7.2.2011 - Die Welt

Das Feuer an den Machtstrukturen lodert

Längst hat die Bereitschaft für grundlegende Reformen in der katholischen Kirche auch konservative Kreise erreicht

Die Kritiker warten auf die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz

Friedhelm Hengsbach wundert sich. Der Theologe, einst Nachfolger des großen katholischen Sozialethikers Oswald von Nell-Breuning an der Frankfurter Jesuitenhochschule Sankt Georgen, kann keine neuen revolutionären Gedanken in dem Aufruf der mehr als 150 katholischen Hochschullehrer für einen "Aufbruch" in der Kirche entdecken. Die Forderungen nach tiefgreifenden Reformen seien "uralt, wie ein rostiger Nagel", sagt Hengsbach der "Welt". Der Professor macht sich wenig Hoffnung, dass es gelingen werde, den Rost endlich wegzukratzen: "Ich glaube, der deutsche Episkopat ist momentan gespalten, gar nicht handlungsfähig." Den Appell hat Hengsbach dennoch unterschrieben: "Man muss den bevorstehenden Papstbesuch nutzen, um auf die Probleme der Kirche aufmerksam zu machen. Es wäre eine Kurzschlusshandlung, an den alten Strukturen festzuhalten." Sie seien das Hindernis für neue Lebenskraft und Glaubwürdigkeit der durch Missbrauchsaffären, Austritte und Priestermangel erschütterten Kirche.

In dem "Memorandum" der Theologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ist alles aufgelistet, was seit vier Jahrzehnten innerkirchlich diskutiert wird: Lockerung der Zölibatsverpflichtung, Priesterweihe von Frauen, Beteiligung des Kirchenvolkes an der Auswahl der Bischöfe, ein Ende des moralischen Rigorismus und eine verbesserte Rechtskultur. Doch heute sind es nicht nur die "üblichen Verdächtigen", die Theologen aus dem progressiven Spektrum, die den neuen "Alarmruf" unterstützen, es haben auch eher konservative Professoren wie der Freiburger Eberhard Schockenhoff und Peter Neuner (München) ihre Unterschrift gegeben. Das ist eine neue Entwicklung, das Feuer der Kritik an den Macht- und Kommunikationsstrukturen lodert nun an mehreren Stellen. Gemeinsam ist den Unterzeichnern das große Unbehagen über eine verstärkte Klerikalisierung und die Bildung von Mega-Pfarrgemeinden, die eine personale Seelsorge praktisch unmöglich machten. "Seelsorge tritt zugunsten organisatorischer Fragen in den Hintergrund", bedauert Professor Neuner. Sein Augsburger Kollege Hanspeter Heinz, zehn Jahre Rektor im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), rät ebenfalls zu einem entschiedenen Eintreten für eine Reform - "gerade angesichts des Papstbesuchs". Das unversucht zu lassen wäre "unverantwortlich", sagte er der "Welt". Heinz fügt hinzu: "Wenn die Unruhe laut genug ist, wird Bewegung in die Sache kommen." Eine Mitwirkung von Priestern, Diakonen und Laien bei der Bestellung neuer Bischöfe sei schon heute "unterhalb der Konkordatsebene" möglich. Der Theologe spricht offen von einer "einseitigen Auswahl" der Bischöfe: "Es werden angepasste Leute ausgesucht. Was in Rom zählt, das ist die Stimme von Kardinal Joachim Meisner." Geistliche, die zu päpstlichen Äußerungen kritisch Stellung genommen hätten, "solche Männer werden nicht Bischof". Werde in einem Bistum eine von Rom als problematisch betrachtete Seelsorge entwickelt, setze man beim Wechsel einen Nachfolger ein, der die Entwicklung rückgängig mache.

Zu einer ähnlichen Diagnose kommt Michael Albus, der in Freiburg "Religionsdidaktik der Medien" lehrt. Aus "Angst vor Rom" gehe der vom deutschen Episkopat versprochene "Dialogprozess" nicht voran. "Es tut sich nichts, momentan liegt alles brach", beschreibt Professor Albus die Lage. "Wir haben es mit einer richtigen Lähmung zu tun." Nur eine bestimmte Gruppe von Bischöfen sei zu einem wirklich offenen Dialog bereit. Albus würdigt die Stellungnahme des Sekretärs der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, zu dem Memorandum. Langendörfer hatte erklärt, Angst sei in der Tat kein guter Ratgeber, die Kirche in Deutschland suche in neuer Lebendigkeit danach, wohin sie ihr Pilgerweg heute führe, und "sperrigen Themen" sei dabei nicht zu entkommen. Für den Professor aus Freiburg ist jedoch fraglich, dass Langendörfer tatsächlich für die gesamte Bischofskonferenz spreche. In heiklen Situationen schiebe "man immer einen vor die Festung". Zudem sei es "schlimm", dass die Bischöfe in der Frage der Entschädigung der Missbrauchsopfer über Ankündigungen nicht hinausgekommen seien, so entstehe der Eindruck einer "Ankündigungskirche".

Der Mainzer Theologe Gerhard Kruip, der maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des "Memorandums" hat, warnte die Bischöfe, die Unzufriedenheit gerade der engagierten Laien nicht ernst zu nehmen. Wenn die Reformschritte fehlschlügen, sei die Kirche in den deutschsprachigen Ländern am Ende. Der Theologen-Appell habe eine große Dynamik entfaltet. Und die amtskirchenkritische Gruppierung "Wir sind Kirche" mahnte: "Solange nicht alle Bischöfe zu einem Dialog ohne Denkverbote über die Zukunft der Kirche bereit sind, wird die Glaubwürdigkeit der Kirche weiter sinken."

Der Druck auf den Episkopat wächst. Nun wartet man auf die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Sie will nach einer offiziellen Ankündigung ihrerseits Vorschläge erarbeiten. So viel steht fest: Der katholischen Kirche in Deutschland stehen weitere unruhige Monate bevor - ausgerechnet im Jahr des offiziellen Besuchs von Papst Benedikt in seiner Heimat.

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Zuletzt geändert am 07­.02.2011