12.8.2011 - Publik-Forum

»Wenn Sie diesen Antrag ausfüllen ...«

Vor Nebenwirkungen wird gewarnt: Die katholische Kirche entschädigt Opfer sexueller Gewalt. Aufgearbeitet ist damit fast nichts

von Britta Baas 12.08.2011

»Zum Missbrauch gehören zwei Aspekte: Die Missbrauchstat im engeren Sinne sowie die unangemessene Reaktion der Institution, in welcher der Missbrauch geschieht. Gerade dieser zweite Aspekt schmerzt viele Opfer heute noch.« Diese Sätze stammen vom Jesuiten Klaus Mertes, der 2010, als – damaliger – Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, den Dammbruch zur Aufklärung der massenhaften Gewaltfälle in der katholischen Kirche auslöste. Ihm und anderen ist es auch zu verdanken, dass die Frage nach dem »Warum« in der Kirche nicht zum Schweigen gebracht werden kann. Denn für Mertes ist klar: »Ein Missbrauch in einer katholischen Schule schmeckt nach katholischer Kirche.« Mit anderen Worten: Was geschah und was geschieht, hat auch mit der Struktur der betreffenden Institution zu tun.

Den Antrag gibt´s im Internet

Die katholische Kirche hat spät auf die jahrzehntelangen Verbrechen an Kindern und Jugendlichen in ihren eigenen Reihen reagiert. Umso überraschender war es, dass sie dann doch in die Offensive ging: Weil ihr am Runden Tisch »Sexueller Kindesmissbrauch« der Bundesregierung nicht schnell genug über institutionen-übergreifende Entschädigungszahlungen entschieden wurde, entschloss sie sich, »schnell und unbürokratisch« eigenständig Hilfe anzubieten. Ein Ergebnis dieser Offensive ist ein »Antrag auf Leistung in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde«. Der Antrag existiert seit März 2011, umfasst acht Seiten, ist im Internet abrufbar oder persönlich bei den sogenannten Missbrauchsbeauftragten der deutschen Diözesen zu bekommen. Und genau an diesem Formular entzündet sich nun der Ärger von Antragstellern.

Diese »Sachverhalte« bringen Walter Kurz auf die Palme

Wie zum Beispiel der von Walter Kurz*. Der 70-Jährige wurde nach eigenen Angaben als jugendlicher Ministrant von einem Kaplan sexuell misshandelt. Als er nun, mehr als fünf Jahrzehnte später, seinen Antrag auf Entschädigung stellen will, überkommt ihn Unbehagen. Das Papier sei derart auf eine juristische Absicherung der Kirche aus, so Kurz, dass »die Empathie mit den Missbrauchten weitgehend durch das Sieb« falle. Er fordert: »Das Antragsverfahren muss aus der Opferperspektive überprüft und überarbeitet werden.«

Seine Kritik formuliert er zuerst einmal bei den zuständigen kirchlichen Stellen. Doch »sein« Missbrauchsbeauftragter antwortete monatelang nicht. Und auch in der zentralen Koordinierungsstelle, im Büro für Fragen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in Bonn, erhält er keine befriedigenden Antworten auf seine Fragen. Die Geschäftsführerin des Büros, Bettina Janssen, schreibt ihm zwar, weist allerdings lediglich, so empfindet es Kurz, »auf bekannte allgemeine Sachverhalte« hin. Diese Sachverhalte aber sind es, die Walter Kurz auf die Palme bringen. Zwei Welten treffen aufeinander: Hier die Institution Kirche, die Hilfe anbietet, sich aber juristisch abzusichern weiß und dies auch emotionslos tut. Dort die Antragsteller, Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche, viele von ihnen traumatisiert – und nun gezwungen, das zurückliegende Geschehen im Kopf noch einmal zu durchleben.

Die Kirche entschädigt die Opfer – freiwillig

Denn im Antrag wird sehr genau nachgefragt: Verlangt wird der Name des Täters, verlangt werden Angaben zum Tatort, zur Tatzeit und zum Tathergang. Weiter wird abgefragt, wie die Kirche damals mit dem Fall umgegangen sei: Wurde vertuscht und verschwiegen? Oder anerkannt, was geschehen war? Schließlich wird der Antragsteller aufgefordert, die körperlichen und seelischen Folgen der Tat zu benennen. Und ganz am Ende wird er belehrt: »Alle Leistungen (der Kirche, Anmerk. d. Red.) sind freiwillige Leistungen, die ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht erfolgen. Für die freiwilligen Leistungen ist der Rechtsweg ausgeschlossen.«

Diese Formulierung benennt rein juristisch die Tatbestände: Denn die Kirche ist nicht identisch mit den Einzeltätern, gegen die vor Gericht verhandelt werden könnte – wenn es denn zu einer Gerichtsverhandlung käme. Dies aber ist in der Mehrheit der Fälle unwahrscheinlich. Denn sexualisierte Gewalt verjährt – ein Dorn im Auge sämtlicher Opferverbände. Sie verjährt sogar schockierend schnell: In »leichten« Fällen nach fünf Jahren, in schweren spätestens nach zwanzig. Für die zumeist älteren Antragstellerinnen und Antragsteller heißt das: Ihr jeweiliger Fall liegt zumeist so weit zurück, dass sie vor weltlichen Gerichten keine Chance mehr haben, Entschädigungen einzuklagen. Sie sind abhängig davon, dass die Kirche nun freiwillige Zahlungen an sie leistet – ein demütigender Zustand.

Gedemütigt und fassungslos

Diese Demütigung ist es, die Menschen wie Walter Kurz spüren. Zur Demütigung kommt die Fassungslosigkeit: Wie kann eine Institution der »Gutmenschen«, für die die Kirche gesellschaftlich steht, ein solches Formular herausgeben: in kalter, sachlicher Sprache, ohne jegliche Andeutung moralischer Verzweiflung über sich selbst? Walter Kurz schreibt: »Wenn ein Missbrauch seitens kirchlicher Täter festgestellt ist, so ergibt sich daraus meines Erachtens zwingend die Verpflichtung, den entstandenen Schaden so weit wie möglich seitens der katholischen Kirche zu mildern und wiedergutzumachen. Das ist kein freiwilliger Gnadenakt.« Doch moralische Kategorien wie Gnade und Vergebung, Schuldeingeständnis und Bitte um Entschuldigung sucht man in einem Antrag dieser Art vergebens. Um diese Dinge geht es nicht. Zumindest nicht hier.

»Unangemessene Reaktion«: Zahlen – und fertig?

Das wirft die Frage auf, wo es denn stattdessen um diese Kategorien gehen könnte und müsste. Wo findet die Auseinandersetzung um das Geschehene so statt, dass nicht mehr mit dem Jesuiten Klaus Mertes von einer »unangemessenen Reaktion der Institution« gesprochen werden muss?

Es gibt viele Orte und Situationen, die zu nutzen wären, um das menschlich Nötige zu tun. Das fängt bei der Frage an, wie sich die Institution Kirche ihren Opfern zuwendet. Erkennt das Führungspersonal – erkennen Bischöfe, Generalvikare, Verwaltungsmächtige – öffentlich an, dass es ein grundlegendes strukturelles Problem gibt, das diese Gewalttaten ermöglichen konnte? Dass sexuelle Gewalt in einer katholischen Institution immer auch katholisch schmeckt, wie Mertes es formuliert?

Sind – zweitens – die Missbrauchsbeauftragten der Diözesen so ausgewählt, dass sie auf die traumatisierten Menschen, die zu ihnen kommen, professionell reagieren können? Kennen sie sich aus mit den unterschiedlichen Formen psychischer Dekompensation? Ist ein Jurist darin ebenso kompetent wie ein Psychologe, ein Weihbischof ebenso professionell wie eine Familienberaterin? Signalisiert es – drittens – wirklich Zuwendung, wenn Anträge für zumeist ältere Menschen übers Internet oder über den Gang zum Missbrauchsbeauftragten zu bekommen sind? Und: Nützt es – viertens – Antragstellern, die Menschlichkeit einklagen, irgendetwas, faktenhubernde Briefe zu bekommen?

»An der Wurzel ihres Problems ist die Kirche noch nicht dran«

Immerhin: In Bonn hat man gemerkt, dass der Antrag für die Opfer eine Zumutung bedeutet. Der Text wurde nachgebessert – »mehrfach«, wie es in der bischöflichen Pressestelle heißt. Jüngstes Ergebnis: Ein rot markierter Absatz gleich auf der ersten Seite, der mit diesen Worten beginnt: »Wenn Sie den Antrag ausfüllen, kann das eventuell seelische Probleme auslösen ...« Wie wahr! Christian Weisner, Sprecher der Reformbewegung Wir sind Kirche, sagt dazu: »An der Wurzel ihres Problems ist die Kirche offenbar noch lange nicht dran.«

http://www.publik-forum.de/religion-kirchen/artikel/wenn-sie-diesen-antrag-ausfuellen

Zuletzt geändert am 15­.08.2011