25.2.2010 - Rheinischer Merkur

Bischöfe streiten mit Berlin

Missbrauch ist das beherrschende Thema beim Treffen in Freiburg. Die Konferenz geht die Aufarbeitung entschlossen an. Und wehrt sich gegen Vorwürfe aus der Bundesregierung.

VON VOLKER HASENAUER, FREIBURG

Die Lawine rollt weiter. Täglich tauchen neue Hinweise auf – meist verjährte – sexuelle Missbrauchsfälle im kirchlichen Raum auf. Es trifft Vorzeigeschulen wie die im bayerischen Benediktinerkloster Ettal. Der Jesuitenorden spricht von mehr als 120 Fällen. Auch andere katholische Orden müssen Vorwürfen nachgehen. Entgegen den ursprünglichen Planungen ist daher der Missbrauchsskandal zum dominierenden Thema der Frühjahrsvollversammlung der katholischen Bischöfe geworden.

Es geht in Freiburg um eine Bestandsaufnahme der Debatte, um Antworten, wie es zu den Übergriffen kommen konnte und weshalb sie jahrzehntelang verschwiegen wurden. Die Bischöfe wollen eine gemeinsame Arbeitsgruppe einrichten, die Vorschläge für mehr Opferhilfen und für breitere Prävention erarbeiten soll sowie die Richtlinien bei der Priesterausbildung überprüft.

Von einer ruhigen Debatte des Themas sind die Kirchenführer weit entfernt. Mehr als 100 akkreditierte Journalisten verfolgen das Bischofstreffen. Ein Dutzend Fernsehkameras zeichnete das Eröffnungsstatement des Konferenzvorsitzenden und Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch auf.

Zollitsch entschuldigte sich im Namen der Kirche bei allen Opfern und legte ein deutliches Bekenntnis zur „lückenlosen und transparenten Aufklärung“ aller Verdachtsfälle ab. Er bezeichnete Missbrauch als „abscheuliches Verbrechen“ und schwere Sünde. Und er sagte zu, auch mit Papst Benedikt XVI. über die Lage zu sprechen. Sein Signal lautete: Konsequenzen aus den Missbrauchsvorfällen sind Chefsache und müssen im weltkirchlichen Rahmen abgestimmt werden.

Welche Maßnahmen die Bischöfe nach ihrer Vollversammlung ergreifen wollen, beantwortete Zollitsch zunächst nicht und verwies stattdessen auf die Arbeitsgruppe. Darin soll es auch um eine Überarbeitung der seit 2002 geltenden kirchlichen Leitlinien gehen. Grundsätzlich haben sie sich aus Sicht der Bischöfe bewährt. Zudem soll die Priesterausbildung in den Blick kommen. „Künftige Priester müssen menschlich und damit auch in sexueller Hinsicht über die Eignung und nötige Reife für ihr Amt verfügen“, formuliert Zollitsch.

Pauschale Verurteilung und Generalverdächtigungen gegen alle Geistlichen weist Zollitsch energisch zurück. Missbrauch sei kein systemisches Problem der Kirche und dürfe nicht ursächlich mit dem Zölibat verknüpft werden. Aber weil Kirche an Gläubige hohe moralische Ansprüche richte, wiege jeder Missbrauchsfall besonders schwer, zumal es ein „besonderes Vertrauen von Kindern und Jugendlichen in den Priester gibt“. Ähnlich wie zuvor der Bischofskonferenzsekretär Pater Hans Langendörfer spricht auch Zollitsch von einer dunklen Seite der Kirche.

Neben Anerkennung für die lange erwarteten offenen Worte der Entschuldigung lässt jedoch auch die Kritik nicht lange auf sich warten: „Zollitschs Äußerungen sind ein wichtiger Schritt, aber sie reichen nicht aus“, sagt etwa der Sprecher der Initiative „Wir sind Kirche“, Christian Weisner. Gemeinsam mit einer Handvoll Aktivisten organisiert er vor dem Freiburger Münster eine Mahnwache – und schafft es unter den gelben „Bischöfe, stoppt den sexuellen Missbrauch!“-Spruchbändern in alle Nachrichtensendungen. Seine Forderungen gehen weit über das hinaus, was die Bischöfe angekündigt haben. Dazu hat „Wir sind Kirche“ einen Zehn-Punkte-Katalog vorgelegt, der unter anderem eine bundesweit einheitliche unabhängige Anlaufstelle für Opfer fordert, eine engere Zusammenarbeit von Kirche und Staatsanwaltschaft anmahnt und die Kirche zu einer grundlegenden Neubewertung von Sexualität aufruft.

Auch die von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) angestoßene Idee eines Runden Tischs kommt in Freiburg ins Gespräch. Dort sollen – nach Vorbild der Aufarbeitung der Heimkinder-Problematik – unabhängige Experten, Opfer und Kirchenvertreter zusammenkommen. Leutheussers Interview in den „tagesthemen“ sorgte für einen handfesten Eklat und eine beispiellose Konfrontation zwischen der katholischen Kirche und der Bundesregierung. Die Ministerin warf der Kirchenführung vor, nicht an einer vollständigen Aufklärung interessiert zu sein und nicht angemessen auf die „immer neuen“ Enthüllungen zu reagieren. Zollitsch hielt Leutheusser-Schnarrenberger daraufhin falsche Tatsachenbehauptungen entgegen und stellte ihr ein Ultimatum, ihre Interviewäußerungen zurückzunehmen. Sie will dagegen schriftlich auf die Kritik an ihrer Kritik reagieren. Am Dienstag telefonierte Zollitsch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Ministerin. Niemals zuvor, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz in Freiburg, habe ein Mitglied der Bundesregierung eine „ähnlich schwerwiegende Attacke“ gegen die katholische Kirche unternommen.

Und er schob empört nach, dass sich die Justizministerin offenbar zum eigenen Vorteil auf „eine Welle setzen“ wolle. Ihre Worte könnten den Eindruck erwecken, die bekannt gewordenen Fälle seien aktuell und lägen nicht 25 bis 30 Jahre zurück. Zollitsch wehrte sich auch gegen Leutheussers Vorwurf, beim Missbrauch nicht mit der staatlichen Justiz zusammenzuarbeiten: „Die Kirche will im Gegenteil bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch keinen Sonderweg.“

Trotz der Wellen verläuft die Debatte der Bischöfe im engen Sitzungssaal des von der Öffentlichkeit abgeschirmten Freiburger Kolpinghotels mit großem Ernst. Nach dem Austausch im Plenum war externer Expertenrat gefragt. Der Essener Psychiater und Missbrauchsexperte Norbert Leygraf berichtete von Forschungen der forensischen Psychiatrie. Der Kölner Psychiater Manfred Lütz brachte den Blick aus der klinischen Praxis im Umgang mit Opfern und Tätern ein. Dietfried Scherer, der Leiter der Freiburger Schulstiftung, dachte über Perspektiven für Schulen nach. Mit Offenheit ist ein erster, wichtiger Schritt getan.

Zuletzt geändert am 24­.02.2010