27.05.2006 - Stuttgarter Zeitung

Auf dem Katholikentag treffen sich Glaube und Kommerz

Die Reformer schmerzt, dass alle den Papst lieben
In Saarbrücken wird das Thema Gerechtigkeit durchbuchstabiert. Manche Besucher des Katholikentags meinen, die Kirche tue sich mit dem Grundsatz schwer.

Von Michael Trauthig, Saarbrücken

Als Majella Lenzen mit schwacher Stimme spricht, wird es im schönsten Raum Saarbrückens, dem Festsaal des Schlosses hoch über der Stadt, mucksmäuschenstill. 250 Besucher schauen betroffen, weil die Frau verschüchtert, verletzt, ratlos wirkt. 33 Jahre hat Lenzen als Ordensfrau in Tansania gelebt. Sie hat dort ein Krankenhaus aufgebaut, das Leben mit den Menschen geteilt und mit ihnen gelitten. Gegen das Aidsvirus verteilte sie die vom Vatikan verbotenen Kondome - und musste für die Regelverletzung büßen. Ihr Orden setzte die Mitschwester vor die Tür, nahm ihr die bisherige Alterssicherung und die Perspektive. "Ich würde gerne helfen, aber ich darf nicht", sagt sie in Saarbrücken.

Ein flippig-frommes Fest mit manchmal leisen, nachdenklichen und auch resignierten Tönen - so gibt sich der Katholikentag in diesen Tagen. Der hat sich das Thema Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben und arbeitet es in vielen Foren, Podien, Diskussionsrunden gewissenhaft ab, zum Teil auf hohem Niveau, aber ohne wirklich neue Erkenntnisse. "Lösungen können wir natürlich nicht gleich präsentieren", sagt dazu der gastgebende Bischof Reiner Marx. Man wolle aber Impulse setzen. Kein Wunder, dass die Kirchenreformer, die Majella Lenzen zum Forum "Braucht Mutter Kirche nur brave Kinder?" geladen haben, erschöpft wirken. Denn ihre Geduld ist strapaziert. Seit zehn Jahren fordern sie mehr Gleichberechtigung, Ökumene und eine neue Sexualmoral. "Bewegt aber hat sich fast nichts", sagt der Sprecher Christian Weisner ernüchtert. Er weiß natürlich, dass der Vatikan die Weltkirche im Blick haben, die Einheit stärken und deshalb viele Wünsche aus Deutschland zumindest auf die lange Bank schieben muss. Doch er hatte auch auf Erneuerung durch einen Papstwechsel gehofft. Benedikt XVI. aber ist liberalen Neigungen gänzlich unverdächtig.

"Alle lieben den Papst", sagt Weisner mit Blick auf das charmante und werbende Auftreten des ehemaligen Glaubenswächters. Das mag zwar übertrieben sein, trifft aber die Stimmung vieler Gäste des Katholikentags. Die halten den Atem an, als erstmals in der mehr als 150-jährigen Geschichte des Treffens ein deutscher Papst seine Botschaft sendet. Neun Minuten und 58 Sekunden lang kostet sein Sprachrohr, der Apostolische Nuntius Josef Ender, den historischen Moment aus. Der Papst redet den deutschen Katholiken ins Gewissen. Die sollten alles unterlassen, was das Zeugnis verdunkelt, nicht in Beliebigkeit abgleiten und vor allem die Einheit mit der Kirchenspitze wahren, warnt der Vatikan. Ein milder Tadel also. Doch den nimmt niemand übel. Beifall brandet auf, Bayern schwenken ihre Fahne, "Benedetto!"- Rufe erklingen, bald tanzen alle zu "Oh happy Day". "Der Papst ist superklasse", schwärmt hinterher sogar eine Schülerin aus Franken, ohne dass sie sich von Rom die Pille verbieten lassen will.


Etwas wunderlich wirkt vieles momentan an der Saar. Zum Beispiel das Gewusel der frommen Christen: Pfadfinder trotzen in kurzen Hosen den eisigen Temperaturen, Theologen treiben ihre Firmgruppen zum nächsten Termin, orthodoxe Priester schwatzen mit Franziskanermönchen. Als besonders abenteuerlich erscheinen zwei alte Pilger, die mit ihren Holzkreuzen unter dem Arm ahnungslosen Passanten "Wunderplaketten" in die Hand drücken und als Segensgruß das Kreuz aufs Herz pressen. Irritationen lösen auch die beiden Frauen aus, die stumm das Schild "Lesben" durch die Straßen tragen.

Die flinke Geschäftigkeit überall ist dagegen weniger erstaunlich. Rechtzeitig sind die Bettler in die saarländische Hauptstadt gekommen. "Seid ihr wirklich fromme Christen oder doch nur heuchlerische Lügner?" appelliert einer unverhohlen und erfolgreich mit einem Schild an das schlechte Gewissen.

Glauben und Kommerz - beides verbindet sich eben gekonnt auf den Christentreffen. Das zeigen auch die Buchhändler mit Benedikts Werken in den Auslagen, die Kioskbesitzer mit Papstkerzen und die 17 Gastronomen mit "Katholikentagstellern". Ein Wirt hat sich allerdings im konfessionellen Sprachengewirr verheddert und will (eigentlich evangelische) "Kirchentagsgäste" verköstigen. Ein anderer setzt den Auswärtigen durch die ausschweifende Erklärung einheimischer Genüsse zu.

Doch die scheinen ohnehin unbegrenzt aufnahmefähig für alle Anliegen. Flugblätter von Lebensschützern, Pfadfindern oder den Christen aus der PDS werden ebenso bereitwillig in den Rucksäcken verstaut wie die ungezählten Broschüren, die auf den Ständen der Kirchenmeile in der Bahnhofsstraße verteilt werden. Die wirkt mit ihren spitz zulaufenden weißen Zeltdächern wie eine Nomadensiedlung in der Großstadt und macht den Reichtum des katholischen Kosmos mit allen Sinnen erfahrbar. Der Gast kann im "Zelt der Orden" mittels bunter Lutscher das Mönchsleben erschmecken, sein hölzernes Bekenntnis beim Credo-Projekt Bottrop ans Kreuz nageln, oder er kann bei der "Arbeitsgemeinschaft biblischer Figuren" erfahren, wie man seinen Glauben mit Sisaldraht und Hartschaum ausdrückt. "Maria und Josef sind die Renner", meint eine Dozentin.

Dem Betätigungsdrang ist keine Grenzen gesetzt. Und er wird ausgelebt, auch an Orten, die eigentlich tabu erscheinen. Bei der "Arbeitsgemeinschaft katholischer Priester und ihrer Frauen" stimmen Besucher mit Kügelchen in Glasröhren über das Zölibat ab. Das Nein signalisierende Rot siegt deutlich.

Zuletzt geändert am 30­.05.2006