13.4.2010 - DPA

Die Mehrheit der Deutschen hat mit dem Papst gebrochen

Von Matthias Hoenig, dpa Seit dem 19. April 2005 sind die Deutschen Papst. Nach der Wahl schwamm Joseph Ratzinger in seiner Heimat auf eine Welle der Sympathie. Doch die Zuneigung zu Benedikt XVI. ist erkaltet. Jüngst setzte der Missbrauchsskandal einen neuen Tiefpunkt.

Hamburg (dpa) - Aus Freude über den Papst wurde Frust, nationaler Stolz wich zunehmend Unverständnis. Nach fünf Jahren Pontifikat haben viele Deutsche mit «ihrem Papst» gebrochen. Benedikt XVI., seit dem 19. April 2005 im Amt, findet bei den Menschen in seiner Heimat so wenig Zustimmung wie nie zuvor. Nur 31 Prozent der Menschen im Land bewerten seine Arbeit als gut oder sehr gut, ergab eine Forsa-Umfrage im März, mitten in der Diskussion über den Missbrauchsskandal. Vor drei Jahren waren es noch 70 Prozent gewesen.

Der Menschenfischer, der während des Weltjugendtags 2005 mit dem Schiff über den Rhein nach Köln fuhr und gefeiert wurde, hat im übertragenen Sinn zunehmend leere Netze. «Viele Vorstellungen waren wenig realistisch», sagt Ulrich Ruh, Chefredakteur der renommierten theologischen Fachzeitschrift «Herder Korrespondenz». «Dass Joseph Ratzinger - bei allem intellektuellen Charme - die Kirche umkrempeln würde, war nicht zu erwarten.» Strukturell habe Benedikt «nichts geändert», im Vatikan nicht und nicht bei den Bischofssynoden.

Im Land Martin Luthers herrscht auf protestantischer Seite sogar Unmut, ja Verärgerung. «Benedikt hat seine Linie als früherer Präfekt der Glaubenskongregation, die evangelischen Kirchen zu marginalisieren, fortgesetzt», sagt der Theologe Friedrich Schorlemmer aus der Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt. In einem Vatikan-Dokument von 2007 wurde den protestantischen Kirchen erneut abgesprochen, richtige Kirchen zu sein. Das war wie ein Tritt vors ökumenische Schienbein. Dabei wollen viele Protestanten und Katholiken in Deutschland mehr Annäherung. In der Frage des gemeinsamen Abendmahls herrscht ebenfalls Stagnation.

«Ich hatte vergeblich erwartet, dass Benedikt die eine Christenheit der Welt zu repräsentieren und die institutionellen Unterschiede der Kirchen zurückzufahren versucht.» Schorlemmer wird denn auch nicht zum 2. Ökumenischen Kirchentag im Mai nach München fahren, den er als «Etikettenschwindel» empfindet. «Das gemeinsam Christliche muss wichtiger sein als das institutionell Trennende - dieses Zeugnis bleiben wir unter diesem Papst schuldig.» Benedikt, so Schorlemmer, sei einfach nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Das sei sicherlich auch dem Alter geschuldet. Am 16. April wird er 83.

Die katholische Reformbewegung «Wir sind Kirche» beklagt ebenfalls das Ausbleiben innerkirchlicher Reformen: etwa in Fragen des Zölibats, also des Heiratsverbots der Priester, beim Frauenpriestertum oder einer Lockerung der rigiden Sexualmoral. Christian Weisner, Mitbegründer der Reformbewegung, sieht den Papst «gefangen in einem klerikalen System, das er unter allen Umständen erhalten will und über alles stellt».

Das Hochkommen der vielen, oft alten Fälle von sexuellem Missbrauch bedeutet einen neuen Tiefpunkt für das Vertrauen in Kirche und Papst. Ratzinger war in Rom länger mitverantwortlich für den Umgang der Kirche mit Missbrauchstätern. Es sei eine Tragik, dass Ratzinger in seiner Zeit als Chef der Glaubenskongregation im Vatikan zu wenig Unterstützung fand für seine Linie von «Null Toleranz», meint Christian Weisner. Seit 2001 war der deutsche Kirchenmann Ratzinger zuständig für diese Delikte.

Auch die Zugeständnisse des Vatikans für eine Aussöhnung mit den erzkonservativen Pius-Brüdern ist, wie Umfragen gezeigt haben, der großen Mehrheit der Deutschen nicht vermittelbar. Das Ziel, die Einheit der Kirche zu bewahren, sei richtig, meint Christian Weisner. Aber letztlich hat Benedikt «einen Brandherd eröffnet, die Polarisierung in der Kirche nimmt mit der Aufhebung der Exkommunikation auch des Holocaust-Leugners Richard Williamson weiter zu.»


Am Ende könnte der Preis für die angestrebte Rückkehr der Pius- Brüder in die Kirche zu hoch sein. Stillstand in bestimmten kirchengeschichtlichen Phasen hält Ulrich Ruh für unausweichlich. «Es darf aber keinen Rückschritt geben, wie er sich im Umgang mit den Pius-Brüdern abzeichnen könnte - das wäre der ”worst case”, der schlimmste Fall.»

Zuletzt geändert am 19­.04.2010