28.4.2010 - Schwäbische Zeitung

Kirchenkritiker Weisner attackiert Zölibat

Diskussion zum Thema Missbrauch

LEUTKIRCH - „Auftreten statt austreten!“ Eine klare Botschaft hat Christian Weisner, Sprecher der katholischen Laienorganisation „Wir sind Kirche“ an die Katholiken. In Zeiten von Missbrauchsvorwürfen, Bischofsrücktritten und Kirchenkrise sieht er gerade die Laien gefragt, wie er bei einer Talkveranstaltung in Leutkirch deutlich machte: „Die Hierarchie allein kriegt das nicht mehr hin.“

Von unserer Redakteurin Sabine Centner

Christian Weisner ist ein gefragter Mann in diesen Tagen: Zeitungsinterviews, Auftritte in Fernsehtalkshows, Rundfunksendungen. Vom ARD-Mittagsmagazin hat er sich am Montag auf den direkten Weg nach Leutkirch im Allgäu gemacht – zur 103. Ausgabe des „Talk im Bock“. Einer kurzfristig angesetzten Extra-Ausgabe aus aktuellem Anlass: „Missbrauch und andere Fälle“ heißt das Thema.

Die Mensa beim Gymnasium ist voll besetzt. Was wird der Sprecher der kritischen Laienorganisation „Wir sind Kirche“ zu sexuellem Missbrauch und Gewalt, zu Bischofsrücktritten, Zölibat und „Rundem Tisch“ in Berlin sagen? Eines machen sowohl Moderator Bernd Dassel als auch Christian Weisner gleich zu Beginn unmissverständlich klar: „Es geht hier nicht um ein Tribunal.“ Weisner, ein großer, lässig gekleideter Mann, Stadtplaner von Beruf und mittlerweile in Dachau zu Hause, kämpft mit dem Florett, nicht mit dem Degen, das wird schnell klar. Er will informieren, sagt er, weil ihm „die katholische Kirche so wichtig ist“.

Natürlich beklagt der 59-Jährige, dass es diese rund 300 bekannten Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gegeben hat. Noch schlimmer freilich findet er die praktizierte Verschleierung, das anhaltende Schweigen. Offenbar habe es in der Kirche, ähnlich wie in Familie oder im Verein, das Bedürfnis gegeben, zusammenzuhalten. „Wenn einer sich nicht daran hält“, versucht Weisner zu erklären, „kommt’s zur Explosion.“ Zudem kenne das Kirchenrecht keine Unschuldsvermutung: „Der Beschuldigte muss nachweisen, dass er unschuldig ist.“ Bedingungen, die es den Betroffenen zusätzlich schwer machten, sich zu offenbaren.

Behutsam äußert sich Weisner, Sprachrohr von immerhin 1,6 Millionen katholischer Christen in „Wir sind Kirche“, zur Rolle des Papstes. „Als Bischof hat er so gehandelt, wie man es damals machte“, kontert er Vorhaltungen, Joseph Ratzinger habe so viel über Missbrauch in der Kirche gewusst wie kein anderer, sei verantwortlich für die jahrelange Geheimhaltung und habe zumindest einen schuldig gewordenen Priester innerhalb seiner Diözese an verschiedene Arbeitsplätze „verschoben“. Als Papst sei er allerdings auf einen neuen Kurs geschwenkt, einen Kurs, auf dem ihm viele andere noch nicht folgten. „Er fordert jetzt null Toleranz gegenüber den Tätern und hat Gespräche mit Opfern geführt, etwa in Irland oder Malta.“ Nun sei es für den Papst an der Zeit, mit gutem Beispiel voranzugehen und die Bistümer anzuweisen, ihre Archive zu öffnen.

„Wie kann’s die Kirche schaffen, sich nicht schon im Priesterseminar schwarze Schafe in den Stall zu holen?“ griff Moderator Bernd Dassel den Vorwurf auf, der Zölibat biete geradezu einen Schutzraum für Pädophile. „Pädophilie kann man nicht testen“, stellte Weisner klar. Wohl aber sieht er den Enthusiasmus der Priesteranwärter im Seminar ausgenutzt, über Sexualität werde nicht gesprochen. Jetzt hat sich der Mann richtig in Fahrt geredet: „Es gibt so viele Verbotsschilder in der katholischen Sexuallehre, dass es für junge Menschen schwer ist, zu einer unbefangenen Sexualität zu finden.“

Aufwertung der Frauen

Schweres Geschütz fährt der verheiratete Wir-sind-Kirche-Sprecher gegen den Zölibat auf: „Er entstammt der Frauenängstlichkeit einer männerbündischen Kirche“, wetterte Wiesner. Der Zölibat sei Ausdruck einer verklemmten Kirche. Seine Vision: „Wir brauchen ein Priestertum, in dem man sich frei entscheiden kann.“ Eine freiwillige Ehelosigkeit also, wie sie mittlerweile auch innerhalb der katholischen Kirche thematisiert werde. Und die Ordinierung von Frauen?, wollte Bernd Dassel schließlich wissen. „Muss kommen“, so Wiesners glasklare Antwort, „wie in anderen Kirchen auch“.

Ansichten, mit denen nicht alle im Publikum einverstanden waren. Eine Gruppe junger Männer, Mitglieder privater Gebetskreise, wie sie sagten, hielt Plakate hoch: „Kein Missbrauch mit dem Missbrauch“, stand darauf, „Treu zu Kirche und Papst“ oder „Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“ Nicht die Kirche insgesamt sei an den Pranger zu stellen, so das Anliegen der kirchentreuen Demonstranten. Dass sie im Zölibat kein Problem sehen, wohl aber in der Ordinierung von Frauen, daraus machen sie kein Hehl.

Christian Weisner bekennt sich ebenfalls zu seiner Kirche, wenn sie sich denn den nötigen Reformen öffne. „Am Imageschaden und Vertrauensverlust leiden wir doch alle“, räumt er ein und kritisiert: „Wir haben zu viel Institution und zu wenig Jesus Christus in unserer Kirche.“ Keine Frage: Christian Wiesner und seine Laienbewegung haben viel zu tun in diesen Tagen. Sie machen dies in der Überzeugung, dass jede große Organisation eine „loyale Opposition“ braucht – auch die katholische Kirche.

Informationen zur Kirchenvolksbewegung gibt es im Internet unter www.wir-sind-kirche.de

URL: http://www.talk-im-bock.de/Navigation/presse/weisner01.html

Zuletzt geändert am 11­.06.2010