Wissenschaftler werfen Papst Schwäche vor

Ein schwacher Papst, mangelnde Koordination und Strukturen, die Intrigen Vorschub leisten: Wissenschaftler stellen dem Vatikan ein verheerendes Zeugnis aus.

Die Kurie sei bis heute wie eine Monarchie strukturiert, die Intrigen Vorschub leiste, berichtete die Forschungsgruppe „Religion und Politik“ der Universität Münster am Freitag. Die Mitteilung bezieht sich auf die Vortragsveranstaltung „Fünf Jahre Benedikt XVI. -­ nichts als Pannen?“ am Donnerstagabend unter anderen mit dem Berliner Politologen Otto Kallscheuer und dem Münsteraner Sozialethiker Karl Gabriel. „In fünf Jahren hat Benedikt XVI. nie ein Machtwort gesprochen oder eine klare Entscheidung getroffen“, wurde Kallscheuer zitiert. Den Vatikan-Behörden warfen die Wissenschaftler einen „katastrophalen Mangel an Koordination“ vor.">

Als Beispiele für Pannen nannte der Wissenschaftler den Umgang mit dem Holocaust-Leugner Richard Williamson von der Piusbruderschaft und Äußerungen des Papstes, Kondome seien keine Lösung für das Aids-Problem. Kallscheuer verwies zudem auf eine missverständliche Rede des Papstes in Auschwitz und die Islam-Vorlesung in Regensburg. All das führte zu vorhersehbaren Konflikten, an deren Ende der Papst stets die Medien beschuldigte, ihn missverstehen zu wollen.">

Weltpolitische Chance vertan">

Gabriel kritisierte die zentralistische Autoritätsstruktur des Vatikans. Eine solche Institution lasse sich nicht mehr von einer Person allein regieren. Er warf dem Papst außerdem vor, er ignoriere das Säkulare der modernen Welt. Er komme nicht damit zurecht, dass die katholische Kirche nur noch eine von vielen Religionen im globalen Weltanschauungsmarkt darstellt.">

Beide Experten bedauerten, dass Benedikt XVI. durch die Pannen eine weltpolitische Chance vergebe. Die Kirche könne wie kaum eine andere Institution die Rolle eines moralischen Global Player übernehmen. Seit Beginn des Pontifikats scheine jedoch das Gegenteil der Fall zu sein.">

„Wir sind Kirche“ fordert Sexualdebatte">

Auch die Laienbewegung „Wir sind Kirche“ hat die Kirchenoberen zum Handeln aufgefordert. „Die Bischöfe und der Vatikan stehen in vorderster Verantwortung. Es liegt an ihnen, endlich die richtigen Lehren und Konsequenzen zu ziehen“, sagte der Sprecher der Reformbewegung, Christian Weisner mit Blick auf zuvor bekanntgewordene neue Missbrauchsfälle. Die katholische Kirche müsse ihre Sexuallehre und ihr Priesterbild überdenken. Zudem müssten die Sanktionen für die Täter verschärft, etwa die Verjährung abgeschafft werden.">

„Wir haben den Eindruck, dass der von dem Skandal betroffene Jesuiten-Orden in vorbildlicher Weise Aufklärung betreibt und eine hohe Transparenz beweist“, sagte Weisner. „Bei der Deutschen Bischofskonferenz und den Verantwortlichen in Rom können wir das noch nicht so erkennen.“ Für die Opfer und auch für die Kirche selber wäre es das Schlimmste, wenn dieses Thema, so schwierig es auch sei, nach einigen vagen Entschuldigungen wieder in der Versenkung verschwinden würde.">

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) kommt von Montag an in Freiburg zu ihrer Frühjahrsvollversammlung zusammen. Der Missbrauchsskandal wurde kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt. Der BDK-Vorsitzende, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, hat sich bislang nicht geäußert. Weisner kündigte an, die Bewegung „Wir sind Kirche“ werde die Bischöfe am Montag in Freiburg mit einer Mahnwache zum konsequenten Handeln auffordern. „Es geht um ein strukturelles Problem“">

„Mittlerweile muss doch allen klar sein, dass wir es nicht nur mit Einzelfällen zu tun haben“, sagte Weisner. „Es geht um ein strukturelles Problem.“ Dies zeigten auch die Missbrauchsfälle in Irland, in den USA und Australien. Ursachen seien „die strikte Sexualmoral der katholischen Kirche, ein überhöhtes männliches Priesterbild sowie autoritäre hierarchische Strukturen“. Dadurch würden sexuelle Übergriffe erst möglich. Diese Strukturen, und damit auch die kirchliche Sexuallehre, müssten auf den Prüfstand.">

„Ohne eine Enttabuisierung in der Sexuallehre und eine grundlegende Änderung in der Einstellung zur menschlichen Sexualität wird der Teufelkreis von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in der römisch-katholischen Kirche nicht zu durchbrechen sein“, sagte Weisner. „Die Kirche braucht eine grundlegend andere Einstellung zur Sexualität, eine positive Bewertung der Sexualität.“ Eine Debatte nur um das Zölibat greife zu kurz.
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URL: http://www.focus.de/politik/ausland/papst/katholische-kirche-wissenschaftler-werfen-papst-schwaeche-vor_aid_482171.html

Zuletzt geändert am 20­.02.2010