19.5.2012 - Rheinische Post

Katholiken feiern die Kanzlerin

VON LOTHAR SCHRÖDER

Angela Merkel ist gestern auf dem Katholikentag in Mannheim mit viel Beifall empfangen worden. Daran änderte sich nichts, als sie die Rente mit 67 vehement verteidigte. Kaum noch Interesse aber zeigten die vielen tausend Gläubigen am Thema sexueller Missbrauch durch Priester.

Auf der Kirchenmeile in Mannheims quadratisch-praktischer Innenstadt kann man ein Aufbruchsmosaik legen mit Steinen, die "vom Herzen fallen". Nebenan stellen die Schwestern vom Göttlichen Erlöser ihre Arbeit vor wie auch die Initiativgruppe vom Zölibat betroffener Frauen; und im Hintergrund schmettert von der "Bühne mittendrin" ein Chor aus Esringen ergriffen "Oh happy day". Das Kreativseminar "Nistkästen für Visionen" jedoch werden wir schwänzen und die "Werkstatt Tuberkulose" vorsichtshalber meiden. Alle zwei Jahre versammelt sich hierzulande die katholische Welt und staunt dann stets aufs Neue, wie bunt sie ist.

Katholikentag in Mannheim, das sind 1200 Veranstaltungen, 60 000 Besucher – von denen jeder fünfte noch keine 18 ist – sowie 40 Bischöfe aus vielen Ländern; darunter der jüngste Kardinal der Weltkirche, der 55-jährige Berliner Erzbischof Rainer Woelki. Dunkler Anzug, den blassroten Kirchentagsschal umgelegt – Woelki steht nicht als unnahbare Eminenz auf der Bühne zum Thema "Auftreten statt Austreten". Der Saal ist schnell überfüllt, macht nichts: Fast 300 Besucher lagern im Foyer und verfolgen bis zum Schluss die Debatte nur über Lautsprecher. Für seinen Dialog mit Berliner Schwulen und Lesben erntet Woelki viel Beifall (von Podium und Saal). Er mahnt dazu, Menschen anders zu beurteilen, die in Beziehungen "Verantwortung füreinander übernehmen". Könnte also die Kirchenlehre vom "sündigen" Vollzug gleichgeschlechtlicher Beziehungen korrigiert werden? Da atmet Woelki dann doch sehr tief durch.

Später wird er noch einiges einstecken müssen, harsche Anwürfe wie die von Daniel Dickopf von der A-cappella-Gruppe Wise Guys: Er findet Woelkis Haltung "arrogant" und betont, "nicht wegen, sondern trotz Bischöfen und Papst in der Kirche zu sein". Da klingt der Beitrag von Eva-Maria Kiklas von "Wir sind Kirche" fast versöhnlich: "Die Kirche ist wie meine Familie; die kann ich unmöglich finden, aber ich gehöre einfach dazu."

Die Kirchenvolksbewegung selbst zählt aber nicht zum offiziellen Katholikentag. Ihr Zentrum liegt jenseits der Bahnlinie, und das ist in Mannheim gefühlt wie auf einem anderen Kontinent. Dennoch strömen die Menschen auch zur evangelischen Johannis-Kirche, die den "Rebellen" Unterschlupf gewährt: Eugen Drewermann ist hier zu erleben, auch Helmut Schüller von der österreichischen Pfarrerinitiative mit ihrem "Aufruf zum Ungehorsam".

... Quelle: RP

http://nachrichten.rp-online.de/kultur/katholiken-feiern-die-kanzlerin-1.2837838

Zuletzt geändert am 19­.05.2012