27.2.2012 - Die Welt

Rebellen im Priesterrock

Österreichische Geistliche protestieren gegen den Reformstau in der Kirche. Der Funke ist auf Deutschland übergesprungen. Auf die Deutsche Bischofskonferenz kommen brisante Themen zu

Helmut Schüller (59) war schon vieles in seinem Priesterleben: Religionslehrer, Caritas-Chef und Generalvikar, also "rechte Hand" des Wiener Erzbischofs Kardinal Christoph Schönborn. Nun ist der streitbare Monsignore als Spiritus Rector einer "Pfarrerinitiative" der Anführer von rund 400 österreichischen Geistlichen, die der kirchlichen Hierarchie den "offenen Ungehorsam" erklärt haben. Wenn an diesem Montag 68 Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz in Regensburg zu ihrer Frühjahrsvollversammlung zusammenkommen, werden die Rebellen im Priesterrock - zumindest informell - ein Thema sein: Der Funke ihres Protests gegen den "Reformstau" ist längst auf Deutschland übergesprungen.

In mehreren Diözesen, vornehmlich im Süden, solidarisieren sich Pfarrer mit den aufmüpfigen Amtsbrüdern im Nachbarland, die Revolutionäres fordern: Laien sollen predigen und Gottesdienste leiten, wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen, Priester, die gegen das Zölibatsgesetz verstoßen haben und heute mit Frau und Kindern leben, in die Seelsorge zurückkehren, Frauen soll der Zugang zum Amt ermöglicht werden.

"Die römische Verweigerung einer längst notwendigen Kirchenreform und die Untätigkeit der Bischöfe erlauben uns nicht nur, sondern sie zwingen uns, dem Gewissen zu folgen und selbstständig zu werden", begründen die Reformbefürworter ihr spektakuläres Vorgehen. In Würzburg und Passau haben Vertreter der Reformpriester schon mit ihren Bischöfen gesprochen. Sanktionen blieben bislang aus. Die deutschen Geistlichen haben ihre Forderungen weicher formuliert als die österreichischen Kollegen. Man wünsche sich eine "ergebnisoffene Diskussion" mit ihren Oberhirten, erklärte zum Beispiel die Gruppe Passauer Priester im Dialog. Allerdings ließ Andreas Artinger (52), einer ihrer Sprecher, erkennen, dass er zuerst dem Gehorsam Gott gegenüber verpflichtet sei, als Nächstes seinem Gewissen und dann erst der Hierarchie.

Auf die Bischöfe wirken solche Sätze wie eine offene Provokation. Sie haben sich noch nicht damit abgefunden, das vor genau einem Jahr angesehene Theologieprofessoren in einem Memorandum für einen "notwendigen Aufbruch" hin zu tief greifenden Reformen plädierten, da folgt schon die nächste Irritation. Die Bischöfe widersetzen sich vor allem der Vorstellung von priesterlosen Eucharistiefeiern ("Besser ein selbst gestalteter Wortgottesdienst als liturgische Gastspielreisen"), wie sie von den Pfarrerinitiativen unter Hinweis auf den Priestermangel empfohlen werden. Der Passauer Bischof Wilhelm Schraml (76) erkennt darin einen "Abfall vom Glauben". Das konservativ orientierte Netzwerk Katholischer Priester verlangt ein Einschreiten der Oberhirten.

Doch in den Gemeinden, so sagt der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner (73), bestehe eine große Offenheit gegenüber zeitgemäßen Formen der Seelsorge. Das ist auch die Meinung der Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche. Die Leitung und die Feier der Eucharistie weiter von der verfügbaren Zahl der zölibatären Priester abhängig zu machen ist für sie theologisch und pastoral der "falsche Ansatz". Ihr Argument: "Jesus wollte keine Priester mit magischen Vollmachten." Ganz im Sinne der Initiative von Schüller ruft Wir sind Kirche nach Gemeindeleitern und -leiterinnen, zu deren Aufgaben der Vorsitz in der Eucharistie wie selbstverständlich gehöre. Und weiter: Zusammenlegungen und Auflösungen von Pfarreien über die Köpfe der Menschen hinweg sei ein "Skandal".

Die kurz vor dem Regensburger Bischofstreffen bekannt gewordenen Absichten der Augsburger Bistumsleitung, die mehr als 1000 Pfarreien bis zum Jahr 2025 auf 200 zu verringern, hat zu neuer Unruhe geführt. Augsburg ist überall. In fast allen 27 Diözesen regt sich Widerstand gegen vergleichbare Planungen. Die Gefahr sei real, dass die Kirche sich in pastoralen Megaräumen immer mehr von den Menschen entfremde - ein Thema für den im Juli 2011 eingeleiteten "Dialogprozess", über den jetzt im Regensburger Priesterseminar, unter dem Porträt von Papst Benedikt XVI., wieder geredet werden soll.

Einen ganzen Studientag hat die Konferenz einem anderen komplexen Thema vorgesehen, das mit dem fehlenden Priesternachwuchs in Zusammenhang steht: Der Kirche gehen, salopp gesagt, die Theologen aus. Immer weniger junge Leute absolvieren ein theologisches Vollstudium in Theologie. Das Gros der Studenten besteht inzwischen aus Interessenten für Lehrerberufe. Die aktuelle Entwicklung bedroht die Existenz von Fakultäten - in Bamberg und Passau ist die katholische Theologie auf den Status eines Instituts zurückgestuft worden, Stellen wurden abgebaut. Es wird befürchtet, dass in den nächsten Jahren weitere Fakultäten zur Disposition gestellt werden. Wie sinnvoll, heißt es in Kirchenkreisen, sei da der Wunsch des Neukardinals Rainer Maria Woelki (55) nach einer Theologischen Fakultät in Berlin? Für manche Verfahren zur Besetzung von Lehrstühlen sei es kaum noch möglich, den geforderten Dreiervorschlag mit geeigneten Bewerbern zusammenzustellen. Die Gründe liegen auf der Hand: zu wenig Habilitationen, zu wenig Priester, die von ihren Bischöfen für eine akademische Karriere freigestellt werden. Es sind brisante Themen, die auf die Bischöfe warten. Dazu gehört auch die Frage, ob der wegen seiner Erotik- und Esoterik-Angebote ins Gerede gekommene kircheneigene Weltbild-Konzern (6500 Mitarbeiter), wie im Herbst 2011 beschlossen, verkauft werden soll. Bislang hat sich kein Interessent gefunden. Inzwischen gibt es Überlegungen, das Unternehmen von anstößigen Angeboten zu reinigen und dessen publizistische Möglichkeiten verstärkt für die Kirche zu nutzen.

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13890054/Rebellen-im-Priesterrock.html

Zuletzt geändert am 28­.02.2012