3.2.2009 - Süddeutsche Zeitung

„Ärger, Unmut, Empörung”

Katholiken kritisieren Gnadendekret des Papstes für Holocaust-Leugner / Ämter melden mehr Kirchenaustritte

Von Charlotte Frank und Johann Osel

München – Nur vier Worte braucht Christian Weisner, um die Stimmung zu beschreiben, die in diesen Tagen Katholiken aus ganz Deutschland umtreibt: „Ärger, Unmut, Enttäuschung, Empörung”. So fasst der Vorsitzende der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche” zusammen, wie sich viele Katholiken fühlen, seit Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation von Bischöfen der traditionalistischen Pius-Bruderschaft aufgehoben hat, unter ihnen der bekennende Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson.

Eine kritische Online-Petition von „Wir sind Kirche”, in der die Unterzeichner die „uneingeschränkte Anerkennung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils” fordern, haben allein binnen drei Tagen mehr als tausend Menschen unterschrieben, sagt Weisner, vom renommierten Theologieprofessor über hohe kirchliche Funktionsträger bis hin zum katholischen Gemeindemitglied. Dass die Petition die Entscheidungen des Papstes in ungewöhnlich scharfen Sätzen angreift – etwa: „Diese Rückwärtswendung lässt die Rückkehr von Teilen der römisch-katholischen Kirche in eine antimodernistische Exklave befürchten” – scheint die Unterzeichner dabei kaum zu stören. Im Gegenteil: „Die Zuschriften gehen bei uns im Minutentakt ein”, sagt Christian Weisner, die Entrüstung im Kirchenvolk sei immens.


Das bekommen auch die Mitarbeiter zahlreicher Standesämter in Deutschland zu spüren – die Behörden sind zuständig für die Kirchenaustritte evangelischer und katholischer Christen. In der Stuttgarter Innenstadt etwa wurden allein am Montag sechs Austritte aus der katholischen Kirche gemeldet. „An normalen Tagen sind es im Durchschnitt zwei Austritte”, sagt eine Mitarbeiterin. So stehen den sechs jüngsten Austritten in Stuttgart-Innenstadt 63 Austritte im gesamten Monat Januar gegenüber.

Auch in Saarbrücken wird ein leichter Anstieg der Kirchenaustritte im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet: „In den vergangenen zwei Wochen wurden bei uns 17 Austritte aus der katholischen Kirche registriert”, sagt eine Mitarbeiterin, das sei etwas mehr als im Vergleichszeitraum 2008. Und Jürgen Mannebeck vom Amtsgericht Köln, das in Nordrhein-Westfalen für Kirchenaustritte zuständig ist, sagt, eine Statistik liege ihm noch nicht vor, aber auch so sei einigen Kölner Rechtspflegern eine erhöhte Zahl von Austritten bereits aufgefallen. „Verlässliche Zahlen werden wir in den nächsten Wochen bekommen, wenn Statistiken vorliegen”, so Mannebeck.

Die öffentlich geäußerte Kritik aus dem katholischen Kirchenvolk an der Politik des Vatikans riss auch am Montag nicht ab – vielmehr wurde sie wegen der Ernennung des erzkonservativen Priesters Gerhard Maria Wagner zum neuen Linzer Weihbischof vom Wochenende noch befördert. Deutlich äußerte sich etwa Dirk Tänzler, der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Er nannte die Entscheidungen des Papstes „für die meisten Jugendlichen unverständlich”. Junge Katholiken würden im Freundeskreis, in der Schule oder am Ausbildungsplatz mit diesen Maßnahmen konfrontiert. „Sie müssen etwas rechtfertigen, was sie zum Großteil weder verstehen noch mittragen können oder wollen”, sagte Tänzler. Somit schade Benedikt XVI. nicht nur „dem Image der Kirche in Deutschland, sondern auch der katholischen Jugendarbeit”.

Ähnlich äußerte sich Stefan Vesper, der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Er sprach von „vielen Reaktionen voller Enttäuschung und Ratlosigkeit” und bedauerte, „dass die Glaubwürdigkeit der Kirche in Frage gestellt wird”. Es sei zwar eine wichtige Aufgabe des Papstes, sich um die Einheit der Kirche zu mühen, „die Einheit mit einigen darf aber nicht zu einer Erschütterung der großen Zahl von Menschen führen, die in der Mitte der Kirche sind”, sagte Vesper.

Derweil prüft der Zentralrat der Juden in Deutschland seine Teilnahme an der „Woche der Brüderlichkeit” in Hamburg. „Ich kann nicht ausschließen, dass unsere Gremien die Veranstaltungen in Frage stellen”, sagte Generalsekretär Stefan Kramer der Zeitung Die Welt. Die „Woche der Brüderlichkeit” wird seit 1952 vom Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit organisiert.

„Wir sind Kirche” stellt kritische Petition ins Internet

ZdK sieht Glaubwürdigkeit der Kirche in Frage gestellt

Zuletzt geändert am 16­.02.2009