11. November. 2000 - dpa: Interview

"Wir sind Kirche" hat Klima in der katholischen Kirche verändert

Hannover (dpa) - Die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ hat nach Auffassung ihres Sprechers Christian Weisner das Klima in der katholischen Kirche positiv verändert. „Überall in den Gemeinden gibt es Menschen, die so denken wie wir“, sagte Weisner anlässlich des Bundestreffens in Hannover an diesem Wochenende. Fünf Jahre nach der bundesweiten Unterschriftenaktion für mehr Mitbestimmung und Reformen in der katholischen Kirche habe sich „Wir sind Kirche“ zu einer unverzichtbaren kritischen Stimme in der Kirche etabliert. „Wir können das aussprechen, was kirchliche Amtsträger nicht sagen dürfen“, meinte Weisner.

Das habe sich auch nach der umstrittenen Vatikan-Erklärung „Dominus Iesus“, die die Vorrangstellung der katholischen Kirche betont, gezeigt. Viele Katholiken waren erleichtert, dass „Wir sind Kirche“ sofort kritisch Stellung bezogen hat“, sagte Weisner. In vielen Gemeinden werde das ökumenische Miteinander längst praktiziert. „Die Worte aus dem Vatikan gehen an den Realitäten und dem Leben in den Gemeinden vorbei.“

Der Bewusstseinswandel habe auch zum Widerstand gegen den Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung beigetragen. „Zum ersten Mal haben sich die Laien öffentlich Rom widersetzt“, sagte Weisner. Noch vor wenigen Tagen habe die Vorsitzende von „Donum Vitae“, Rita Waschbüsch, in einem Brief an Kardinal Ratzinger bestätigt, an der Beratung von Schwangeren festzuhalten. Ein Vorteil von „Wir sind Kirche“ sei auch die weltweite Vernetzung mit anderen Organisationen, die ähnlich denken. „Auf lange Sicht kann der Vatikan uns nicht umgehen.“

Fortschritte sieht Weisner auch bei den Forderungen der Kirchenvolksbewegung nach Gleichberechtigung der Frauen und der Abschaffung des Pflicht-Zölibats. „In Deutschland bereiten sich Frauen auf das Diakonieamt vor, in Österreich sogar auf das Priesteramt.“ Einige katholische Bischöfe könnten sich mittlerweile Frauen als Priesterinnen vorstellen. „Das war früher undenkbar.“ Beim Zölibat müssten sich die kirchlichen Oberen bald aus praktischen Gründen etwas einfallen lassen. „Wir bereiten schon heute die Gemeinden auf eine priesterlose Zeit vor.“

Hintergrund
„Wir sind Kirche“ für mehr Mitbestimmung in der katholischen Kirche

Hannover (dpa) - Die Laienorganisation „Wir sind Kirche“ setzt sich bundesweit für mehr Mitbestimmung und Reformen in der katholischen Kirche ein. Entstanden ist die Kirchenvolksbewegung 1995. Auslöser waren problematische Bischofsernennungen sowie Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen den österreichischen Kardinal Hans Hermann Groer. Katholiken in Österreich verfassten einen Katalog mit Forderungen zur Reform der römisch-katholischen Kirche. Deutsche Katholiken schlossen sich dem so genannten Kirchenvolksbegehren an und sammelten 1,5 Millionen Unterschriften.

Das Reformpapier besteht aus fünf Forderungen. Als erstes wünschen die Laien, die Kluft zwischen Laien und Klerus abzubauen. Außerdem verlangen sie die Gleichberechtigung der Frauen und deren Zulassung zum Priesteramt. Als weiteres fordern sie die Abschaffung des Pflicht-Zölibats und die positive Bewertung der Sexualität in der katholischen Kirche. Im letzten Punkt wünschen sich die Laien eine „Frohe Botschaft“ der Kirche an Stelle einer „Drohbotschaft“. Papst Johannes Paul II. hat bis heute keine Stellungnahme zu den Forderungen abgegeben.

Zuletzt geändert am 26­.06.2006