21.3.2010 - Welt-online

Papst könnte sich noch zu deutschen Fällen äußern

Von Gernot Facius

Dass der Papst in seinem Hirtenbrief nicht explizit auf die Missbrauchsfälle in der Deutschen Kirche eingegangen ist, hat viele Christen enttäuscht. Für die Amtskirche steht hingegen fest: Die Worte des Heiligen Vaters gelten weltweit. Zugleich mehren sich die Anzeichen, dass Benedikt XVI. doch noch zu Deutschland Stellung nimmt.

Nach dem Hirtenbrief des Papstes an die irischen Katholiken gewinnen Vermutungen an Substanz, das Kirchenoberhaupt werde doch noch ein offizielles Wort zu den Missbrauchsfällen in Deutschland sagen. Hoffnungen weckte Vatikansprecher Federico Lombardi mit der Bemerkung, Benedikt XVI. werde einen „angemessenen Weg finden, um auch auf die deutsche Situation Bezug zu nehmen“.

In seinem im Dezember 2009 angekündigten und am Samstag veröffentlichten Schreiben an die von Sex-Skandalen erschütterte irischen Kirche hatte der Papst zwar „Scham und Reue“, bekundet, war aber zur Enttäuschung vieler mit keiner Silbe auf vergleichbare Fälle in seiner Heimat eingegangen (den Hirtenbrief im Wortlaut finden Sie hier ). Lombardi beließ es zunächst bei dem Hinweis, dass das Kirchenoberhaupt die deutschen Bischöfe in ihrem Krisenmanagement unterstütze; mit dieser Botschaft war der Vorsitzende des deutschen Episkopats, Erzbischof Robert Zollitsch, von einer Audienz bei Benedikt zurückgekehrt.

Offenbar wartet Benedikt XVI. das Ergebnis der Ermittlungen ab, die gegenwärtig in allen 27 deutschen Diözesen geführt werden. Geprüft werden 250 Verdachtsfälle, darunter einer aus der Amtszeit von Joseph Ratzinger als Erzbischof von München und Freising.

Karte des Missbrauchs

Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Hirtenbriefs in Rom interpretierte Zollitsch die „klare Weisung“ des Papstes, der Perspektive der Opfer sexueller Verfehlungen von Priestern und Ordensleuten Vorrang vor allen anderen Überlegungen zu geben und für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen, auch als Mahnung „an uns“. Der Skandal sexuellen Missbrauchs sei kein bloßes irisches Problem, er sei ein Skandal der Kirche an vielen Orten „und er ist der Skandal der Kirche in Deutschland“. Im „Focus“ gibt Zollitsch zu, dass es auch hierzulande zu „bewusster Vertuschung“ gekommen sei. Seit Jahren jedoch steuere die Kirche „den entgegen gesetzten Kurs“.

Gewürdigt wurde das päpstliche Dokument auch vom Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück. Als wichtige Kriterien für weitere Beratungen nannte Glück eine bessere Auswahl der Priesteramtskandidaten, mehr Transparenz und Offenheit. Damit ist aber die Diskussion über das Verhalten des Papstes und das ausgebliebene Wort zu Deutschland nicht gestoppt.

Enttäuscht über den Inhalt des Briefes zeigte sich der Sprecher der amtskirchenkritischen Bewegung „Wir sind Kirche“, Christian Weisner. Der Text erwecke den Eindruck, es gehe seinem Verfasser hauptsächlich um das Ansehen der Kirche. Das werde die Autorität des Papstes nicht erhöhen. Weisner vermisst eine Auseinandersetzung mit der Zölibatsfrage und der kirchlichen Sexuallehre. Dass der Papst sich auf das irische Problem konzentrierte, ist jedoch für Weisner alles in allem akzeptabel“, denn die irische Situation sei „viel dramatischer“ als die deutsche; für Irland sind vatikanische Ermittlungskommissionen angekündigt, für Deutschland ist das nicht der Fall.

Entschieden verteidigt wurde Benedikt XVI. vom Trierer Bischof Stephan Ackermann. Da der Brief an die irische Kirche gerichtet sei, wundere er sich nicht darüber, dass die Missbrauchsfälle in Deutschland nicht erwähnt würden, erklärte Ackermann, den seine Amtsbrüder als Sonderbeauftragten für die Aufklärung der Skandale eingesetzt haben.

Die Zölibatsdiskussion bleibt dem deutschen Episkopat freilich nicht erspart. Sie wird - ebenfalls eine Folge der Sex-Skandale - von Theologen wie Hans Küng und von katholischen Laien- und Jugendorganisationen vorangetrieben. Selbst aus den Reihen der Bischöfe kommen Rufe nach mehr „Phantasie und mehr Großmut“ in dieser Frage, zum Beispiel vom Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Sein Vorgesetzter, Erzbischof Werner Thissen, grenzte sich allerdings von ihm ab.

Thissen nannte den Zölibat eine „wertvolle Provokation“. Der Priester verzichte freiwillig auf etwas, „was zum Schönsten und Erfüllendsten des Menschen gehört, um ein „sichtbares Zeichen für Gott und seine Verheißung“ zu setzen. Im NDR sagte Jaschke, „mit Sicherheit“ müsse man sich mit den Iren vom Papst fragen lassen, „ob wir genügend auf einen gesunden Klerus achten“.

Die deutschen Bischöfe versuchen im Moment alles, die Debatte um den Zölibat nicht ausufern zu lassen. Die wachsenden Zweifel im Kirchenvolk an der Verpflichtung der Weltpriester zur ehelosen Lebensform zum Papst zu tragen, wie es etwa die Schweizer Oberhirten vorhaben, ist für sie unvorstellbar. Vorrangig ist für sie, dem päpstlichen Aufruf zu folgen und bei Fällen von sexuellem Missbrauch eng mit der staatlichen Justiz zusammenzuarbeiten sowie die kirchenrechtlichen Normen kontinuierlich zu überarbeiten.

Mit der Forderung nach Aufnahme einer Meldepflicht bei Verdacht auf Missbrauch in die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) haben die bayerischen Oberhirten schon einen Anfang gemacht und den Episkopat in Zugzwang gesetzt. Ihr Vorsitzender, Erzbischof Reinhard Marx, wurde dafür von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gelobt. Der DBK-Vorsitzende Zollitsch hingegen sieht eine Meldepflicht kritisch.

Für die Kirche, darauf wurde vom Kölner Erzbistum hingewiesen, gilt noch ein weiteres, nämlich innerkirchliches Recht, es relativiere das staatliche in keiner Weise und sei ihm auch nicht vorgeordnet. Es lege aber strengere Maßstäbe an als das weltliche Recht. Wegen der Unabhängigkeit von staatlichen Strafverfahren ermögliche es das Kirchenrecht sogar, Taten disziplinarisch zu verfolgen, auch wenn die Staatsanwaltschaft kein Verfahren eröffne oder es einstelle. Dazu komme eine weitere Abweichung vom staatlichen Recht: In Einzelfällen könne sogar die Verjährung ganz ausgesetzt werden, eine kirchliche Strafverfolgung bleibe somit auch noch nach zehn Jahren möglich. Ob die kirchlichen Autoritäten dieses Recht immer ausgeschöpft haben, diese Frage ist auch nach der Diskussion um den Papst-Brief nicht zufriedenstellend beantwortet.

Zuletzt geändert am 22­.03.2010