1.9.2010 - TAZ

"Der Fortschritt ist überschaubar"

Basis Wichtige Fragen wie Entschädigung und Prävention wurden ausgeklammert, Verbesserungen liegem nur im Detail, sagt Christian Weisner von der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche"

taz: Herr Weisner, sind die nun veränderten Leitlinien der katholischen Kirche bei Verdachtsfällen von sexuellem Missbrauch ein Fortschritt?

Christian Weisner:
Bei erster Durchsicht der neuen Leitlinien ist der Fortschritt doch sehr überschaubar und liegt eher im Detail. So wichtige Dinge wie die Entschädigungsfrage und die Prävention wurden ausgeklammert und auf andere Gremien vorschoben, den Runden Tisch der Bundesregierung bzw. die Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz. Die jetzt vorgelegten Leitlinien alleine werden nicht ausreichen, den unermesslichen Vertrauensschaden zu beheben, den die jahrzehntelang praktizierte Vertuschung sexualisierter Gewalt verursacht hat.

Hat sich etwas verbessert gegenüber den alten Leitlinien?

Eine wesentliche Verbesserung ist wohl die grundsätzliche Anzeigepflicht bei den Strafverfolgungsbehörden, die nur auf ausdrücklichen Wunsch des betroffenen Opfers entfallen kann. Für den Verzicht auf eine automatische Anzeige bei der Staatsanwaltschaft haben sich ja auch Betroffenenverbände ausgesprochen. Aber man wird hier in Zukunft sehr genau aufpassen müssen, dass es nicht wieder zu internen Regelungen an den Strafverfolgungsbehörden vorbei und zu Stillhalteabkommen kommt.

Was fehlt?

Als zentralen Schwachpunkt sehe ich nach wie vor die fehlende Unabhängigkeit der zuständigen Ansprechpersonen in den einzelnen Diözesen, die immer noch zu eng mit der Bistumsleitung verbunden sind. In manchen Diözesen scheint es in der Vergangenheit auch noch an deren notwendiger Fachkompetenz gefehlt zu haben. Von wirklichen Ombudsstellen sind wir leider noch weit entfernt. Deshalb wird die Arbeit unabhängiger Beratungsstellen wie „zartbitter oder das seit 2002 bestehende Nottelefon der KirchenVolksBewegung auch weiterhin dringend erforderlich sein.

Interview: Philipp Gessler






Die Antwort auf die folgende Frage wurde aus Platzgründen nicht abgedruckt:

Wie hoch sollten die Entschädigungen sein?

Um diese sicher nicht einfache Frage haben sich die deutschen Bischöfe bisher ja erfolgreich herumgedrückt. Ich frage mich, warum man sich nicht an der vor Kurzem vorgelegten Rahmenordnung der österreichischen Bischöfe orientiert hat, auch wenn diese zugegebenermaßen etwas pauschal ist. Aber immerhin haben sich die Österreicher damit eindeutig zu einer Entschädigungspflicht bekannt. Nur sollten die Leistungen am Ende nicht aus allgemeinen Kirchensteuermittel bezahlt werden.

Zuletzt geändert am 29­.01.2014