27.3.2008 - Neue Westfälische

„Sexualität hatte immer etwas mit Sünde zu

INTERVIEW: Die Theologin Agnes Wuckelt zum Reizthema der katholischen Kirche

Bielefeld/Paderborn. Sexualität als Geschenk Gottes verstehen – das fordert die kirchenkritische katholische Bewegung „Wir sind Kirche“ vom Vatikan und den deutschen Bischöfen. Am Wochenende trifft sich die Vereinigung zum Bundeskongress in Bielefeld, um über „Sexualität in christlicher Verantwortung“ zu diskutieren. Über das Thema sprach David Schellenberg mit Prof. Dr. Agnes Wuckelt, Dekanin an der Katholischen Fachhochschule in Paderborn.

Frau Wuckelt, warum tut sich die katholische Kirche mit dem Thema Sexualität so schwer?

AGNES WUCKELT: In der katholischen Tradition hatte Sexualität immer etwas mit Sünde zu tun, vor allem dann, wenn die Vereinigung von Mann und Frau nicht auf die Fruchtbarkeit in der Ehe ausgerichtet war. Erst seit Mitte der 1970er Jahre gehen die deutschen Bischöfe einen neuen Weg. Sie haben ihr Verständnis von Sexualität um die Aspekte Identität, Beziehung und Lust erweitert. Wieso wurde Sex verteufelt? WUCKELT: Das liegt vor allem in der Geschichte begründet. So hatte etwa der Kirchenvater Augustinus vor seiner Hinwendung zum Christentum viele Frauenbekanntschaften. Als Christ empfand er dieses Leben als sündhaft und band das in seine Lehre ein.

Wie zeigte sich das praktisch?

WUCKELT: Der Körper wurde vernachlässigt und Geist und Seele über ihn gestellt. Durch Askese, also unter anderem die sexuelle Enthaltung, wollte man zum Heil gelangen. Ein wichtiger Aspekt ist auch das damalige medizinische Wissen über Sexualität.

Die Theologie übernahm medizinisches Wissen?

WUCKELT: Ja. Sie ging davon aus, dass im Sperma bereits der ganze neue Mensch enthalten sei. Die Frau empfing also den Embryo – daher erklärt sich auch der Begriff Empfängnis. Denkt man diese Vorstellung konsequent weiter, wird die Ablehnung von Masturbation verständlich. Sie wurde quasi als Mord angesehen. Mit den modernen Erkenntnissen hat sich diese Auffassung gewandelt. Der weibliche Körper hat eine Aufwertung erfahren. Mann und Frau gelten in ihrer Beziehung als gleichberechtigte Partner.

Aber die Ablehnung von Sex vor der Ehe ist geblieben . . .

WUCKELT: Das ist richtig. Die katholische Kirche hat den Schutz und die Würde von Frauen und Kindern besonders im Blick und stellt daher Sexualität in den Raum der Ehe. Dieser Schutz ist wichtig in einer Gesellschaft, in der Sexualität zunehmend zur Ware wird. Das kann die Kirche nicht dulden. Sie muss sich angesichts neuer Formen des familiären Zusammenlebens aber fragen, welche Traditionen sie bewahren und welche sie aufgeben will. Hier sehe ich große Herausforderungen für die katholische Kirche, denn es gibt angesichts der zunehmenden Komplexität keine einfachen Antworten.

Warum lehnt der Vatikan Verhütung immer noch ab?

WUCKELT: Er akzeptiert die natürliche Verhütung. Da die Vereinigung von Mann und Frau neues Leben schaffen kann, spielt sich der Mensch mit Verhütung zum Herrn über Leben und Tod auf. Zudem sind Kinder ein Geschenk Gottes. Die Frage ist allerdings, ob ich mich in jedem Fall mit Geschenken überhäufen lassen muss.

Wird sich die katholische Kirche in der Frage der Sexualität in nächster Zeit bewegen?

WUCKELT: Was die offizielle Linie betrifft, glaube ich das kaum. Die Fragen werden aber sehr unterschiedlich beantwortet. So gibt es beispielsweise einige Bistümer, die Studierende, die ein Kind vor der Hochzeit bekommen haben, konsequent nicht für den pastoralen Dienst einstellen. Andere, wie das Erzbistum Paderborn, versuchen hingegen, diese Studierenden zu unterstützen. Zudem gibt es in der Seelsorge Bewegung. Hier steht der Einzelne mit seiner Lebenssituation im Mittelpunkt. Es kann etwas im Einzelfall richtig sein, was man an sich ablehnt.

Was wäre nötig, damit sich etwas ändert?

WUCKELT: Die katholische Kirche ist in ihren Entscheidungen auf Einstimmigkeit, auf Konsens ausgelegt. Das hat zur Folge, dass Kontroversen nur selten nach außen dargestellt werden. Vielleicht wäre es gut, zu zeigen, dass sich bei einigen Themen keine einhellige Meinung finden lässt.

Zuletzt geändert am 28­.03.2008