15.7.2008 - Süddeutsche Zeitung

Die Rebellen-Pfarrer und der Zölibat

Zehn in einem Freundeskreis vereinte Münchner Priester schreiben einen Brandbrief an Erzbischof Marx – dessen Antwort ist wenig konkret

Von Monika Maier-Albang

Der Brief stammt vom April; und so könnte man sagen: Die Verfasser waren ihrer Zeit einfach voraus. Hatte doch Erzbischof Reinhard Marx erst Ende Juni öffentlich zum Mitdenken aufgerufen, als er das „Zukunfsforum” für das Münchner Erzbistum vorstellte. Zehn in München verwurzelte Priester haben Marx allerdings schon vorher auf sein Osterrundschreiben an die Gemeinden geantwortet. In ihrem Brandbrief bitten sie den Erzbischof unter anderem, über die Zulassungsbedingungen zur Priesterweihe „konkret nachzudenken”, also den Zölibat. Die Autoren sind zum Großteil Priester in Ruhestand und haben so die Freiheit, laut zu sagen, was auch viele ihrer jungen Kollegen umtreibt: „Viele Pfarrer haben Angst, dass sie verschlissen werden”, sagt Karl-Ernst Apfelbacher, einer der Unterzeichner.

Der von Marx auf zwei Jahre angelegte Zukunftsprozess soll die „pfarrliche Seelsorge neu strukturieren” und mit einer „geistlichen Neuorientierung” im Erzbistum verbinden. Konkret wird das wohl vor allem für München bedeuten, dass mehr katholische Gemeinden als bislang mit ihrer Nachbarpfarrei zusammengeschlossen werden oder – in einer noch zu klärenden Art und Weise – kooperieren sollen (SZ berichtete). Mit der Leitung der Pfarreiengemeinschaften will Marx nur Priester beauftragen. Da die aber immer rarer werden, werden sich künftig immer größere Pfarreien-Verbände einen Geistlichen teilen. Das Problem ist kein München-spezifisches, bundesweit fehlt es seit Jahrzehnten am Priesternachwuchs. Die gängigen Antworten darauf aber greifen aus Sicht den zehn Priester zu kurz, die sich seit 1978 im „Freundeskreis Münchner Pfarrer” regelmäßig treffen und die ihren ersten Disput mit einem Erzbischof schon vor Jahrzehnten ausfochten. Damals ging es um das Thema Erstkommunion und Beichte, der Erzbischof hieß Joseph Ratzinger.

Heute treibt den „Freundeskreis” die Sorge um, ob die geplante Neustrukturierung der Seelsorge tatsächlich im Sinne der Gläubigen ist. Die Kirche habe einen konkreten Auftrag zu erfüllen, schreiben die Pfarrer: denen nahe zu sein, die nicht beweglich, sondern gebrechlich sind, die Alten und Kranken. Durch die Zusammenlegung von Gemeinden aber bestehe die Gefahr, dass die Eucharistiefeiern auf gelegentliche „Großveranstaltungen” reduziert würden. Und wer beispielsweise behindert und nicht mobil ist, kann eben nicht teilnehmen.

Acht der zehn Unterzeichner sind im Ruhestand, etwa der frühere Pfarrer von St. Ursula in Schwabing, Karl-Ernst Apfelbacher oder Normann Hepp, der in St. Stephan Pfarrer war, das jetzt Teil der Stadtteilkirche Neuperlach werden soll. Zu den Mitunterzeichnern gehören Walter Hutterer, früher Pfarrer in Milbertshofen, heute Seelsorgemithilfe in der Laimer Pfarrei St. Canisius, Norbert Staab, der 38 Jahre Pfarrer in St. Matthäus im Hasenbergl war, Wilfried Sußbauer, 33 Jahre Pfarrer in der Oberföhringer Pfarrei St. Thomas Apostel oder Anton Tholl, von 1967 bis 1983 Pfarrer in München–Allerheiligen, danach Krankenhausseelsorger. Alle sind sie Seelsorger mit Berufserfahrung und geweiht zu einer Zeit, als das Zweite Vatikanische Konzil noch Anlass zur Hoffnung gab, es könne auch beim Zölibat ein Umdenken geben.

Nach dem Zweiten Vatikanum habe man neue Gemeindemodelle thematisiert, sagt Normann Hepp. Heute habe er leider den Eindruck, „dass das überhaupt kein Thema mehr ist”. Oft gehe es nur darum, Verwaltungsstrukturen zu optimieren und die Sakramenten-Versorgung abzudecken, eine Einstellung, die mit dem diakonischen Auftrag der Kirche nicht vereinbar sei. Würden die Pfarreien künftig „auf Biegen und Brechen zusammengelegt”, warnen die Priester, bestehe die Gefahr einer neuen, „vielleicht nur etwas zweckmäßiger organisierten Mängelverwaltung”. Gerade die jungen Priesterkollegen aber seien beunruhigt, „was da womöglich an ungeklärten neuartigen Leitungsfunktionen auf sie zukommt”, heißt es in dem Brief.

Bei einer vernünftigen Zukunftsplanung, denkt Hepp, dürfe man nicht nur die Strukturen nach der Zahl der Priester ausrichten, sondern müsse überlegen, wie man mehr „geeignete Ordinierte” bekommt. Im Brief wird dazu angeführt, man könne „sicher mit Erfolg viele Pastoral- und Gemeindereferenten bitten, sich ordinieren zu lassen”. Ergänzend sei zu überlegen, „Priester mit Zivilberuf” einzuführen, wie es bei Diakonen bereits möglich ist. Voraussetzung für beides wäre allerdings, dass die katholische Kirche die zwingende Verbindung von Priesterweihe und Zölibat aufhebt. Der Zölibat könne eine „sinnvolle Lebensform” sein, schreiben die Priester. Nur sei eben zu hinterfragen, ob diese Lebensform „im Blick auf das Heil der Seelen stets oberstes Gesetz sein muss”.

Der Erzbischof, sagt Apfelbacher, habe „freundlich geantwortet”, den Absendern zu verstehen gegeben, dass er ihre Befürchtungen für unbegründet halte und die Priester ermutigt, ihre „reichhaltigen Erfahrungen in der Seelsorge in den Prozess einzubringen”. Das Wort Zölibat allerdings kommt in seiner Antwort kein einziges Mal vor.

Zuletzt geändert am 18­.11.2008