18.3.2012 - mittelhessen.de

Limburg. Pater Hengsbach redet Tacheles

"Warum auf Bischof und Papst warten, um das Brot zu brechen?"

Limburg. "Das Kirchenvolk muss nicht unterwürfig darauf warten, bis Papst und Bischöfe ihnen das gnädig gewähren, was sie gemäß ihrem Gewissens-Urteil für richtig halten." Diese Auffassung vertritt der Jesuitenpater und emeritierte Professor Friedhelm Hengsbach.

Vor mehr als 100 Zuhörern rief der Sozialethiker zur Zivilcourage und zum religiös-zivilem Ungehorsam gegen jene kirchlichen Regeln auf, die Menschenrechte verletzen. Er befürwortete die Selbstorganisation der Reformwilligen.

Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" im Bistum Limburg hatte Hengsbach in Kooperation mit der Leserinitiative "Publik" zu Beginn ihrer Frühjahrstagung in das Bürgerhaus Eschhofen eingeladen.

In dem Limburger Stadtteil bleibt für die Bewegung nach dem Pfarrerwechsel von Hubertus Janssen auf Friedhelm Meudt das Pfarrzentrum verschlossen. Hengsbach stellte sich am Samstag mit seinen Thesen zu "Aufatmen, Auferstehen, Verändern" auf die Seite der Reformer und nahm kein Blatt vor den Mund, als er feststellte: "Es läuft einiges schief in der katholischen Kirche."

"Das Zentralkomitee und die Bischöfe plakatieren ,Einen neuen Aufbruch wagen. Das kann man nicht, wenn man nicht weiß, wohin", beklagte der 74-Jährige. Über 180 000 Katholiken seien 2010, dem schattigen Jahr sexueller Missbrauchsfälle, ausgetreten. Die Bedingungen, die sexuelle und gewalttätige Übergriffe möglich machten, lägen in der Männermacht eines hierarchisch aufgebauten Systems und den verkrusteten sexuellen Ansichten begründet.

Als "enttäuschend und kabarettreif" bezeichnete Hengsbach den Gesprächsprozess in Mannheim und sagte: "Mit dem Onlineportal von hunderten kaum lesbarer Pinnwänden werden die Erwartungen ernsthafter Konsequenzen zugemüllt. Es werden Antworten auf Fragen gegeben, die nicht gestellt worden sind."

"Jesus hat nicht von der Kirche, sondern vom Reich Gottes geredet"

Hengsbach stellt ein Unbehagen im Gottesvolk fest, das sich in der eigenen Kirche fremd fühlt. Er vergleicht ihre Situation mit dem Exil. Das liege auch daran, dass die Solidarität der Bischöfe untereinander größer sei, als des einzelnen Bischofs zu den Menschen.

"Das Exil ist keine gottferne Zeit. Jesus hat nicht von der Kirche geredet, sondern vom Reich Gottes, und das sind alle Menschen guten Willens", machte der Geistliche Mut. Glaube drücke sich im Handeln im lebensweltlichen Alltag und in Liebensgeschichten aus. Hengsbach ist überzeugt: "Der Bezugspunkt des Glaubens ist viel weiter als uns an Strukturen vorgesetzt wird." Hart ins Gericht ging der Referent mit den Strukturreformern, sprach von einem Konzentrationswahn, der mit äußeren Zwängen wie sinkenden Steuereinnahmen und Personalmangel begründet werde.Es würden nach Vorschlägen der Unternehmensberater die Konzentration auf das Kerngeschäft, Synergien durch Fusionen, Personaleinsparung und Arbeitsverdichtung wie die Auslagerung von Diensten verfolgt. Erst Spar- und Strukturpläne anzuordnen und danach Pastoralpläne zu entwerfen sei widersinnig. "Die Ordnung der Personen hat Vorrang vor der Ordnung der Dinge", sagte der Sozialethiker und fügte hinzu: "Die Kirche als Arbeitgeberin ist das schlechteste Beispiel dafür, was mit Gerechtigkeit zu tun hat."

Priester würden zu "geistlichen" Managern, "fliegen ein als Sakramentations-Mechanisten". Junge Priester würden überfordert und könnten daran zerbrechen. Gewachsene Strukturen von Familien und Älteren würden verletzt. "Das erste Subjekt der Kirche ist die Gemeinde vor Ort, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind. Es sind nicht die Massenevents, bei denen Bischöfe und Papst sich selbst zelebrieren", mahnte der Jesuitenpater.

Er sieht in der Männerkirche die Diskriminierung von Frauen, die aus entscheidungsrelevanten Positionen mit fadenscheinig wirkenden Begründungen ferngehalten würden. Die zölibatäre Lebensform von Amtsträgern sei nicht zum Nulltarif zu haben, führe zu einer Negativauswahl der Kandidaten, Überforderung und zu einer Abwertung geistlicher Berufe, die mit einer Partnerschaft vereinbar seien.

Auch die hierarchische Kirchenverfassung sei nicht mehr zeitgemäß. "Ein einziger Bischof kann nicht den Anspruch der allein entscheidenden Meinung haben. Es war nicht immer so, dass Amtsträger bestimmen, was Kirche ist", erläuterte der Referent. Bischöfe riefen zur Bewegung auf, bewegten sich selbst aber nicht.

Friedhelm Hengsbach propagiert die Autonomie des Gottesvolkes und ermunterte seine Zuhörer zum Handeln. Er empfiehlt die Selbstorganisation der Christen und spricht "Wir sind Kirche" aus der Seele: "Wenn es von oben nicht mitgemacht wird, muss es vom Kirchenvolk, sprich: von unten, kommen" und fragt: "Warum auf Bischof und Papst warten, um das Brot zu brechen?"

Es gelte, öffentlich Stellung zu nehmen zu dem, was von der Bistumsleitung komme und verweist auf Bischof Mixa in Augsburg: "Sobald es öffentlich war, ist etwas geschehen." Denn Rom wolle nicht, dass so etwas öffentlich werde. Es gelte, Widerstandsnester zu schaffen. "Im Stillen und Verborgenen kann man nichts bewegen." Es gebe aber auch ganz kooperative Bischöfe.

Vier Forderungen des Kirchenvolkes seien berechtigt: das Recht der Amtsträger, einen eigenen Lebensentwurf und eine eigene Lebensform gemäß ihren Interessen zu wählen; das Recht katholischer Frauen zu allen entscheidungsrelevanten kirchlichen Ämtern; das Recht auf Beteiligung des Kirchenvolkes an allen Strukturentscheidungen kirchlicher Amtsträger sowie auf Kontrolle der kirchlichen Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit."

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Zuletzt geändert am 19­.03.2012