16.12.2010 - Hamburger Abendblatt

Ja zu Gott, aber Nein zur Kirche

von Christoph Rind

Wilma Kaegebein, 72, ist im Vorstand der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche".

Hamburger Abendblatt:
1. Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage glauben mehr als zwei Drittel der Deutschen an Gott. Entspricht dieses überraschende Ergebnis auch Ihrer persönlichen Erfahrung?

Wilma Kaegebein: Die Daten kann ich so nicht bestätigen. Aber auch ich habe den Eindruck, dass deutlich mehr Menschen an Gott glauben, als es Mitglieder in den Kirchen gibt. Ich beobachte jedenfalls einen eindeutigen Trend: Mehr Menschen sagen Ja zu Gott, aber Nein zu dieser Art von Kirche, vor allem der katholischen.

2. Was müsste denn die Amtskirche ändern, damit sich noch mehr Menschen zum Glauben bekennen?

Kaegebein: Vor allem der katholischen Kirche fehlt es an Glaubwürdigkeit. Denken wir dabei nur an die schrecklichen Missbrauchsfälle. Dieser Skandal spiegelt aber nur einen Teil der Probleme wider. Die Kirche pflegt eine Form, die viele Menschen nicht mehr anspricht.

3. Welche Formen halten Sie denn in der Kirche für überholt?

Kaegebein: Wir brauchen eine zeitgemäße Sprache in den Gottesdiensten, die einem irgendwie mittelalterlich vorkommen und in denen wir heute in eine Zeit abtauchen müssen, die nicht die unsere ist. Für überholt halte ich auch die starren hierarchischen Strukturen der katholischen Kirche, die in der Spitze nur von alten Männern geleitet wird. Wir brauchen mehr Gleichberechtigung der Frauen in unserer Kirche, einfachere Rituale, mehr Gottesdienste, die auch von Laien, also Nicht-Priestern, wegen des Priestermangels geleitet werden und wir brauchen mehr Demokratie in der Kirche.

4. Ihre Organisation nennt sich "Wir sind Kirche". Wollen Sie damit den Klerus, also Bischöfe und Priester, auch provozieren?

Kaegebein: Wir wollen vor allem Veränderungen, die den Menschen die Kirche wieder näherbringt. Die Männerkirche, die überholte Sprache und die Rituale - das alles hat ja nichts mit dem Glauben zu tun. Der Glaube in den Menschen ist viel stärker vertreten. Unser Ziel ist klar: Wir wollen, dass mehr Menschen wieder an Gott glauben.

5. Warum sind die Kirchen der Protestanten auch nicht voller, obwohl dort viele Forderungen, die sie stellen, schon umgesetzt sind?

Kaegebein: Katholiken sind unter Strafandrohung verpflichtet, sonntags die Messe zu besuchen. Diesen Druck gibt es bei den Protestanten nicht. Der Kirchenbesuch steht in Konkurrenz zu vielen, auch sinnvollen Freizeitangeboten. Unser Sonntag ist nicht mehr so eindeutig von der Kirche geprägt wie noch zu meiner Jugend.

http://www.abendblatt.de/hamburg/article1729648/Ja-zu-Gott-aber-Nein-zur-Kirche.html

Zuletzt geändert am 16­.12.2010