15.3.2011 - Süddeutsche Zeitung

Ein bisschen Buße

Die Bischöfe zelebrieren Reue, doch die Missbrauchsopfer erreicht das nicht

Von Matthias Drobinski

Paderborn – Sie kommen durch die Rote Pforte in den Dom zu Paderborn gezogen, die Pforte der Buße. Ziehen in langer Reihe zum Orgelspiel an den mächtigen Sandsteinsäulen vorbei, die deutschen Bischöfe, vorneweg ihr Konferenzvorsitzender Robert Zollitsch, der Freiburger Erzbischof, ohne Mitra und Hirtenstab, ohne die Zeichen seiner geistlichen Macht. Er trägt ein Kreuz aus dem 14. Jahrhundert, Jesus, der Schmerzensmann, hängt da blutüberströmt an einer grünen Astgabel, dem Zeichen des Lebens. Zollitsch kniet vor dem Altar nieder und schaut auf zum Kruzifix, es rumpelt in den Bänken, als die anderen 68 Bischöfe und Weihbischöfe niederknien, die sich in Paderborn zur Versammlung treffen; einige senken den Kopf, drei Minuten ist es still im Dom, ehe Zollitsch betet: „Wir empfinden tiefe Scham. Männer der Kirche haben junge Menschen, die ihnen anvertraut waren, missbraucht.“

Dreizehn Minuten dauert er, der Bußakt, um den die Bischöfe im Vorfeld gerungen haben; was an diesem Abend in Paderborn geschieht, ist ein Kompromiss zwischen denen, die so etwas für übertrieben halten, und denen, die sich ein stärkeres Zeichen gewünscht hätten. In Dublin hat Erzbischof Martin Diarmuid Missbrauchsopfern die Füße gewaschen, der Osnabrücker Hirte Franz-Josef Bode hat sich bäuchlings vor den Altar geworfen. Das war nicht nur aus Altersgründen nicht mehrheitsfähig. Und auch die Rote Pforte im Dom hat Vorteile: Man muss den Demonstranten vor dem Haupteingang nicht begegnen.

Die kommen von der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ – und es sind die Opfer der Gewalt gekommen. Matthias Katsch zum Beispiel, der Sprecher der Opfer am Berliner Canisius-Kolleg der Jesuiten, der seit dem Mittag Journalisten und Passanten erklärt, warum das Entschädigungsangebot der Bischöfe vorne und hinten nicht reicht – 5000 Euro, das sei „lächerlich“, sagt er. Gerne hätte er gehabt, dass die Bischöfe an dem guten Dutzend ehemaliger Schüler vorbeiziehen, „dass sie uns in die Augen sehen“. Jetzt überlegt er, ob er in den Dom in den Gottesdienst geht, „ich bin Katholik, aber ich weiß ja gar nicht, ob ich da eingeladen bin“, sagt er unsicher.

Buße ja, aber nicht so heftig: Das beschreibt die Lage der Bischofskonferenz ein Jahr nach dem Beginn der Missbrauchskrise. Die Bischöfe haben ihre Leitlinien zum Umgang mit Fällen sexueller Gewalt verbessert, den Opfern ein konkretes Angebot unterbreitet – nicht viel, aber die katholische Kirche ist immerhin die einzige Institution, die das tut. Doch wie sie das verlorene Vertrauen wiedergewinnen kann, bleibt unklar. Im September hat Zollitsch eine Dialoginitiative der Bischöfe angekündigt – doch wohin soll der Dialog gehen, wenn eine Reihe von Bischöfen das alles für übertrieben hält? Ja, hat Zollitsch vor dem Bußgottesdienst den Journalisten gesagt, das alles gehe „langsamer, als wir uns das vorher dachten“. Bis zum Ende der Konferenz am Donnerstag solle es aber „konkrete Vorschläge“ geben. Jetzt aber beten sie. Zu Gott, für die Opfer.

Draußen vor der Kirchentür steht Katsch und sagt: „Ich fühle mich mit dieser Zeremonie nicht gemeint.“ In der Kirche war er nur kurz. Als das Orgelspiel einsetzte, hat er es nicht mehr ausgehalten und ist hinausgegangen.

Zuletzt geändert am 15­.03.2011