24.6.2010 - Die Welt

Nach dem Augsburger Trauerspiel

von Gernot Facius

Erst die Affäre um die Piusbrüder, dann die Welle der Missbrauchsvorwürfe und nun die unselige Causa Mixa: In nur anderthalb Jahren schlitterte die katholische Kirche von Skandal zu Skandal. Zwar haben die Fälle unterschiedliche Ursachen, aber gemeinsam ist ihnen das klägliche Krisenmanagement. Peu à peu, meist unter medialem Druck, kamen die Fakten ans Licht. Der Vertrauensverlust ist enorm. Beim Streit um Mixa kommt hinzu: Es ist den beteiligten Bischöfen nicht gelungen, der Öffentlichkeit glaubwürdig zu vermitteln, dass es um einen, wie Alois Glück vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken sich ausdrückte, personenbezogenen Sachverhalt, eine menschliche Tragödie, geht und nicht um einen Richtungskampf. Verwirrende Berichte über eine "Geheimakte Mixa", gespickt mit unappetitlichen, bis jetzt nicht hinreichend belegten Details, haben die Spekulationen angeheizt. So konnte auf katholisch-fundamentalistischen Internetportalen fleißig an der Märtyrerlegende gestrickt werden: Ein glaubenstreuer Oberhirte sei von modernistischen Amtsbrüdern unter Assistenz nachrichtenhungriger Medien zu Fall gebracht worden.

Freunde und Gegner Mixas beharken sich auf eine Weise, die man bislang nur von Machtrangeleien in politischen Parteien kannte. Aus einem kleinen Schneeball - Vorwürfen wegen angeblicher Prügel in einem Kinderheim und einem problematischen Finanzgebaren - ist eine große Lawine geworden, die über das Augsburger Bistum hinwegfegt und in der gesamten deutschen Kirche Schäden anrichtet. Es ist längst - trotz aller Personenbezogenheit - mehr als nur eine bizarre lokale Affäre. Denn es geht um die Kardinalfragen nach einer Vertrauenskultur, die innerkirchliche Gräben und Mauern überwinden hilft, und nach der Positionierung der Kirche in einer mehr und mehr säkularisierten Welt. Wenn hierauf bald eine glaubwürdige Antwort gefunden würde, dann könnte die Causa Mixa, so traurig sie ist, ein heilsamer Schock gewesen sein. Und käme es zu der von Erzbischof Zollitsch angemahnten Versöhnung, nur dann könnten Spaltungstendenzen im Keim erstickt und innerkirchliche "Kreuzzüge" abgewendet werden.

Das geht freilich nicht ohne den mutigen Willen zur Transparenz. An Transparenz und Offenheit hat es in den jüngsten Affären meist gefehlt. In Rom und in Deutschland. Doch die Kirche erweist sich allen Unkenrufen zum Trotz durchaus als beratungsfähig. Aus den Fällen sexuellen Missbrauchs hat sie die Lehre gezogen: Die Institution zu schützen und alles sie Belastende zu vertuschen ist ein Irrweg. Er treibt die Menschen von ihr weg. Die Kirche ist nicht nur eine Gemeinschaft von Heiligen, sondern auch eine der Sünder. Auch Sünder, heißen sie nun Mixa oder anders, müssen auf Gnade hoffen dürfen. Davon kann es Dispens nicht geben. Nach dem Augsburger Trauerspiel wird vieles neu bedacht werden müssen. Es steht die Ernennung eines Nachfolgers für den abgelösten Diözesanbischof an.

Natürlich lässt sich unter heutigen Bedingungen nicht nach dem Grundsatz der kleinen Urkirche verfahren, wer für alle da sein soll, muss von allen gewählt werden. Muss das aber bedeuten, die Auswahl unbedingt dem Papst allein zu überlassen, wie es im Augsburger Fall durch das Bayernkonkordat mit dem Vatikan möglich ist? Oder sollten zumindest Priesterräte und Vertretungen von Laien in den Entscheidungsprozess einbezogen werden, um wenigstens die Meinung des Kirchenvolkes zu erkunden? Ein solches informelles Verfahren würde keineswegs das Konkordat aushebeln. Ein Bischof muss von der ganzen Diözese akzeptiert werden. Walter Mixa wurde 2005 von Papst Benedikt XVI. gegen den Willen des Domkapitels und gegen Vorbehalte in der Deutschen Bischofskonferenz von Eichstätt nach Augsburg "transferiert". Es war die erste Bischofsernennung im deutschsprachigen Raum durch den Pontifex aus Bayern. Er sieht sich jetzt, zu Recht oder zu Unrecht, dem Vorwurf ausgesetzt, die Causa Mixa sei auch eine Causa Benedikt.

Kommt jetzt die große Stunde der Laien? Das anzunehmen wäre verfrüht. Doch der unglückliche Fall Augsburg gibt dem auf Mitsprache pochenden Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der amtskirchenkritischen Kirchenvolksbewegung ein neues, gewichtiges Argument an die Hand. Zumal selbst der Papst neuerdings betont, die Laien seien nicht nur Mitarbeiter des Klerus, sondern Mitverantwortliche für die Kirche.

Zuletzt geändert am 24­.06.2010