23.9.2011 Augsburger Allgemeine

Ergriffen, enttäuscht, gespannt

Verena Zint
Berlin/Landkreis „Ein Höhepunkt meiner Arbeit im Parlament“, sagt der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Eduard Oswald. Auch am Tag nach dem Treffen mit dem Papst im Deutschen Bundestag ist er noch sichtlich ergriffen vom Auftritt von Benedikt XVI. Der Bundestagsabgeordnete aus Dinkelscherben schüttelte dem Kirchenoberhaupt die Hand und überbrachte ihm die Grüße der Diözese Augsburg.

Während Oswald live dabei war, hat sich Pfarrer Hans Fischer aus Diedorf die Rede des katholischen Kirchenoberhaupts im Bundestag nicht mal im Fernsehen angeschaut. Er hatte keine Erwartung an die Worte des Papstes. „Da wird man nur enttäuscht“, sagt Fischer. In Beiträgen im Fernsehen und in der Zeitung habe er aber wahrgenommen, dass das, was der Papst gesprochen habe, sehr philosophisch und wenig konkret war. Fischer glaubt, dass Benedikt XVI. auf seiner Deutschlandreise nicht viel verändern kann.

Herbert Tyroller, Sprecher des Vereins Wir sind Kirche in Augsburg, hatte von vornherein keine großen Erwartungen an die Worte des Pontifex. Wir sind Kirche ist eine Bewegung, deren Ziel es ist, grundlegende Reformen im Kirchenrecht durchzusetzen. Von der katholischen Kirche ist die Initiative nicht offiziell anerkannt.

„Papst Benedikt XVI. hat über seine Lieblingsthemen gesprochen: Positivismus und Relativismus“, sagt Tyroller. „Der Papst schwebt über den Wolken“, sagt Tyroller. Rhetorisch könne sich der Papst gut verkaufen, „den Scherz über sein Alter hat er gekonnt einfließen lassen und seine Bonbons unauffällig an die Grünen verteilt.“ Dass das katholische Kirchenoberhaupt mehr ins Detail geht und sich zu aktuellen Themen äußert, hätte sich Herbert Tyroller gewünscht: Finanzkrise, Pränataldiagnostik oder die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. „Doch dadurch wären wohl nur unnötige Konflikte entstanden“, meint Tyroller. Insgesamt ist er der Meinung: „Die Wahrheit liegt im Tun und nicht im Reden.“


Pfarrer Engelbert Birkle aus Neusäß sieht die Situation etwas anders: Der Auftritt des Papstes sei überaus positiv gewesen. Besonders schön fand er, dass Benedikt XVI. die ökologische Bewegung so gewürdigt hat. „Ich war durchaus positiv überrascht“, sagt der Geistliche. „Schließlich kann man nicht über alles reden und jede Frage beantworten“, nimmt er den Pontifex vor den Kritikern in Schutz.

Auch vom Gottesdienst im Olympiastadion war Pfarrer Birkle begeistert. „Es ist schön, dass so viele Menschen zusammen einen so edlen Gottesdienst feiern konnten.“

Er hielt zur gleichen Zeit selbst einen Gottesdienst. Die Gläubigen, die seine Kirche besuchen, werden seit langer Zeit weniger. „Das ist ein Phänomen der Gesellschaft“, sagt der Pfarrer. Die Missbrauchsfälle in letzter Zeit hätten vor allem zu Kirchenaustritten der Katholiken geführt, die sich sowieso nicht mit der Kirche identifizieren. „Diese Leute hatten allgemein eine schlechte Erfahrung mit dem Glauben. Das Bekanntwerden der Missbrauchsfälle war dann nur noch der ausschlaggebende Punkt“, vermutet Herbert Birkle.

Das Standesamt Gersthofen registrierte seit Januar 2010 über 150 Austritte aus der römisch-katholischen Kirche. Im gleichen Zeitraum waren es knapp 40 evangelische Gläubige, die ihrer Kirche den Rücken kehrten.

Die Reden und Gottesdienste, die Papst Benedikt XVI. auf seiner Deutschlandreise noch halten wird, kann der Neusässer Pfarrer Birkle nicht live mitverfolgen. Die Arbeit spannt ihn zu sehr ein: Gottesdienste, Seelsorge und Beerdigungen. Trotzdem schaut er mit Spannung auf die Ergebnisse des Gesprächs in Erfurt. „Es ist schon ein großes Ereignis, dass ein Papst einen Ort besucht, wo vor über 500 Jahren Martin Luther lebte.“

Zuletzt geändert am 24­.09.2011