31.1.1996 - taz.de

Dogmen machen noch keine Kirche

In katholischen Gemeinden sorgt das „Kirchen Volks Begehren“ weiter für Bewegung. Die InitiatorInnen wurden dafür mit einem kirchenkritischen Preis ausgezeichnet: Eva-Maria Kiklas ist eine von ihnen

■ Aus Dresden Detlef Krell

Wohlmeinende Freunde haben ihr geraten, „die Kirche in Ruhe sterben“ zu lassen. Sie aber gönnt ihrer Kirche diese Ruhe nicht. Sie will Demokratie unter dem Kreuz. Eine „geschwisterliche Kirche“, die ihre Ämter für Frauen öffnet, Priestern und Priesterinnen die freie Wahl ihrer Lebensform zugesteht, Sexualität und sexuelle Vielfalt nicht verteufelt und reglementiert. Eine Kirche für „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“.

Am Montag erhielt die Dresdnerin Eva-Maria Kiklas als Hauptinitiatorin des „Kirchen Volks Begehrens“, das anderthalb Millionen KatholikInnen unterschrieben haben, den Preis der Herbert-Haag- Stiftung „Für Freiheit in der Kirche“ – gemeinsam mit dem Hannoveraner Stadtplaner Christian Weisner und dem Mitherausgeber der Zeitschrift Publik Forum, Dieter Grohmann. Das Kirchen- Volksbegehren, erklärte der Stiftungspräsident, der kirchenkritische Theologe Hans Küng, „ruft die urchristliche Freiheit wieder in Erinnerung und erweist damit der Kirche in schwieriger Übergangszeit einen immensen Dienst“.

Eva-Maria Kiklas wohnt im Dresdner Osten, in einem dieser für den Stadtteil typischen Gründerzeit-Würfelhäuser. Die Elbe fließt in der Nähe, einen Spaziergang entfernt spannt sich das Blaue Wunder über den Fluß. Zur Kinderklinik der Techischen Universität, wo sie als Röntgenassistentin arbeitet, fährt sie mit der Straßenbahn. Im Alltag sind ihre Wege kurz. Doch jetzt ist die 58jährige ständig auf Achse zu Vorträgen, Diskussionen, Streitgesprächen. Zuletzt war sie Gast im Diözesanrat des Landes Thüringen, dem VertreterInnen aller thüringischen Gemeinden angehören, und der sich zunächst gegen das Kirchen- Volksbegehren ausgesprochen hatte.

Auch Weisner und Grohmann seien ständig unterwegs, sagt Kiklas. Die Forderungen des Kirchen- Volksbegehrens treibt die KatholikInnen auch nach der Unterschriftensammlung um, „und Menschen meiner Generation gehören zu den Aufgeschlossensten.“ „Das liegt daran“, glaubt Kiklas, „daß diese Leute vor dreißig Jahren das Zweite Vatikanische Konzil wie eine Befreiung erlebt haben“ und nun erneut auf frischen Wind in der katholischen Kirche hofften.

Eva-Maria Kiklas ist in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Stets verbrachte sie ihre Freizeit „in kirchlichen Bereichen. Das ist mein Lebensrahmen.“ Man könne aus einer Familie nicht einfach aussteigen. Aber man könne sie ändern, glaubt die Reformerin: „Beheimatung muß für alle möglich werden. Nicht nur für die Braven!“ Jesus habe sich hingezogen gefühlt zu den von der Gesellschaft Ausgegrenzten. Die Amtskirche dagegen grenze die aus, die sich nicht ihren Dogmen fügen.

Zwei Jahre lang war Kiklas Jugendreferentin im Bistum Dresden-Meißen. „Ich habe selbst keine Kinder“, sagt die alleinlebende Frau, „da macht es mir besondere Freude, mit Kindern und Jugendlichen zusammenzusein.“ Seit zehn Jahren lädt sie außerdem regelmäßig einen Literaturkreis in ihre Wohnung ein.

160 Gemeinden mit 170.000 KatholikInnen zählt das Bistum Dresden-Meißen. Nur 3,5 Prozent der sächsischen Bevölkerung sind römisch-katholischen Glaubens. Daß bei den Brüdern und Schwestern im Osten weniger Unterschriften zusammenkamen als bei denen im Westen, erklärt Kiklas mit der Geschichte der letzten 40 Jahre: „Die Kirche war in der DDR ein Dach, unter das man sich ganz gern zurückzog. In den Gemeinden hatten wir relativ große Freiheit, wir durften nur nicht nach außen gehen. Dieser Gemeinschaftssinn, das ist etwas, das die Leute bewahren möchten.“

Ein sächsischer Gemeindepfarrer wetterte über die Unruhestifter des Kirchen-Volksbegehrens im MDR-Fernsehen: „So etwas können nur Leute machen, die sonst keine Probleme haben.“ Kiklas hat derlei oft zu hören bekommen und meint, daß gerade wegen solcher Ignoranz „die Kirche in vielen Belangen nicht mehr ernstgenommen wird“. Dabei seien die Themen der Unterschriftensammlung wie die Abschaffung des Zölibats und die Gleichstellung von Klerus und Laien eigentlich „olle Kamellen: Allein das Priestertum für Frauen, eine feministische Forderung, ist neu.“

Umfragen zufolge steht über die Hälfte des Kirchenvolkes hinter den Zielen der ReformatorInnen, „doch in vielen Gemeinden, besonders hier im Osten, wirken noch Ängste.“ Neben denen, daß in Zeiten, wo sich alles ändert, wenigstens die Kirche so bleiben soll, wie sie ist, auch die, sich gegen die Obrigkeit zu stellen. Gleichzeitig wird aber über Demokratie in der Kirche diskutiert wie nie zuvor. Die ReformerInnen berufen sich auf Kirchenrecht. „Den Gläubigen“, versichert der Canon 212, „ist es unbenommen, ihre Anliegen, insbesondere die geistlichen, und ihre Wünsche den Hirten der Kirche zu eröffnen. Sie haben das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen.“

Anliegen, insbesondere geistliche, hat Eva-Maria Kiklas wahrlich genug ihren Amtsbrüdern zu eröffnen: Das Leid, das die Dogmen der Kirche bei ihren Gläubigen verursache, widerspreche der gepredigten Frohen Botschaft. „Ein Priester, der von der Liebe gepackt wird – und das ist doch das beste, was einem Menschen passieren kann –, der verliert sein Amt. Der Zusammenhalt in der Gemeinde sollte viel höher bewertet werden, als der Zölibat, für den es in der Bibel überhaupt keine Grundlage gibt.“

Realität und Kirche würden beständig auseinanderdriften. „Ich möchte mal das junge Paar sehen, das sich noch an das Verbot von Empfängnisverhütung hält.“ Verhütung zuzulassen gehöre zu einer positiven Bewertung von Sexualität, „und die Menschen in der Zwei-Drittel-Welt betrifft das existenziell.“ Wenn der Papst die Pille verbiete – einen Augenblick stockt die bekennende Feministin, bevor sie es ausspricht – „dann ist das ein Verbrechen an diesen Völkern“.

Die sozialen Fragen der Menschheit ließen sich nicht durch Dogmen lösen: „Es ist höchste Zeit“, mahnt Kiklas, „daß die Kirche Vergehen gegen den Frieden angreift, statt jene ,Vergehen‘ gegen ihre Vorschriften zur Sexualität. Ich wundere mich, daß die Kirche dem Staat gegenüber so angepaßt reagiert. Warum schreit sie nicht auf, wenn es um den Bau des Eurofighters geht?“ Soll sie den Regierenden doch sagen: „Wenn ihr euch Christen nennt, dürft ihr diesen Rüstungsgeschäften nicht zustimmen!“ Oder beim Thema Asyl: „Da gibt es ja Initiativen, Kirchenasyl zu gewähren zum Beispiel, aber das reicht nicht.“ Wenn sie darüber nachdenke, packe sie die Wut: „Die Kirche kann sich doch nicht aus allem heraushalten und sich dem Staat nur noch anpassen!“

Gleichwohl zeigt sich Kiklas, die Kirchenkritikerin aus Dresden, voller Zuversicht, daß eine Erneuerung der Amtskirche möglich ist. Schließlich hat sie gerade die Erfahrung gemacht, daß ein verkrustetes System mit den Füßen abgewählt wurde. Den Wendeherbst 1989 sieht sie als „die Hoch- Zeit meines Lebens“. Damals sagte ihr Literaturkreis sogar einer Referentin aus dem Westen ab: „Wir konnten doch nicht in der Wohnung über schöngeistige Themen diskutieren, während auf der Straße Geschichte gemacht wurde.“

Bis in den Dezember hinein hat Kiklas keine Montagsdemonstration ausgelassen: „Ich habe sogar mal überlegt, ob ich in die Politik gehe.“ Heute ist sie zwar froh, daß sie das nicht getan hat. Aber wenn sie so zwischen Arbeitsplatz, Wohnung und Versammlungen hin- und hereilt, dann wünscht sie sich schon manchmal „etwas mehr Zeit für die schönen Dinge des Lebens, Bücher, Theater, ein Glas Wein“. Sie serviert in filigranen Tassen friesischen Tee. Dann setzt sie sich im Sessel zurecht und nimmt den Faden wieder auf: „Aber selbst meine atheistischen Kollegen auf der Arbeit wünschen uns Erfolg.“ Übrigens müsse sich auch die evangelische Kirche von ihren Verkrustungen befreien, das weiß die Katholikin nun aus vielen Gesprächen an den Unterschriftenständen.

Eva-Maria Kiklas zitiert Hans Küng, den sie ebenso achtet wie den Herbert-Haag-Preisträger und geschaßten Prediger Eugen Drewermann. Dieses Kirchen-Volksbegehren, sagt Küng, bringe entweder den „Anfang der Wende in der Kirche“ oder, sollte der Wille des Kirchenvolkes erneut ignoriert werden, den „Anfang vom Ende.“

Zwei Tage bevor sie in Tübingen ihren Preis entgegennahmen, trafen sich die drei Kirchenreformer mit den Initiativgruppen aus der ganzen Republik: „Jetzt geht es erst richtig los“, auch in Flandern, in Südtirol, in England, in den USA. Und selbst der Vatikan wird es irgendwann mitbekommen. „Die österreichische Initiativgruppe will sich um eine Audienz bemühen. Wenn die das schaffen, werden wir uns anschließen.“

(Genehmigung zur Veröffentlichung vom 4.12.2023 von lizenzen@taz.de)

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Zuletzt geändert am 11­.12.2023