25.6.2010 - Publik-Forum

»Nägel mit Köpfen«

Konzil des Volkes, synodaler Prozess, Katholikentag von unten: Die katholische Basis will jetzt ihren Unmut zum Ausdruck bringen

Von Hartmut Meesmann

Von Hartmut Meesmann Erbost, frustriert, wütend, enttäuscht. Das sind viele katholische Christin-nen und Christen, wenn sie an ihre Kirche denken und dabei vor allem an »die da oben«. Der schleppende Umgang mit den Missbrauchsfällen, die römische Starrheit in Sachen Zölibat, die beinhart von oben verordneten Gemeindezusammenlegungen, das Gefühl vieler »Laien«, nicht wirklich ernst genommen zu werden, die offizielle Verweigerung der ökumenischen Mahlfeier, dazu die Häme der nichtkirchlichen Öffentlichkeit über die Doppelmoralanstalt Kirche – das alles belastet viele engagierte Kirchenmitglieder. Macht Kirche noch Spaß? Na ja.

Der katholische Theologe Gotthold Hasenhüttl findet, dass jetzt in der Kirche »ziviler Ungehorsam« angesagt sei. Doch was heißt das? Und wie weit kann er gehen? Schließt dieser Ungehorsam zum Beispiel den vorübergehenden Kirchenaustritt ein, wie ihn die Initiative Ökumene 2017 propagiert? Weil die Bischöfe über den Entzug der Kirchensteuer am empfindlichsten zu treffen sind?

»Für viele ist das eine zu hohe Hürde«, räumt der frühere Religionslehrer Bruno Hessel ein, der die Initiative ins Leben rief. »Wir haben zwar viele Sympathisanten, die innerlich mehr oder weniger am Rand der Kirche stehen, aber die wollen in der Kirche bleiben.« Von den derzeit 25 Vereinsmitgliedern seien nur wenige aus der Kirche ausge-treten, um – wie es die Initiative proklamiert – spätestens im Jahr 2017 even-tuell wieder einzutreten, falls die Kirche »bis dahin erkennbare Reformen im Sinne einer wahrhaft umfassenden (= katholischen) Kirche in die Wege geleitet hat«.

Ziviler Ungehorsam? Den hat Bernd Hans Göhrig, Geschäftsführer des ökumenischen Netzwerks Initiative Kirche von unten(IKvu), auf dem Münchner Kirchentag vermisst. »Es war zum Beispiel falsch, dass die Reformgruppen von sich aus auf eine ökumenische Mahlfeier verzichtet haben«, sagt Göhrig. Und findet es gut, dass Gotthold Hasen-hüttl zusammen mit einem evangelischen Pfarrer ausdrücklich zu einem solchen ökumenischen Gottesdienst in die Technische Universität eingeladen hatte.

Es gibt eben auch Spannungen und inhaltliche Kontroversen zwischen einzelnen Gruppen der katholischen Reformerszene.

Innerhalb der IKvu, so Göhrig, konzentrierten sich die Überlegungen jetzt darauf, aus Anlass des geplanten Katholikentages in Mannheim in zwei Jahren einen eigenen »Reform-Katholikentag« zu organisieren. Es gehe darum, innerkirchliche Reformthemen aufzugreifen, dabei vor allem auch den Umgang der Bischöfe mit den sexuellen Verfehlungen des Klerus kritisch zu verfolgen, gleichzeitig aber auch klare politische Akzente zu setzen: was zum Beispiel die Sozial- und Wirtschaftspolitik angeht, den Afghanistankrieg, die Entwicklungspolitik. Darüber soll auf einem Strategietreffen im kleineren Kreis beraten werden.

In einzelnen Reformgruppen, insbesondere der Leserinitiative Publik, kursiert die Idee, ein ökumenisches »Konzil aller kirchlichen Reformgruppen« einzuberufen. Seine Aufgabe solle es sein, eine Bilanz der Anstrengungen der letzten Jahr(zehnt)e zu ziehen, realistische Reformstrategien zu entwickeln und den Druck auf die Kirchenleitungen zu erhöhen. Manche wünschen sich eine Art »Kirchenvolksversammlung«.

So schwirren derzeit mancherlei Ideen in den Köpfen herum, die darauf warten, koordiniert zu werden. Denn am 31. Oktober, dem evangelischen Reformationstag, wird es im fränkischen Hammelburg bereits ein Treffen verschiedener Reformgruppen geben. Eingeladen hat dazu die Gruppe Kirche in Bewegung, die im vergangenen Jahr in der Hammelburger Kirchengemeinde entstand, als der dortige Pfarrer heiratete und die Pfarrei verlassen musste. Seitdem finden dort und inzwischen auch in anderen Gemeinden »Donnerstagsgebete« statt – eine Art »Mahngebete« zur Abschaffung der Zölibatsverpflichtung für Priester. Was genau auf dem Treffen im Oktober geschehen soll, wird derzeit intern diskutiert.

Die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche hat eine »Dekade des Volkes Gottes« ausgerufen, die eher deklamatorischen Wert hat. Man freue sich über neuen Zulauf in den regionalen Gruppen, so Sprecher und Gründervater Christian Weisner, will diese stärker miteinander vernetzen und die eigenen Vorstellungen noch mehr in die Kirchengemeinden tragen – auch mit konkreten Aktionen. Am 12. September feiert die Kirchenvolksbewegung ihr 15-jähriges Bestehen. Konkret erreicht hat man zwar nicht viel, doch die Aktiven fühlen sich wohl mit dem eigenen Engagement.

Dass in der Papstkirche großer Gesprächsbedarf herrscht und Veränderungen unausweichlich erscheinen, darin sind sich viele einig – nicht nur die »notorischen Kritiker«. So fordert jetzt auch der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), in dem die Jugendverbände zusammengeschlossen sind, einen »offenen und strukturierten Dialog von Bischöfen und Laien«. Die jungen Verbandskatholiken sind seit jeher in der schwierigen Situation, jungen Menschen überzeugend klarzumachen, dass Katholischsein cool sein kann. Sie hatten ihre Forderung unter dem Motto »Wir müssen reden« als Antrag in der Delegiertenversammlung der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Organisationen Deutschlands(AGKOD) eingebracht. Dort wurde das Anliegen einstimmig (!) angenommen und soll jetzt in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) getragen werden.

Aus Sicht des BDKJ wäre mit den Bischöfen zum Beispiel über folgende Themen zu diskutieren: den kirchlichen Umgang mit der Macht, die kaum noch zu vermittelnde Sexualmoral, das schwierige Miteinander von Priestern und Laien, die notwendige Förderung demokratischer und synodaler Strukturen, die Stärkung der Frau in der Kirche, eine Öffnung des Priesteramtes für verheiratete Männer und Frauen.

Das alles sind Themen, die einem engagierten Katholiken schon seit den 1970er-Jahren irgendwie bekannt sind. Dazu gehört auch die Forderung nach mehr Mitsprache des Kirchenvolkes bei Bischofsernennungen, wie sie jüngst Priester und Laien aus dem Bistum Augsburg in einer »Pfingsterklärung« erhoben haben – erschüttert von den Enthüllungen um Bischof Walter Mixa.

Der BDKJ kann sich ein deutschlandweites Forum als Startschuss für seinen »synodalen Prozess« vorstellen, sodann regionale und bundesweite thematische Foren sowie ein zentrales Abschlussforum. »Wir müssen jetzt Nägel mit Köpfen machen«, sagt Dirk Tänzer, der BDKJ-Vorsitzende. Woher nimmt er seinen Optimismus, dass Veränderungen möglich werden können, nachdem die Bischöfe ein vom Zentralkomitee gewünschtes Zukunftsgespräch noch in den letzten Jahren verweigert hatten? Tänzers lapidare Antwort: »Ich gebe die Hoffnung nicht auf.«

Auch im Zentralkomitee sehen viele Gesprächsund Klärungsbedarf mit den Bischöfen. ZdK-Sprecher Theodor Bolzenius nennt einige strittige Themen: die Frage nach den tieferen Ursachen der sexuellen Übergriffe durch Priester, was einen kritischen Blick auf die kirchlichen Strukturen einschließe; das schwierige Miteinander von Laien und Klerus; die Frage nach einem pastoralen Gesamtplan für Deutschland über die Bemühungen der einzelnen Bistümer hinaus. Die Frage, ob, wer, mit wem, wann und wie was angehen sollte, werde demnächst im Präsidium und anderen Gremien beraten.

Inwieweit es zwischen den Reformgruppen und dem ZdK samt BDKJ (und anderen Verbänden) zu einer konzertierten Aktion kommt, ist offen. Alle Seiten beteuern, dass sie sich das vorstellen können. Die Umsetzung dürfte nach den Erfahrungen der Vergangenheit aber eher schwierig werden. Verbände wie der BDKJ sind finanziell von den Bischöfen abhängig, das grenzt ihren Spielraum ein. Das ZdK selbst ist plural besetzt, da gibt es auch Parteigänger der erzkonservativen Bischöfe. Außerdem gibt es manche Animosität zwischen führenden ZdK-lern und den »Kritikern«. Ob schließlich alle Oberhirten die Ansicht ihres Osnabrücker Mitbruders FranzJosef Bode teilen, dass sich die Bischöfe einem Dialog über die Situation der Kirche nicht verweigern werden, darf auch eher bezweifelt werden. Die Lage der Kirche aber ist dramatisch: Einzelne Bistümer, wie etwa Essen, müssen derzeit eine regelrechte Austrittswelle eingestehen.

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»Nicht der Gehorsam, sondern der zivile Ungehorsam kann heilen. Denn es ist besser, ein Gesetz zu brechen als ein Herz«
Gotthold Hasenhüttl

Zuletzt geändert am 11­.10.2010