6.7.2011 - Publik-Forum

Eine Reise ins Ungewisse

von Thomas Seiterich

Nichts bleibt dem Zufall überlassen: Viele offene Fragen zum Beginn des innerkatholischen Gesprächsprozesses in Mannheim

Kann dieses Vorhaben überhaupt gelingen? Einen auf fünf Jahre geplanten, kontrollierten »Gesprächsprozess« – jedoch keinen offenen Dialog – starten die katholischen deutschen Bischöfe am ersten Wochenende im Juli. Ausgerechnet in Mannheim, der seit Friedrich Schillers Zeiten freiheitlichsten Stadt im Südwesten Deutschlands.

Rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, kirchliche Haupt- sowie Ehrenamtliche, haben die Bischöfe zu dem zweitägigen Auftakt des Gesprächsprozesses eingeladen. Das Ziel formulieren sie so: Es gehe um »die gemeinsame Erörterung der Fragestellung: ›Wo stehen wir mit unserem Glauben und als Kirche heute in der Welt?‹«

Glaubwürdigkeitskrise ist Anlass

Ausgerufen hat den bis ins Jahr 2015 dauernden Zukunftsratschlag der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch. Er proklamierte das Projekt auf der letztjährigen Herbstvollversammlung der Bischöfe in Fulda, als das innerkatholische Stimmungsbarometer auf viele Grad unter null gesunken und das Ansehen der katholischen Kirche in Deutschland im Keller war. Auslöser der in dieser Tiefe bislang noch nie dagewesenen Glaubwürdigkeitskrise der Institution Kirche waren die vielen sexuellen Missbrauchsskandale durch Geistliche, die durch kirchliche Amtsträger teilweise jahrzehntelang vertuscht worden waren. Doch nun soll der »Gesprächsprozess« das Mittel sein, mit dem sich die Kirche am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht. So sehen es zumindest die Bischöfe.

Nichts bleibt bei dem »Gesprächsprozess« dem Zufall überlassen. Der Ankündigungstext belegt durchgängig, wie massiv die Bischöfe steuern wollen. Es handelt sich mitnichten um einen ergebnisoffenen, herrschaftsfreien Dialog gleichberechtigter Partnerinnen und Partner.

»Die deutschen Bischöfe haben … eine Themenbreite ausgewählt«, heißt es. Worüber diskutiert wird – und worüber nicht! – ist also im Vorhinein von den Bischöfen festgelegt. – »Die deutschen Bischöfe haben … eine Teilnehmerschaft eingeladen«: Wer zu Wort kommen darf und wer nicht, ist ebenfalls vorher festgelegt. Wird diese Auswahl, wie von den Oberhirten behauptet, »die vielstimmige Bandbreite der katholischen Kirche in Deutschland« abbilden? Zweifel sind angebracht. Sitzen enttäuschte oder aus welchen Gründen auch immer ausgegrenzte, zweifelnde oder kirchlich distanzierte Katholiken mit am Gesprächstisch? Eher nicht.

Offener Brief der Reformgruppen

Das von den Bischöfen vorgegebene Ziel des »Gesprächsforums«: »Wo stehen wir mit unserem Glauben und als Kirche heute in der Welt?«, greift ausdrücklich nicht die klaren, gut begründeten Forderungen nach Strukturreformen auf, wie sie jüngst von über 300 Theologieprofessorinnen und -professoren in ihrem Memorandum Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch gefordert wurden. So kritisieren denn auch die Reformgruppen Leserinitiative Publik, Wir sind Kirche und Initiative Kirche von unten in einem offenen Brief an die Teilnehmenden der Mannheimer Auftaktveranstaltung, dass die von den Bischöfen vorgegebene Fragestellung »von den drängenden Fragen eher ablenkt«. Unverzichtbare, wenn auch sperrige Themen »wie Sexualität, Zölibatsverpflichtung oder der Sakramentenempfang wiederverheirateter Geschiedener« würden allem Anschein nach ausgespart. Den Hinweis der Bischöfe, dass eine Reihe dieser strittigen Fragen nur »auf weltkirchlicher Ebene« entschieden werden könnten, lehnen die Reformgruppen ab, »wenn damit nur die römische stabilisiert werden soll«. Stattdessen, halten sie dagegen, »erfahren wir immer wider, dass diese Minimalforderungen von kirchlichen Reformkräften weltweit geteilt werden«.


Eine geistliche Kehrtwende, die den begrenzten Konflikt mit Rom selbstbewusst riskiert um des Glaubens willen, erscheint in dem nun beginnenden Gesprächsprozess kaum möglich. Denn es geht laut bischöflicher Vorgabe »um eine vertiefte Klärung und Vergewisserung des Zeugnisses der Kirche in der Welt und ihrer Sendung zu den Menschen« – da stören die praktischen Fragen nur. Zu Recht monieren die Reformgruppen: »Wir sehen die Gefahr, dass durch die einzelnen sehr kurzen Treffen einerseits und die Ausdehnung des Gesprächsprozesses auf fünf Jahre andererseits kritisches Potenzial gebunden und entschärft werden soll.«

Hinzu kommt: Beim »Pressegespräch über die Erfahrungen und Perspektiven des Forums«, das die Veranstaltung im Mannheimer Congress Center Rosengarten abschließt, wird nicht etwa eine repräsentative Auswahl der Teilnehmenden berichten, sondern ausschließlich die einladende Seite; das sind die Bischöfe Reinhard Marx (München), Franz-Josef Bode (Osnabrück) und Franz-Josef Overbeck (Essen). Die öffentliche Darlegung einer anderen Sicht der katholischen Dinge oder gar eine öffentliche Kritik am bischöflichen »Gesprächsprozess« wird auf diese Weise verhindert.

Gremien bestimmen Delegierte

Einer, der sich dennoch zu den Optimisten zählt, ist der Paderborner Rechtsanwalt Hans-Georg Hunstig. Anders als viele andere ist der 61-Jährige finanziell und beruflich nicht abhängig von der Kirche. »Unser Erzbischof hat den Gremien freie Wahl gelassen, wer nach Mannheim entsandt wird«, berichtet er. »Drei stammen aus dem Priesterrat, sechs aus dem Katholikenkomitee des Erzbistums Paderborn.«

Ende Juni haben sich die neun westfälischen Delegierten in Dortmund getroffen, einen Abend lang über ihre unterschiedlichen Erfahrungen mit Schwächen und Stärken der Kirche offen geredet und vereinbart, »alle konfliktiven Themen in Mannheim offen auf den Tisch zu legen«. Hunstig, der seit vielen Jahren im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sowie im diözesanen Katholikenkomitee als gewähltes Mitglied mitarbeitet, sagt: »Wir lassen uns von niemandem einschüchtern.«

Zupass kommt den Paderbornern und anderen freimütigen Gesprächsteilnehmern die Tatsache, dass die Bischöfe – immerhin – ein relativ beteiligungsfreundliches Modell des Gesprächs planen: Je acht Teilnehmer werden an einen der drei Dutzend Tische zusammengelost. Später ändert sich die Zusammensetzung der Tische. Auf diese Weise sollen alle zum Sprechen kommen. Sämtliche Statements zur Lage von Glaube und Kirche werden dokumentiert. Hieraus ergibt sich ein zahlengestütztes Meinungsbild – und ebendies lässt den alten Gremienhasen Hunstig hoffnungsfroh sein.

Kritiker nicht eingeladen

Christian Weisner, Bundessprecher der Kirchenreformbewegung, ist weitaus skeptischer. »Drei Mal« habe Wir sind Kirche zwischen September und Dezember sämtliche 27 Diözesanbischöfe angeschrieben und die Bereitschaft erklärt, an dem von Erzbischof Zollitsch als »offen« angekündigten Dialog teilzunehmen. Resultat: Nur zwei dürre Eingangsbestätigungen und je ein freundlich nichtssagendes Schreiben aus den Erzbistümern Hamburg und München. Kein Bischof aber lud einen Vertreter von Wir sind Kirche nach Mannheim ein.


Es werde beim Dialogprozess unter den Oberhirten kräftig krachen, prognostiziert ZdK-Präsident Alois Glück. Der ehemalige CSU-Politiker rechnet mit vielen Streitigkeiten. Umso mehr arbeitet der erfahrene Verhandler daran, dass ein ernst zu nehmendes Gespräch überhaupt zustande kommt und die innerkirchlichen Lager sich nicht vorab vollends zerstreiten.

Was aber steht am Ende? Für die katholischen Reforminitiativen ist die Sache klar: »Am Ende müssen konkrete Vereinbarungen über das weitere Vorgehen stehen, also für alle Teilnehmenden verbindliche Beschlüsse, deren Umsetzung durch ein von allen Seiten akzeptiertes unabhängiges ›Monitoring‹ überwacht wird.« Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Zuletzt geändert am 06­.07.2011