22.9.2011 ORF

Wie viel Dialog bringt der Papst mit?

Wenn Papst Benedikt XVI. zum dritten Mal in seinem Pontifikat Deutschland besucht, dann ist er mit einem Land konfrontiert, in dem es mittlerweile mehr Konfessionslose als Christen gibt. Nach der anfänglichen „Wir sind Papst“-Begeisterung der Zeitung „Bild“ ist der Blick auf Benedikt in seiner Heimat nüchterner - mitunter auch enttäuschter - geworden.

„Die Deutschen fallen vom Glauben ab“, fasste die „Süddeutsche Zeitung“ jüngst den Hintergrund der Papst-Visite in Deutschland zusammen. Nicht nur die Katholiken, auch die Protestanten verlieren Mitglieder. Rund acht Millionen Menschen haben in den letzten Jahren den christlichen Volkskirchen in Deutschland den Rücken gekehrt.

Im Osten Deutschlands sind nach der Zeit der DDR in manchen Bundesländern mehr als drei Viertel der Bevölkerung konfessionslos (81 Prozent etwa in Sachsen-Anhalt). Hochburg des Katholizismus ist das Saarland mit 63 Prozent Katholiken. Das als Katholiken-Hochburg gedachte Bayern kommt mit 55 Prozent auf Platz zwei.

Keine Begeisterung wie im Sommer 2005
Als Papst Benedikt im Sommer 2005 wenige Monate nach seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Kirche (April 2005) nach Deutschland kam, waren Begeisterung und teils auch nationaler Stolz gegenüber dem Mann aus Marktl am Inn groß. Doch mittlerweile sind sechs Jahre vergangen - und die Reformansätze in der katholischen Kirche, auf die nicht zuletzt viele Mitglieder hoffen, nicht zu erkennen.

Die Mehrheit der Deutschen hat keine großen Erwartungen an den bevorstehenden Deutschland-Besuch. Laut einer zuletzt veröffentlichten Umfrage der Bertelsmann Stiftung wünschen sich viele zwar eine Öffnung und Liberalisierung der katholischen Kirche, 53 Prozent gehen aber davon aus, dass die Papst-Visite keine entscheidenden Impulse bringen wird. Nur 41 Prozent rechnen mit konkreten Ergebnissen.

Eine deutliche Mehrheit von 71 Prozent der Befragten wünscht sich laut Umfrage zwar eine Öffnung der katholischen Kirche, aber lediglich jeder Dritte rechnet mit entsprechenden Aussagen des Papstes. Eine Intensivierung des Dialogs zwischen Christen, Muslimen und Juden erwarten demnach nur 35 Prozent der Befragten. Ebenfalls nur etwa jeder Dritte meint, dass der Papst Impulse für die Modernisierung der Kirche geben wird. 37 Prozent gehen davon aus, dass durch den Papst eher konservative Positionen und kirchliche Grundsätze verstärkt werden.

„Dialog kommt gar nicht vor“
Auch die katholische Reformgruppe „Wir sind Kirche“ vermisst beim Papst-Besuch die Chance, Benedikt XVI. auch mit kritischen Themen zu konfrontieren. „Dialog kommt gar nicht vor“, sagte Christian Weisner vom Bundesteam der kirchenkritischen Organisation der Nachrichtenagentur dpa im Vorfeld des Besuchs. Das Zeitfenster und die Form der Begegnung seien beispielsweise beim Treffen des Papstes mit Vertretern der evangelischen Kirche in Erfurt kaum für eine ausführliche Diskussion geeignet: „Das hat gar keine Dialogstruktur.“

Weisner kritisierte zudem, dass nach der Rede des Papstes vor dem Bundestag die Abgeordneten keine Fragen stellen dürfen. Dabei sei doch das Parlament „ein genuiner Ort von Debatte und Dialog“.


In der katholischen Kirche sei keine offene Diskussion möglich, so Weisner. „Wenn man aber nicht offen diskutiert, greift man die Fragen der Menschen nicht auf.“ Zufrieden zeigte er sich darüber, dass der Papst nach einem Treffen mit Robert Zollitsch, dem Chef der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), offenkundig dem von der Bischofskonferenz angestrebten Dialogprozess keinen Riegel vorgeschoben hat. „Immerhin: Der Prozess läuft, aber es gibt nach wie vor große Fragezeichen.“

Wulff hofft auf deutliche Botschaften
Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff hofft vor dem Papst-Besuch in Deutschland, dass die Kirche ihr Verhältnis zu geschiedenen und wiederverheirateten Katholiken ändert. „Die Millionen Menschen, die in konfessionsverschiedenen Ehen leben, und die Millionen wiederverheirateten Katholiken - aber auch viele andere Gruppen - erwarten befreiende Botschaften“, sagte Wulff. Der geschiedene und wiederverheiratete Katholik Wulff ist als Bundespräsident Gastgeber von Papst Benedikt XVI.

Bischöfe erwarten positives Signal
Deutschlands oberster Katholik Zollitsch erwartet vom Papst positive Signale für die weitere Annäherung von katholischer und evangelischer Kirche. Benedikt XVI. interessiere sich sehr für das Treffen mit evangelischen Vertretern in Erfurt, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz im Deutschlandradio Kultur. Schon der Treffpunkt im Evangelischen Augustinerkloster zu Erfurt, in dem Martin Luther gelebt habe, sei ein Zeichen nach außen.

Auch Wulff hofft, dass der Papst die Ökumene und den Dialog der Religionen unterstützt: „Ich würde mich freuen, wenn bei den Gesprächen mit den Muslimen und Juden etwas Verbindendes zur Allianz der Religionen gesagt würde.“

Die Debatte über den Bundestagsauftritt Kritik am Auftritt des Pontifex vor dem Bundestag wies Wulff zurück. Es sei „grundsätzlich gut“, wenn der Bundestag Staatsoberhäupter zu Wort kommen lässt. „Ein solcher Auftritt im Parlament ist deshalb auch ein deutliches Signal.“

Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen kritisierte die Bundestagsabgeordneten, die bei der Rede des Papstes vor dem Parlament ihre Sitze freilassen wollen. Benedikt XVI. habe allemal Gehaltvolleres zu sagen als so mancher Parlamentarier, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Da lohne sich das Zuhören unabhängig von der eigenen Meinung: „Ich muss mir ja auch vieles anhören, von dem ich denke: Mein Gott. Aber dennoch akzeptiere ich es.“

Gysi stellt sich hinter kritische Abgeordnete
Dagegen verteidigte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi die Entscheidung einzelner Abgeordneter. „Bei manchen spricht auch die Seele dagegen, das respektiere ich immer.“ Er selbst will sich Benedikts Rede im Bundestag anhören: Er sei immer dafür, jemandem zuzuhören, sagte Gysi dem Bayerischen Rundfunk.

Deswegen habe er zugestimmt, als der Bundestagspräsident wegen der Papst-Einladung angefragt habe. Nun müsse aber auch regelmäßig ein Kirchenoberhaupt eingeladen werden. Man könne nicht allein bei der katholischen Kirche stehenbleiben. Obwohl selbst nicht gläubig, würde Gysi gerne länger mit dem Papst über die Normen der katholischen Kirche und andere Fragen sprechen: „Wenn er mal 20 Minuten hätte - ich meine, ich mach’s auch länger.“

Zuletzt geändert am 22­.09.2011