die MHG-Studie im Auftrag der Bischofskonferenz aufgezeigt hat – im klerikalen zölibatären Machtsystem, dem Ausschluss der Frauen von allen Weiheämtern und einer rigiden, aber letztlich nicht befolgten Sexuallehre. Auch der Offene Brief von neun katholischen Männern und Frauen vor dem Krisengipfel in Rom an Kardinal Reinhard Marx, den Wir sind Kirche mit einer Petition unterstützte, zeigt den grundlegenden Reformbedarf innerhalb der Kirche auf. Der jüngste Dokumentarfilm „Gottes missbrauchte Dienerinnen“ (arte, 5.3.2019) zeigt, wie klerikaler Machtmissbrauch und verbrecherische Seilschaften das Leben vieler Menschen und deren Wurzeln des Glaubens bis heute zerstören. Wenn das System Kirche zum Hindernis für den Glauben wird, dann genügt es nicht, ein paar Stellschrauben zu drehen, dann ist ein Systemwechsel angesagt.

Doch ein Teil der Bischöfe erkennt offenbar immer noch nicht, was die Stunde geschlagen hat. Der von einer Arbeitsgruppe von vier Bischöfen gemachte Vorschlag eines „synodalen Prozesses“, um die „Isolation der Bischöfe aufzuheben“, wurde vom Ständigen Rat der DBK in der Gesamt-Bischofskonferenz am 29. Januar 2019 abgeschmettert. Dies muss die Bischofsvollversammlung in Lingen korrigieren. Die Analyse der vier Bischöfe der „existenziellen Krise, die vom Missbrauchsskandal nicht ausgelöst ist, hierin wohl aber einen Brennpunkt findet“ und die von ihnen geforderten Reformen hätten auch von Wir sind Kirche nicht deutlicher formuliert werden können. (1)
 

3. Versäumnisse des Vatikans in der Vergangenheit

Papst Franziskus ist der erste Papst, der so offensiv wie keiner seiner Vorgänger und gegen viele Widerstände auch in den eigenen Reihen das aufzuarbeiten versucht, was jahrzehntelang unter den Teppich gekehrt worden ist. Papst Johannes Paul II. hatte das Thema noch ganz negiert, ja sogar Gemeinschaften gefördert wie die Legionäre Christi und die St. Johannesgemeinschaft, die des geistlichen und sexuellen Missbrauchs bezichtigt werden. Joseph Ratzinger hat als Präfekt der Glaubenskongregation im Jahr 2001 mit dem Dekret „De delictis gravioribus“ alles unter strafbewehrte Päpstliche Geheimhaltung gestellt und in der Glaubenskongregation gebündelt. Als Papst Benedikt XVI. hat er Gerhard Ludwig Müller, der als Regensburger Bischof im Fall des Pfarrers von Riekhofen kläglich versagt hatte, zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt, wo Müller durch sein Nicht-Handeln ganz wesentlich dazu beigetragen hat, die weltweite Missbrauchskrise weiter eskalieren zu lassen. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass im Jahr 2017 seine Amtszeit nicht verlängert wurde.

Die Zeit drängt. Das Zeitfenster, in dem die Kirche ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangen kann, schließt sich. Wenn nach dem KirchenVolksBegehren 1995 in Österreich alle darin genannten Reformpunkte (geschwisterliche Kirche, Weihen für Frauen, freiwilliges Zölibat, Reform der Sexuallehre, Frohbotschaft statt Drohbotschaft) von der Kirchenleitung aufgegriffen und angegangen worden wären, wäre zumindest in den vergangenen 24 Jahren vielen Betroffenen großes Leid erspart worden. Anlass für das KirchenVolksBegehren, das damals fast 2,5 Mio. Menschen im deutschsprachigen Raum unterzeichnet hatten, waren die schweren Vorwürfe sexuellen Missbrauchs durch ehemalige Schüler des damaligen Wiener Kardinals Hans Hermann Groër.

 

4. Wir sind Kirche-Pressekontakt zur Frühjahrsvollversammlung in Lingen:

Christian Weisner, Dachau, Tel: 0172-5184082, presse@wir-sind-kirche.de
Magnus Lux, Schonungen bei Schweinfurt, Tel: 0176-41707725, lux@wir-sind-kirche.de
Dr. Magdalene Bussmann, Essen, Tel: 0201-236006, magda.bussmann@gmx.de
Dr. Wunibald Müller, Würzburg, Tel: 0931-273952, wunibald.mueller@yahoo.de
Annegret Laakmann, Haltern, Tel: 02364-5588, 0175 9509814 laakmann@wir-sind-kirche.de
Annegret Laakmann ist bei rechtzeitiger Kontaktaufnahme ggfs. auch bereit, am 12., 13. und 14. März in Lingen vor Ort zu sein. Sie hatte bereits im Jahr 2002 das niederschwellige Wir sind Kirche-Nottelefon für Betroffene sexualisierter Gewalt in der Kirche aufgebaut und war bis 2014 Referentin der KirchenVolksBewegung.

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Auszug aus dem Strategiepapier der Bischöfe Kohlgraf, Overbeck, Oster und Wiesemann für den Ständigen Rat der DBK am 29. Januar 2019 in Würzburg
„... Die Kirche befindet sich in einer existenziellen Krise, die vom Missbrauchsskandal nicht ausgelöst ist, hierin wohl aber einen Brennpunkt findet. Die Krise ist eine Glaubenskrise, eine Strukturkrise, eine Leitungskrise – mit einem Grundproblem: Leben und Reden fallen in der Kirche weit auseinander. Es braucht einen echten kirchlichen Wandel, der mit einem Mentalitätswandel (Demut) der Verantwortlichen beginnen muss. Die Herausforderungen sind so tiefgreifend, dass auch alle kirchlichen Reformen die Krise nicht einfach überwinden können. Dennoch braucht es diese Reformen – in Deutschland konkret beginnend und in Rom Veränderung einfordernd –, damit die Kirche auch künftig ihrem Auftrag der Verkündigung des Glaubens gerecht werden kann. Subsidiarität ist dabei ein Grundprinzip auch der Kirche. ...“
(www.zeit.de/2019/08/deutsche-bischofskonferenz-sexueller-missbrauch-strategiepapier-missbrauchssynode)

 

 

 

 

 

 

 

 

Zuletzt geändert am 14­.03.2019