9.6.2009 - Kipa

Alt Bundesrichter Giusep Nay zu römischem Urteil gegen "Wir sind Kirche"-Aktivisten "Dieses Urteil verhindert autonomes Mitdenken und Mitwirken von Laien"

Zürich, 9.6.09 (Kipa). Der ehemalige Präsident des Schweizerischen Bundesgerichts, Giusep Nay, kritisiert das Dekret, mit dem der oberste Gerichtshof der katholischen Kirche im Vatikan am 14. März einen Schlusspunkt unter einen jahrelangen innerkirchlichen Rechtsstreit in Deutschland gesetzt hat. Das Dekret verhindere "ein autonomes Mitdenken und Mitwirken" von Laien in der Kirche. Es erlaubt Bischöfen, Mitstreiter der "Wir sind Kirche"-Bewegung" aus kirchlichen Gremien auszuschliessen. Die deutsche Zeitschrift "Publik-Forum" (Oberursel) wird in ihrer Ausgabe vom 11. Juni eine leicht gekürzte Fassung der Stellungnahme von Nay publizieren, die der Presseagentur Kipa vorliegt.

Wer sich den öffentlichen Protesten der Organisation gegen Papst, Bischöfe und Lehramt anschliesse, mache sich "unfähig für die Mitgliedschaft in kirchlichen Räten", hiess es im Dekret. Der Richterspruch beendete einen innerkirchlichen Rechtsstreit in Deutschland zwischen dem ehemaligen Regensburger Diözesanratsvorsitzenden Fritz Wallner und dem Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller. Wallner, der bei mehreren demonstrativen Aktionen gemeinsam mit "Wir sind Kirche"-Aktivisten aufgetreten war, konnte in seiner Heimatgemeinde nicht mehr in die Kirchenverwaltung gewählt werden.

"Ein solches Urteil verhindert ein autonomes Mitdenken und Mitwirken von Laien" beim Erkennen der Zeichen der Zeit und dem Handeln nach ihnen, schreibt Nay in seinem Kommentar. Es bedeute, dass auch berechtigte Kritik an Entscheidungen von kirchlichen Amtsträgern zu Ausgrenzung von Gläubigen führen kann, die "gleich denken und fühlen sollten". Man könne allerdings hoffen, dass sich die Bischöfe nicht solcher Mittel bedienten.

Kein Präjudiz
Von einem Urteil mit Präjudizcharakter könne hier nicht gesprochen werden, fährt Nay weiter. Dafür hätte nach allgemeinem Rechtsverständnis die Beschwerde Wallners zugelassen werden müssen. Und es hätte näher geprüft und begründet werden müssen, wann eine Überschreitung des Rechts, den Hirten die eigene Meinung kundzutun in dem, was das Wohl der Kirche angeht, vorliegt und wann nicht. "Weil das nicht der Fall ist, können Mitglieder von kirchlichen Räten nicht wissen, was eine erlaubte und was eine unerlaubte Meinungsäusserung ist", folgert Nay. Sie würden verunsichert und eingeschüchtert, "weil sie nicht auf einen effektiven Rechtsschutz innerhalb der Kirche hoffen können".


Schweiz nicht betroffen
Die engagierten Laien in der Schweiz, so Nay in seiner Stellungnahme, betreffe das "insoweit nicht, als sie im Rahmen der Zuständigkeiten der Kirchgemeinden und Kantonalkirchen als staatskirchenrechtliche Organisationen die kirchlichen Amtsträger unterstützen und deren Entscheidungen nötigenfalls auch kritisch hinterfragen können, ohne Gefahr zu laufen, ihrer Funktionen enthoben zu werden".

Mit Preis gewürdigt
Alt Bundesgerichtspräsident Giusep Nay ist im Oktober 2008 in Luzern mit dem Preis der Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche ausgezeichnet worden. Nay setze sich konsequent für faire und menschenwürdige Verfahren in der Kirche ein, hiess es in der Würdigung. Er fordert, dass auch die innerkirchlichen Prozeduren den allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen entsprechen müssen. Er macht sich aber auch stark für das Religionsrecht, wie es in der Schweiz als "Staatskirchenrecht" Tradition hat: Die Mitglieder einer Kirche organisieren sich selbst in Kirchgemeinden, Kantonalkirchen und Synoden, um Kirchensteuern zu verwalten und als Arbeitgeber des kirchlichen Personals zu fungieren.

(kipa/publikforum/gn/arch/bal/job)

Quelle: http://www.kipa-apic.ch/index.php?pw=&na=0,0,0,0,d&ki=195811

Zuletzt geändert am 09­.06.2009