4.2.2011 - Main-Post

Ein Hauch von Wittenberg

Kirchenreform: Es ist ein zündstoffgeladenes Papier. In ihren Thesen sprechen sich führende deutsche Theologen für Frauen im Priesteramt und den Fall des Zölibats aus – und ernten auch in der Diözese Würzburg breiten Zuspruch.

Im Jahre 1517 leiteten 95 Thesen des deutschen Theologieprofessors Martin Luther, angeschlagen an die Kirchentüre zu Wittenberg, die Reformationsbewegung ein. Knapp 500 Jahre später wollen Theologieprofessoren aus dem deutschsprachigen Raum die katholische Kirche abermals verändern. Eines haben sie mit ihren am Freitag veröffentlichten Thesen bereits geschafft: Die Diskussion über Reformen in der katholischen Kirche bekommt neue Nahrung.

„Das Memorandum wird anecken und nicht jedem schmecken“, prophezeit Karl-Peter Büttner. „Es ist aber eine gute und differenzierte Diskussionsgrundlage.“ Der Vorsitzende des Diözesanrats im Bistum Würzburg findet es gut, dass sich die Theologieprofessoren in den Diskurs einmischen: „Es ist nötig, dass möglichst viele, die in der Kirche sind, ihre Meinung sagen und dazu stehen.“

Einer, der immer seine Meinung sagt, ist der Schweinfurter Pfarrer Roland Breitenbach, mittlerweile in Rente. Den Forderungen der Wissenschaftler stimmt er uneingeschränkt zu. „Kein Punkt widerspricht irgendeinem Grundsatz des Evangeliums oder der Praxis der frühen Christen. Bei ihnen gab es weder Bischöfe, noch Zölibat“, erinnert er.

Und da ist es, das Wort, das die Kirchengemüter seit Monaten aufwühlt und reformwillige Christen elektrisiert. In ihrem Papier stellen die Theologieprofessoren die verpflichtende Ehelosigkeit der Priester in Frage. „Ich gehe davon aus, dass der Zölibat über kurz oder lang fallen muss“, sagt Pfarrer Breitenbach. Und Diözesanratsvorsitzender Büttner meint: „Er ist zwar ein hohes Gut. Meiner Meinung nach muss aber nicht jeder Priester zölibatär leben.“ Ein Wegfall ist nach Ansicht vieler jedoch nicht der Kernpunkt in dem Papier der Professoren. Wichtiger ist der Aspekt, „dass das Verhältnis zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk anders geregelt werden soll“, erklärt der Schonunger Magnus Lux, Vorstandsmitglied von „Wir sind Kirche“. Die Art und Weise, wie jetzt miteinander umgegangen werde, sei „unchristlich“, sagt er. Die Machtstrukturen der heutigen Kirche hätten sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt, sagt Lux. „Das heißt aber nicht, dass sie so richtig sind. Vielmehr ist die kirchliche Machtstruktur in vielen Punkten nicht bibelkonform“, kritisiert er.

Weitere Informationen zum Memorandum unter: www.memorandum-freiheit.de

Auch Breitenbach hält die Forderungen nach einer Möglichkeit, gegen kirchliche Bestimmungen klagen zu können und „nach mehr Demokratie in der Kirche“ für essenziell. Mit Blick auf die geschlossenen kirchlichen Hierarchien warnt er: „Alle diktatorischen Systeme zerbröckeln irgendwann, wenn der Siedepunkt erreicht ist. Das sieht man jetzt in Ägypten.“ „Alle diktatorischen Systeme zerbröckeln irgendwann, wenn der Siedepunkt erreicht ist. Das sieht man jetzt in Ägypten.“

Der Vergleich scheint übertrieben, doch Breitenbach weiß: „Es brodelt schon lange an der Basis. Jetzt kommen die Professoren dazu.“ Im Laufe des Freitags wurden die Unterzeichner immer mehr: Hatten am Morgen bei der Veröffentlichung ursprünglich 144 Theologieprofessoren das Papier unterschrieben, waren es bis zum Nachmittag schon knapp 160. „Wir haben in Deutschland etwa 400 Theologie-Professoren“, erklärt Lux. „Etwa ein Drittel hat nun unterschrieben. Wenn sie sich trauen, werden noch mehr dazukommen“, glaubt er.

Das Papier ist zündstoffgeladen. Nicht nur Zölibat und Struktur der Kirche werden in Frage gestellt. Zudem ist von „XXL-Pfarreien“ und „verheizten Priestern“ die Rede, die unter der Last von immer größeren Verwaltungseinheiten zusammenbrechen; sie „brennen aus“, schreiben die Theologen. „Priester sind vielfach überlastet“, bestätigt Büttner. Seine Lösung: Laien – Männer und Frauen – sollten mehr eingebunden werden und auch Aufgaben übernehmen dürfen, die bislang den Geweihten vorbehalten waren.

An der Basis, so scheint es, fallen die Thesen auf fruchtbaren Boden. „Es gibt schon Momente, in denen man sich fragt, ob man sich das alles antun muss“, sagt beispielsweise Pfarrer Sven Johannsen. Er ist verantwortlich für die Pfarreiengemeinschaft „Zwölf Apostel am Tor zum Spessart“, die neben Lohr noch neun andere Orte umfasst. Gab es im Jahr 1980 noch 499 Priester in der Diözese Würzburg, so sind es aktuell nur noch 367. Anstrengend sei es, ständig präsent zu sein und den Überblick zu bewahren, ohne Pensionäre und ehrenamtliche Helfer wäre die Seelsorge für die Hauptberuflichen „nicht möglich“, sagt Johannsen. Auch in der Liturgie sieht er „dringenden Handlungsbedarf“. Johannsen sieht eine kritische Begleitung der Kirche als Aufgabe der Theologie, sie repräsentiere die Wirklichkeit in den Gemeinden: „Vieles von dem, was nun gesagt wurde, kann ich gut mittragen“, so der Priester.

Auch sein Kollege Marcus Lux von der Pfarreiengemeinschaft „Der Gute Hirte im Markt Burkardroth“, die im Landkreis Bad Kissingen gleich zehn Orte umfasst, stößt manchmal an seine Grenze: Manchmal sei die Arbeit „so weit weg von dem, was wesentlich ist, nämlich Jesus Christus. Das ist schade, man kann nicht so wirken, wie man es möchte.“ Verwaltung statt Seelsorge, mit diesem Problem sehen sich viele Priester konfrontiert. Dazu kommt, dass sie vor Ort von Gläubigen für die Situation verantwortlich gemacht werden: „Aber wir können nichts dafür, wir haben das nicht verbrochen.“ Die Abschaffung des Zölibats ist laut Priester Marcus Lux zwar kein Allheilmittel, aber die derzeitige Situation mache es für viele Pfarrer schon schwer, „ein zölibatäres Leben zu führen“. Viele Kollegen, so beobachtet es Marcus Lux, wohnen alleine im Pfarrhaus, „wo sie regelrecht vereinsamen“.

Der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann wollte sich nicht zu den bemerkenswerten Thesen äußern. Er verwies auf eine Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz, die am Freitagnachmittag in Bonn veröffentlicht wurde. Darin ist von „einem ersten Schritt“ die Rede und von „Spannung zu theologischen Überzeugungen“. Die Bischofskonferenz schließlich „will ihrerseits Vorschläge erarbeiten, die weiterführend sein werden“. Die meisten Bischöfe, sagt der Schweinfurter Pfarrer Breitenbach, „werden sich von dem Papier nicht beeindrucken lassen und verhärten“. Und Diözesanratsvorsitzender Büttner rechnet gar mit „Gegenfeuer“, allerdings nur, so hofft er, von einer Minderheit der Kleriker, nämlich von den Bischöfen, die sich schon in der Vergangenheit nicht dialogbereit gezeigt hätten.

Schweigen – das sollte für die Bischöfe gerade jetzt nicht das Gebot der Stunde sein, findet Magnus Lux von „Wir sind Kirche“: „Genau jetzt, vor dem Papstbesuch im September in Deutschland, ist der richtige Zeitpunkt, die Diskussion anzustoßen“, appelliert er. Und bei dieser dürfe es „auch für umstrittene Themen kein Gesprächsverbot geben“, fordert Büttner. Dabei seien die Themen der aktuellen Diskussion keineswegs neu. Eine breite Schicht greife nun das auf, „was übrigens der heutige Papst als junger Mann schon in den 70er Jahren wollte, aber bis jetzt unerfüllt blieb“, sagt Breitenbach.

Von unseren Redaktionsmitgliedern Benjamin Stahl und Achim Muth

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Zuletzt geändert am 04­.02.2011