24.9.2010 - Frankfurter Rundschau

Reißt auf die Kirchenfenster!

Kommentar von Wolfgang Wagner

Die deutsche katholische Kirche könnte im Idealfall ein Reformmotor für die Weltkirche sein.

Not macht beweglich. Seit langem verlangen Katholiken mehr Demokratie in der Kirche, mehr Rechte für Frauen und ein Ende der Zölibatspflicht für Priester. Schon vor 15 Jahren unterzeichneten 1,8 Millionen Menschen diese Forderungen im Kirchenvolksbegehren − und wurden nicht ernst genommen. Doch jetzt, da sich die Kirche in einer enormen Glaubwürdigkeitskrise befindet, sind die Bischöfe bereit zu reden.



Doch besser spät als nie. Schon lange klaffen die Lebenswirklichkeit der Menschen und die Moralvorstellungen der katholischen Kirche oft auseinander. Es ist gut, dass die Mehrheit der Hirten erkannt hat, dass es so nicht weitergehen kann, wenn die Kirche nicht in die Rolle einer verschwindenden Minderheit geraten will. Also: Auf mit den Kirchenfenstern und -türen, damit frischer Wind hineingelangen kann. Von „Umkehr“ und „Neuausrichtung“ spricht der Bischofskonferenz-Vorsitzende sogar. Das sind große Worte, die vieles versprechen.

Die Gefahr von Enttäuschungen ist groß. Bei dem Dialogprozess muss mehr herauskommen, als ein: „Schön, dass wir mal drüber geredet haben.“ Große Veränderungen wie ein Aufbrechen des Zölibats oder die Zulassung von Frauen zu mehr Ämtern werden zumindest mittelfristig an Rom scheitern.

Umso wichtiger ist es, dass zumindest die im Laufe des geplanten Dialogs formulierten Forderungen festgehalten und mit Nachdruck im Vatikan vorgetragen werden. Das verlangt Mut von den Bischöfen. Die deutsche katholische Kirche könnte im Idealfall am Ende ein Reformmotor für die Weltkirche sein. Das wäre ein großer Fortschritt.

Zuletzt geändert am 25­.09.2010