26.3.2010 - Südwest Presse

Lebensfeindlich und verklemmt

Die katholische Sexualmoral muss sich ändern, sagt Christian Weisner, Sprecher der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche". Denn sie ist lebensfremd und hat Fehlentwicklungen begünstigt.

Sie fordern eine Wende in der katholischen Sexualmoral. Warum?

CHRISTIAN WEISNER: Die katholische Sexualmoral ist in weiten Teilen vom Gedanken der Sünde geprägt - ob es nun um Homosexualität, vorehelichen Geschlechtsverkehr oder Selbstbefriedigung geht. Ohne einer ausschweifenden Sexualität das Wort reden zu wollen: Wer derart repressiv mit dem Thema umgeht, versucht zu verhindern, dass sich Menschen ihrer Sexualität bewusst werden. Die Gefahr liegt darin, dass dann möglicherweise auch keine Verantwortung für das eigene Tun übernommen wird.

Was stört Sie am meisten?

WEISNER: Die sexualmoralischen Ansprüche der katholischen Kirche sind so hoch, dass viele sie nicht halten, manche gar daran zerbrechen. Es ist ja immer noch so, dass zum Beispiel Katholiken, die zum zweiten Mal heiraten, dafür nicht den Segen der Kirche erhalten, also letztlich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, weil sie eine Vorgeschichte haben. All das atmet eine Lebensfremdheit, ja eine Lebensfeindlichkeit, die niemand gutheißen kann.

Ist die katholische Kirche körperfeindlich?

WEISNER: Ja und nein. Es gibt vieles, was die Sinne anspricht - vom Weihrauch bis zum Pilgern. Sobald es aber um Erotik geht, ist die Kirche körperfeindlich. Man kann sich durchaus fragen, ob diese Sexualmoral nicht bewusst eingesetzt wird, den Menschen ein permanentes Schuldgefühl zu geben, mit dem sie dann wieder zur Beichte gehen müssen.

Eine Sexualmoral, die viel verdrängt und verbietet, begünstigt also Fehlentwicklungen.

WEISNER: Davon ist auszugehen. Allerdings wird jetzt eine Zölibatsdebatte allein nicht mehr ausreichen.

Was hat der Zölibat aus Ihrer Sicht mit den Missbrauchsfällen zu tun?

WEISNER: Die erzwungene Enthaltsamkeit kann dazu führen, dass die eigene Sexualität nicht in die Persönlichkeit integriert wird. Im ungünstigsten Fall bricht sie sich dann auf sehr triebhafte, für die Opfer grausame Art und Weise Bahn. Dann wird Sexualität nicht mit einem Partner in gegenseitigem Einverständnis gelebt, sondern man unterwirft sich abhängige junge Menschen. Sexueller Missbrauch ist immer auch ein Machtmissbrauch.

Was muss sich ändern?

WEISNER: Viel. Der Pflichtzölibat, der auch Menschen mit einer unausgereiften Sexualität anzieht, muss abgeschafft werden. Denn die Zölibatsverpflichtung ist letztlich Ausdruck der Frauen- und Sexualitätsfeindlichkeit einer männerbündischen Kirche. Außerdem muss die Kirche eine entspannte, lebensbejahende Einstellung zur Sexualität finden. Das geht nur, wenn auch die Rolle der Frau in der katholischen Kirche überdacht wird und in Zukunft vom Gedanken der Gleichwertigkeit geprägt ist. Wir müssen weg von Hierarchien, von dem Oben und Unten, das ja das Verschweigen und Vertuschen nur befördert hat.

Aus der Kirche ist zu hören, die sexuelle Befreiung sei eine der Ursachen sexuellen Missbrauchs.

WEISNER: Sexuellen Missbrauch hat es zu allen Zeiten gegeben. Durch die sexuelle Befreiung, die sicher auch manch kritikwürdigen Aspekt hat, sind die Menschen aber erst in die Lage versetzt worden, über Sexualität und damit auch über Missbrauch zu sprechen.

Sexueller Missbrauch, heißt es derzeit oft, komme nicht nur in der katholischen Kirche vor. Ein Versuch, das Problem zu relativieren?

WEISNER: Sagen wir es so: Wenn ein Bioladen schlechte Ware verkauft, nutzt es nichts, wenn er darauf hinweist, dass die Ware im Supermarkt nebenan noch schlechter ist. Die katholische Kirche muss sich jetzt darauf konzentrieren, im eigenen Haus aufzuräumen und es hoffentlich auch zu renovieren.

Was passiert, wenn sich die katholische Sexualmoral nicht ändert? WEISNER: Das ist ein Gedanke, den ich mir gar nicht vorstellen mag: eine bald nur noch sehr kleine, möglicherweise auch sehr fundamentalistische Kirche, die es nicht schafft, die Menschen in wichtigen Fragen der Zeit zu begleiten - der Globalisierung, der sozialen Gerechtigkeit und des Miteinanders der Generationen.

Was ist dem Papst hinsichtlich der Sexualmoral vorzuwerfen?

WEISNER: Benedikt XVI. führt die Kirche nicht in die Zukunft, sondern, so hart das klingt, verharrt in einer verklemmten Vergangenheit.

Zuletzt geändert am 29­.03.2010