15.12.2008 - Imprimatur 8/2008 S. 372-377

„Zu klerikal, zu hierarchisch“ Die Gemeinden bleiben auf der Strecke

Über die immer drastischeren Spar- und Fusionsmaßnahmen der Kirchen in Deutschland

In der Stadt- und Verkehrsplanung wird seit langem und zu Recht das Prinzip der „Stadt der kurzen Wege“ propagiert. Alle wichtigen Einrichtungen sollen, gerade auch für Kinder und ältere Menschen, gut erreichbar sein. Hier ist die Trendwende in Sicht: Innenstadtlagen sind wieder gefragt, Verkehrsberuhigung und Radverkehr machen Wohnquartiere wieder attraktiv. Die Kirchen dagegen scheinen ihrem Ruf und Anspruch treu zu bleiben, dem vermeintlichen Zeitgeist nicht zu folgen.

Nicht anders sind die immer drastischeren Fusions- und Sparmaßnahmen zu deuten, mit denen sowohl in der katholischen wie in der evangelischen Kirche Deutschlands in Jahrzehnten und Jahrhunderten aufgebaute bauliche und personelle Strukturen abgebaut, ja vernichtet werden. Doch wir sollten uns nicht über dieses mit „zwingender Notwendigkeit“ begründete Handeln wundern, wenn Kirchenleitungen sich von Unternehmens-Beratern wie McKinsey und deren fachfremden Experten beraten lassen, die Kirchengemeinden nach dem gleichen Schema wie Postfilialen behandeln. Euphemistisch wird von neuen Aufbrüchen, Leuchtturmprojekten und Synergieeffekten gesprochen, doch der Widerstand vor Ort wächst überall.

Es brodelt in deutschen Bistümern ...

„In den meisten der 27 deutschen Bistümer brodelt es“, schrieb „Die Welt“ vor kurzem. Gläubige protestieren öffentlich gegen „von oben“ verordnete „Zwangsfusionen“ historisch gewachsener Pfarreien. Die Stimmung an der kirchlichen Basis ist emotional aufgeladen, in kirchlichen Gremien fliegen die Fetzen. Im Bistum Aachen sollen 160 Gemeinden zu 45 zusammen gelegt werden. Beispiellos radikal ist der Sparkurs im Bistum Essen, wo 98 Kirchen stillgelegt, geschlossen oder verkauft und verbleibende Gemeinden zu Großpfarreien mit bis zu 40.000 Mitgliedern zusammengefasst werden. Berlin ist schon lange pleite.

Selbst im immer noch überwiegend katholischen Bayern wird die Kirche nicht mehr im Dorf bleiben. Im Erzbistum Bamberg werden aus rund 360 Pfarreien und Kuratien knapp 100 Seelsorgebereiche geschmiedet. Im Bistum Eichstätt wurde vom letzten Bischof die Einrichtung von Seelsorgeeinheiten mit bis zu 9 Pfarreien verfügt. Im Bistum Würzburg soll es bis 2010 flächendeckend Pfarreiengemeinschaften geben.

... und in Evangelischen Landeskirchen

Auch in der Evangelischen Kirche wird radikal gespart. Doch seit dem sehr kontroversen Impulspapier des Rates der EKD „Kirche der Freiheit – Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert“ vom Sommer 2006 gibt es auch auf evangelischer Seite immer mehr Widerstand, und das nicht nur vom Ökumenischen Netzwerk „Initiative Kirche von unten“. Mit den Schlagworten „Gegen Gängelung und Zentralismus von oben“ machte kürzlich das Forum „Aufbruch Gemeinde“ in Nürnberg als innerkirchliche Opposition zum Kurs der Kirchenleitung von sich reden. Tenor: Die Ortsgemeinden haben in Bayern zu wenig Rechte; weg von einer Betreuungskirche hin zu einer Beteiligungskirche. Moniert wird vor allem die fehlende theologische Diskussion, wie die Kirche der Zukunft aussehen soll.

Unter dem Motto „Gemeinden stärken, nicht schwächen“ haben jetzt Pfarrerinnen und Pfarrern im Ruhestand die geplanten Änderungen der Hessen-Nassauischen Kirchen(gemeinde)ordnung kritisch unter die Lupe genommen: „Das mögliche Durchgriffsrecht der Kirchenleitung in alle Bereiche und auf alle Ebenen kirchlichen Lebens führt zwangsläufig zu einer Hierarchisierung, die nicht evangeliumsgemäß ist und die Mündigkeit der Gemeinde infrage stellt.“ Das klingt schon fast wie in der römisch-katholischen Kirche. Befürchtet wird eine Einschränkung der theologischen Orientierung und der offenen Diskussionskultur in der Kirche und auf Synoden. Für evangelischen ChristInnen ist es besonders schmerzhaft, wenn Kirche immer weniger über die Vielzahl der Gemeinden definiert wird, sondern mehr wie eine Großkirche funktionieren soll. Heißt es doch in der Barmer Theologischen Erklärung: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes." Gewarnt wird vor Entscheidungen, die keine ausreichende theologische Begründung haben und die sich nicht auf das biblische Zeugnis und den Grundartikel der Evangelischen Kirche berufen können.

Kurswechsel im Erzbistum München

Für das Erzbistum München und Freising kündigte der neue Erzbischof Dr. Reinhard Marx Anfang März 2008, gerade 33 Tag im Amt, eine „Neustrukturierung der Seelsorge“ an. Seine Maxime, an der Spitze von Pfarreien oder Pfarrgemeinschaften müsse immer ein Pfarrer stehen, ist ein abrupter Kurswechsel gegenüber seinem Vorgänger Kardinal Friedrich Wetter, der das Bistum 25 Jahre mit milder Hand geleitet hat. Ohne das 1,8 Millionen KatholikInnen umfassende große Erzbistum auch nur annähernd zu kennen, erteilte Marx dem bewährten Modell der Pfarrbeauftragten durch Diakone und PastoralreferentInnen eine klare Absage. Die Warnung der Würzburger Synode „ohne eine verantwortliche Bezugsperson leidet die Gemeinde erheblichen Schaden“ hat er damit in den Wind geschlagen.

Der jetzt vom neuen Münchner Erzbischof auf zwei Jahre angelegte Zukunftsprozess soll die „pfarrliche Seelsorge neu strukturieren” und mit einer „geistlichen Neuorientierung” verbinden. Aber wie soll offen über die Pastoral gesprochen werden, wenn die Strukturen schon vorgegeben sind, fragt beispielsweise der Vorsitzende des Münchner Katholikenrats, Uwe Karrer. Der Blick auf die Webseite (www.dem-glauben-zukunft-geben.de) zeigt, wie komplex und wenig transparent der Prozess ist.

„Eloquent wie ein routinierter Fernsehmoderator hat Erzbischof Reinhard Marx seine Vision einer neuen, modernen Seelsorge verkauft“, kommentierte die Süddeutsche Zeitung das erste Treffen des „Zukunftsforums“ am 11. Oktober 2008 in Freising. Die „Bescherung“ kam dann am Ende des Tages, als die Ordinariatsleitung den Strukturplan-Entwurf vorstellte.

„Brutale” Reform der Pfarreien-Landschaft

Das neue Konzept 2020 sieht vor, dass lediglich 47 der insgesamt 747 Pfarreien im Erzbistum München und Freising eigenständig bleiben (die bisherige Planung für 2010 ging noch von 199 Einzelpfarreien aus). Die übrigen Gemeinden sollen zu sogenannten Pfarreiengemeinschaften zusammengefasst werden. Stadt und Region München trifft es besonders hart, dort sollen von 170 Pfarreien nur 23 eigenständig bleiben. In der Regel werden die neuen „pastoralen Räume” zwischen 6.000 und 10.000 Katholiken umfassen. Im Raum München sind aber auch Zusammenschlüsse mit bis zu 16.000 Katholiken geplant. Eine Reform, die selbst einer der Weihbischöfe „brutal” nennt.

Zwar sollen die einzelnen Pfarrgemeinderäte weiter bestehen bleiben, aber ein übergeordnetes Gremium bilden, das verbindliche Absprachen und Zielvorgaben treffen muss. Der Pfarrer soll, um ihn zu entlasten, nur an den Treffen dieses Über-Pfarrgemeinderats regelmäßig teilnehmen. Weniger Beteiligung der Basis und mehr Management von oben werden langfristig das Resultat sein. Die Seelsorge in den künftigen Großpfarreien wird immer unpersönlicher werden.

Für Reinhard Marx baut der Strukturplan auf der Zahl der wenigen Priester auf. „Anders geht es nicht, das muss klar sein“, so Marx wörtlich. Die „sakramentale Struktur“ der Kirche lasse keinen anderen Weg zu. Schon 1990 in seiner Dissertation „Ist Kirche anders?“ konnte sich Reinhard Marx mit Begriffen, die Kirche von unten her interpretieren, nicht anfreunden. Vor seinem Wechsel nach München hatte er in Trier noch per Dekret den Strukturplan 2020 in Kraft gesetzt, der Ängste und Verärgerung nicht nur an der Basis ausgelöst hat. Mit der Umsetzung haben sein Nachfolger und das Bistum jetzt große Mühe.

Zukunftsforum ohne Jugend

„Nichts kopiert von Trier, alles original München“, sagte Marx den Delegierten des Münchner Zukunftsforums und kann darauf verweisen, dass die hiesige Strukturreform schon vor seiner Zeit begonnen wurde. Der jetzt vorgelegte Strukturplan sei aber nicht „ergebnisoffen“, sondern höchstens „ergebnisveränderbar“. Die Delegierten wurden eindringlich aufgefordert, an der Basis Überzeugungsarbeit für das Planwerk des Ordinariats zu leisten. Die Pfarreien, die kooperieren sollen, haben nur noch die Wahl zwischen Fusion und Pfarreiengemeinschaft. „Begründete” Änderungswünsche sind möglich, aber nur in „strukturierter Form“. Und wenn die Gemeinden sich nicht selber einigen, „dann entscheide ich”, so der Erzbischof. Dieser Prozess stellt schon rein zeitlich für viele Gemeinden und Gremien eine Überforderung dar, denn für den Meinungsbildungsprozess auf Pfarrei- und Dekanatsebene, der Entscheidungen für die kommenden Jahrzehnte präjudiziert, sind gerade mal vier Monaten vorgesehen – und das genau während der ohnehin schon vollen Advents- und Weihnachtszeit. Und der anstehende Ökumenische Kirchentag 2010 in München und die Pfarrgemeinderatswahlen im selben Jahr wollen auch vorbereitet werden.

Die Berufung der 123 Delegierten des Zukunftsforums durch die Bistumsleitung orientiere sich an den „Strukturen der verfassten Kirche”, heißt es. „Zu klerikal, zu hierarchisch”, findet Luisa Costa Hölzl vom Münchner Katholikenrat dieses Gremium, dem lediglich 21 Frauen angehören. Die 35.000 Ehrenamtlichen allein im Raum München sind so gut wie nicht repräsentiert. Reformgruppen wurden gar nicht eingeladen. Die Jugend ist lediglich mit zwei auch nicht mehr ganz jungen Delegierten vertreten, so dass eine Zeitung titelte: „Zukunftsforum unter Ausschluss der Jugend“. Dies alles lässt nur den Schluss zu, dass die Erkenntnisse der bischöflichen SINUS-Milieu-Studie, dass die katholische Kirche nur noch maximal drei von zehn gesellschaftlichen Milieus erreicht, im Münchner Ordinariat noch nicht angekommen sind.

Denkanstöße von Wir sind Kirche

Im Juli hatte sich Wir sind Kirche mit sieben „Denkanstößen” zu Wort gemeldet (www.wir-sind-kirche.de) und darin zum Ausdruck gebracht, was viele KatholikInnen in den Gemeinden umtreibt: Wird es in Zukunft künftig nur noch unpersönliche Mega-Pfarreien geben? Wie soll eine individuelle Seelsorge stattfinden, wie sie im Kirchenrecht Can. 529 § 1 CIC detailliert beschrieben ist? Wir sind Kirche plädiert dafür, dass weiterhin haupt- und ehrenamtliche Laien auch in der Leitung der Seelsorge „wichtige Aufgaben übernehmen” – Marx hatte angekündigt, Diakone oder Pastoralreferenten künftig nicht mehr als Pfarrbeauftragte einsetzen zu wollen. Außerdem hofft Wir sind Kirche, dass die Teilnehmenden auch über „grundlegende Reformen” sprechen, „ohne die viele brennende Probleme der Seelsorge nicht gelöst werden können” – etwa die Frage nach den Zulassungsbedingungen zum Priesteramt.

„Der pastorale Nahbereich ist entscheidend für die Zukunft des Glaubens”, heißt es in dem Papier. „Die Gläubigen erwarten dort Stärkung und nicht Liquidation ihrer Strukturen.” Von Bedeutung sei auch, welche Sprache in diesem „Prozess der geistlichen Neuorientierung” gefunden werde, eine „Nähe zum Manager-Vokabular” stehe der Kirche nicht gut an. Insgesamt hoffe man auf einen „breiten Diskussionsprozess”, der nicht nur „der unverbindlichen Diskussion und endgültigen Bestätigung vorbereiteter Beschlüsse diene”. Die Anfragen der Kirchenvolksbewegung seien an die Moderatoren des Zukunftsforums weitergeleitet worden, verlautete aus dem Ordinariat; wie sie dann in die Vorbereitung eingeflossen sind, konnte und wollte man allerdings nicht mitteilen.

Ein Freundeskreis Münchner Priester, in der Mehrzahl altgediente erfahrene Seelsorger, hatte dem neuen Erzbischof bereits im April in einem eindringlichen Schreiben (> Offener Brief aus München Imprimatur 8/2008 seine Sorgen um die Seelsorge vor allem alter und kranker Menschen sowie um die Seelsorger selber geschildert. Viele Pfarrer haben Angst, verschlissen zu werden, und sind beunruhigt, was da an „ungeklärten neuartigen Leitungsfunktionen“ auf sie zukommt. Der Freundeskreis sieht die Gefahr einer neuen, „vielleicht nur etwas zweckmäßiger organisierten Mängelverwaltung”. In ihrem Brandbrief baten die Priester den Erzbischof, auch über die Zulassungsbedingungen zur Priesterweihe „konkret nachzudenken”. Die Antwort des Erzbischofs war freundlich aber wenig konkret. Selbst die Mahnrufe von Altbischöfen scheinen bisher ungehört zu verhallen („Ein Bischof schüttet sein Herz aus“, Kirche In, September 2008).

Die falschen Berater?

Inzwischen warnen sogar die Unternehmensberater von McKinsey, selbst als kompromisslose Sanierer bekannt, die Bistümer davor, sich nur auf Sparpotenziale zu fixieren und plädieren für Spiritualität und Seelsorge. Für die Antriebskraft innerhalb einer Organisation, die in erster Linie Hoffnung vermitteln soll, wäre die Fixierung aufs Sparen besonders kontraproduktiv. Übrigens haben Unternehmensberater selber festgestellt, dass bei mehr als der Hälfte der Fusionen von Firmen nicht Werte geschaffen sondern vernichtet werden. In drei von vier Fällen, so haben Untersuchungen ergeben, sind die gesetzten Ziele nach zwei Jahren noch nicht erreicht worden. Dreiviertel der untersuchten Unternehmen hatten selbst nach zehn Jahren die Kosten der Fusion noch nicht wieder hereingeholt. Dies sollte auch die kirchlichen Umstrukturierer hellhörig machen.

Übergroße Seelsorgeräume mit einem geweihten Seelsorge-Manager irgendwo an der Spitze werden die Glaubens- und Gemeindeerosion nur beschleunigen. Die zwangsweise von oben verordneten Umstrukturierungen bewirken vielmehr einen massiven Verlust ehrenamtlicher Kompetenz, und das, obwohl – nicht nur angesichts der notwendigen Sparmaßnahmen – ehrenamtliche Arbeit eigentlich immer mehr gefragt sein müsste.

Da klingt es gut, wenn der Vorsitzende der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), der Erfurter Bischof Joachim Wanke, erklärt: „Die katholische Kirche in Deutschland wird eine Kirche der Ehrenamtlichkeit sein, oder sie wird nicht mehr sein“. Wenn Ehrenamtliche in der Seelsorge mehr Verantwortung erhalten sollen, wie Wanke meint, dann müssen sie allerdings auch entsprechend qualifiziert, gefördert und begleitet werden – vor allem aber auch mehr Rechte der Entscheidung und Mitbestimmung erhalten. Trotz seiner Diaspora-Erfahrung setzt aber auch Wanke leider mehr auf „Leuchttürme“ sowie kirchliche Schulen, Kindergärten und Sozialeinrichtungen als „Knotenpunkte der Pastoral“ statt auf eine Gemeindearbeit, die den Menschen nahe ist.

Erzbischof Marx hat in der jüngsten Vollversammlung des Päpstlichen Laienrats in Rom versucht, die „Gestaltungsfreiheit“ bei kirchlichen Diensten und Ämtern in die Diskussion zu bringen. Damit meint er aber wohl, dass Laien vor allem in die Welt hinein wirken – und nicht in kirchlichen Gremien. Für die Frauen sieht er allenfalls die offizielle Zuerkennung des Lektorinnen-Amts – das sie de facto schon lange ausüben. Denn es müsse, so Marx, „ganz klar sein, dass die drei Weihestufen Diakonat, Priesteramt und Bischofsamt eine Einheit sind, die den Männern vorbehalten ist.“

Die Kehrtwende Ratzingers

Da war selbst Joseph Ratzinger – zumindest damals – schon weiter, als er 1970 noch als Professor schrieb: „Die Kirche der Zukunft .... wird neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen die im Beruf stehen, zu Priestern weihen“. Und: „Kirche als solche, konkret als jeweilige Gemeinde, ist das eigentliche Subjekt, worauf sich alles bezieht.“ Doch schon 1982, kurz nach seiner Beförderung zum Präfekten der Glaubenskongregation fragte er, „Welche Rechte hat die Gemeinde also? Wer oder was ist sie überhaupt?“, und stellte fest, dass der Begriff der „Gemeinde“ gar nicht aus der katholischen Tradition stamme und dass das Zweite Vatikanum ihn gar nicht kenne. Ganz deutlich wird seine Kehrtwende gegenüber 1970, als er 1982 in seiner „Theologischen Prinzipienlehre“ zum Recht der Gemeinde auf Eucharistie schreibt: „Wo aber die Kirche nicht genügend Priester hervorbringt und nicht genügend Menschen zum ungeteilten, auch ehelosen Dienst für Gottes Reich zu begeistern vermag, da ist auch an der Eucharistiefähigkeit zu zweifeln.“

Das jetzt von manchen Bischöfen gebrauchte Argument, es gäbe nicht nur einen Priestermangel sondern vor allem einen Gläubigenmangel, greift zu kurz: Laut Statistik der Deutschen Bischofskonferenz ist die Zahl der eingetragenen Kirchenmitglieder in Deutschland zwischen 1990 und 2006 um 9,1 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Welt- und Ordenspriester dagegen um mehr als das Dreifache. Selbst wenn die Gemeinde- und PastoralreferentInnen hinzugezählt werden, ist der Rückgang der seelsorgenden Personen immer noch mehr als doppelt so stark wie der der Kirchenmitglieder.

Alarmierende Zeichen

Im Jahr 2008 hatten die 27 deutschen Bistümer zusammen erstmals weniger als 100 Neupriester. Auch die Zahl der Neueintritte in die Seminare ist rückläufig. Da ist es umso unverständlicher, wenn Bischöfe alles auf den Priester fokussieren und z.B. der neue Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, die Bezeichnung Seelsorger nur für die Priester reservieren will. Haupt- wie ehrenamtliche „Laien“ dürfen nicht zurückgestuft werden, selbst wenn Frauen und Männern, die mit der Gemeindeleitung beauftragt werden, gegenwärtig nicht die Priesterweihe angeboten wird, weil das Kirchenrecht (noch) der pastoralen Praxis hinterherhinkt.

„Die Wucht der Zahlen müsste eigentlich heftigste Beunruhigung über den anhaltenden Reformstau in substanziellen Lebens- und Glaubensfragen wie bei gravierenden Strukturproblemen der Kirche auslösen“, kommentiert die katholische Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ die aktuellen Zahlen. Und dabei handelt es sich erwiesenermaßen keineswegs nur um binnendeutsche Sonderprobleme, wie die immer stärker werdenden weltweiten Diskussionen um Pflichtzölibat und Frauenordination zeigen. Doch der Vorsitzende der Regentenkonferenz und Münchner Regens Franz Joseph Bauer wiegelt ab und sieht nicht das Zölibat als Ursache des Abwärtstrends, sondern vielmehr die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Da stellt sich die Frage, warum die deutschen Bischöfe den vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken eingeforderten Dialog über pastorale Zukunftsfragen solange blockiert haben. Zur Erinnerung: Das ZdK-Papier „Dialog statt Dialogverweigerung“ aus dem Jahr 1991 ist sogar älter als das KirchenVolksBegehren. Nicht nur in Deutschland erwarten die Gläubigen von ihren Bischöfen, dass diese endlich den Mut finden, die Anliegen der Ortskirchen nach Rom zu bringen. Dieser Aufgabe eines „guten Hirten“ sind die katholischen Bischöfe Deutschlands bisher nicht – zumindest nicht wahrnehmbar – nachgekommen.

Was eigentlich eine Aufgabe der Bischöfe wäre, das haben z.B. die Frauen aus der weltweiten Frauenordinationsbewegung im Oktober während der Bischofssynode in Rom getan, als sie ihren Appell direkt dem Vatikan überreichten. Und die österreichische „Pfarrer-Initiative“, die immerhin rund ein Zehntel aller Priester und Diakone der österreichischen Diözesen vertritt, hat bei ihrem Gespräch Anfang November 2008 in der vatikanischen Glaubenskongregation versucht, die aktuellen Herausforderungen für die Kirche aus der Sicht des Seelsorgers zur Sprache zu bringen – einschließlich der sogenannten „Reizthemen“ wie Pastoral für Wiederverheiratete, Verantwortung der Laien, ökumenische Gemeinschaft am Tisch des Herrn bis hin zum Frauenpriestertum. Der Reformstau ist auf der Tagesordnung, die heißen Eisen dürfen nicht länger ausgeklammert werden.

Christian Weisner, Bundesteam der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche
weisner@wir-sind-kirche.de

Offener Brief aus München
> Imprimatur 8/2008

Zuletzt geändert am 18­.12.2008