18.5.2012 - Süddeutsche Zeitung

Verenas bedrohte Welt

Die Krise der Kirche beherrscht den 98. Katholikentag in Mannheim – von Aufbruchstimmung ist wenig zu spüren

Von Matthias Drobinski

Mannheim – So sieht der Aufbruch der Katholiken in Mannheim aus: Vor dem Rathaus stehen 15 000 Menschen, wenn man die türkischen Fußballfans hinten mitzählt, die sich über den Sieg ihres Vereins Fenerbahce freuen. Der Regen hat aufgehört, und gegen die Kälte wirft der liebe Gott eine Handvoll Maisonne über die Versammlung. Junge Leute tragen Tücher auf die Bühne und wieder herunter, Tänzer des Mannheimer Nationaltheaters performen zu indischer Musik.

Nuntius Claude Perisset, der Botschafter des Papstes in Deutschland, liest den Gruß des Papstes vom Blatt, die Lautsprecheranlage zerhackt seine Worte in ein blechernes Stakkato, sodass keiner so richtig versteht, dass Benedikt XVI. zur Treue zum Glauben aufruft. „Wir sehnen uns nach einem Aufbruch zu einer menschlicheren, gerechteren und friedlicheren Welt“, ruft der Freiburger Erzbischof und Bischofskonferenzvorsitzende Robert Zollitsch den Gläubigen zu (da funktioniert die Anlage wieder); die sehen das auch so und spenden Applaus. Man singt: „Wenn Menschen sich vergessen, die Wege verlassen, und neu beginnen, ganz neu.“ Das hatte sich auch Christian Wulff gewünscht, zum traurigen Abschied vom Bundespräsidentenamt.

Mehr als 160 Jahre alt ist das Treffen des deutschen Laienkatholizismus. Es war 1848 eine Demonstration des Bürgermuts, später Waffe gegen Bismarcks Kulturkampf, verboten bei den Nazis, in den friedensbewegten 80er Jahren ein Massenereignis. Jetzt kommen 33 000 Dauerteilnehmer, das sind so viele wie beim Katholikentag 2008 in Osnabrück, bevor der Missbrauchsskandal die Kirche in die Krise stürzte. Ein Erfolg. Andererseits: Die meisten der 25 Millionen Katholiken könnten in weniger als drei Stunden nach Mannheim fahren – so gesehen sind die Zahlen nicht so toll. Evangelische Kirchentage strahlen mit ihren mehr als 100 000 Dauerteilnehmern übers protestantische Milieu hinaus. Katholikentage sprechen die Engagierten an, die Pfarrgemeinderäte, Ministranten, kirchlichen Mitarbeiter; den Kern des liberalen Katholizismus, eingeklemmt zwischen Säkularisierung und zunehmend konservativen Pfarrern und Bischöfen.

Den Aufbruch sollen sie also wagen, die da nun zum Abend der Begegnung strömen, wo es Essen und Musik aus dem Erzbistum gibt. Vor einem Jahr haben die Bischöfe hier in Mannheim einen Dialogprozess gestartet, mit dem die Kirche verloren gegangenes Vertrauen wiedergewinnen will. Der Katholikentag soll Teil dieses Prozesses sein.

Nun werden Gemeinden von Pfarrern geleitet, die dem Kirchenvolk fremd sind.

Für Verena und ihre Freundinnen von der Landjugendbewegung aus St. Märgen im Hochschwarzwald fällt der Aufbruch aber vorerst aus. Es gibt keinen Strom am Stand, die Striebele, ein regionales Fettgebäck, bleiben ungebacken, Zeit zu erzählen. Kirchenkrise? „Bei uns ist die Welt noch heil“, sagt sie. Die Kirche voll, die Freundinnen der Wirtschaftsgymnasiastin auch bei der Landjugend. Gemeinsam sind sie hier und freuen sich, dass es so bunt ist, es so viele Podien gibt, denn ja, die Kirche muss sich öffnen, das findet auch sie.

Verenas Welt ist bedroht, vielleicht ist das noch stärker der Grund der Kirchenkrise als all die Debatten um Zölibat und Frauenpriestertum und Sexualmoral. Bislang konnten die Katholiken mit der Lehre hadern und auf den Papst schimpfen – ihre Gemeinden waren Räume der guten Erfahrung, der Freiheit. Nun werden sie zu Großeinheiten zusammengelegt, von Pfarrern geleitet, die dem Kirchenvolk fremd sind. Und den Gläubigen bleibt die Abbrucherfahrung.

Viel Optimismus hört man nicht an diesem Abend bei Wein und liebevoll Hausgemachtem. Da sind die drei Ordensschwestern aus Mannheim, mit 70 ist sie die jüngste, sagt Schwester Walburgis. 50 Jahre haben sie hier in Mannheim die Kranken gepflegt, Krankenschwestern und Pfleger ausgebildet, jetzt kommen kaum noch Christen. „Das ist der Wandel der Zeit“, sagt Schwester Walburgis. Und dass sie traurig sei, dass ihre Kirche die Menschen nicht mehr anspreche. An der Ecke spielen die „Maulflaschen“ Kirchenkabarett: „Dialog ist, wenn der Pfarrer zu Beginn des Gottesdienstes sagt: Der Herr sei mit Euch – und die Gemeinde antwortet: Und mit Deinem Geiste!“ Die Katholiken in Mannheim wollen auftanken, weniger aufbrechen. Sie brauchen einen Ort, an dem man über solche Witze lachen kann.

Alois Glück mahnt, dass nur wenig Zeit bleibt für die Wende – ob in der Kirche oder beim Klima.

Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), hat gesagt: Es sind entscheidende Jahre jetzt. Es bleibt nur wenig Zeit, um die Wende zu schaffen – in der Kirche genauso wie bei den politischen Themen. Es hat ihm niemand widersprochen im ZdK, das das Katholikentreffen trägt; von Aufbruchstimmung ist aber wenig zu spüren gewesen, als sich vor dem Katholikentag die ZdK-Delegierten trafen. Sie verabschiedeten einen Aufruf, in dem vor allem steht, dass sie jetzt aufbrechen wollten hin zu einer „dienenden Kirche“ – mancher Delegierte hätte das gerne konkreter gehabt, doch weil es keinen Streit mit den Bischöfen geben soll, unterblieb das. Als im vorigen Jahr das ZdK forderte, Frauen zu Diakoninnen zu weihen, reagierte Zollitsch verärgert.

Die Konflikte sind heftiger geworden. Vor vier Jahren in Osnabrück mussten sich die Hierarchie-Kritiker von der Kirchenvolksbewegung „ Wir sind Kirche “ fragen lassen, warum sie überhaupt noch ein eigenes Programm auf die Beine stellten, wenn nun schon Schwule auf dem Katholikentag vertreten seien. Diesmal kommt Helmut Schüller, der Sprecher der Österreichischen Ungehorsamsinitiative, am Samstag zu „ Wir sind Kirche “.

Am Donnerstagmittag blinzelt Glücks Vorvorgänger Hans Maier in Mannheim in die Sonne, der einstige bayerische CSU-Kultusminister ist zu Gast beim Stand von Donum Vitae, jenem Verein, der die Schwangeren-Beratung fortsetzt, die einst Papst Johannes Paul II. der offiziellen katholischen Kirche verboten hat. Maier hat, weil er für Donum Vitae eintritt, inzwischen Auftrittsverbot in den Diözesen Regensburg und Augsburg, „ich musste 80 Jahre alt werden, bis mir sowas passiert“, sagt er. Und dann, dass er den Katholiken, die Bischöfe eingeschlossen, Mut wünsche, „denn zu jedem Aufbruch braucht man Mut“. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) geht bei dem Thema sogar direkt die Bischöfe an. Es gebe etliche Streitfragen, „in denen die Bischöfe regelmäßig ihre eigenen Einsichten an der Klosterpforte des Vatikans abgegeben haben. Ich vermisse bei ihnen den Mut, den sie von Laien in ähnlichen Fällen wöchentlich einfordern“, sagt Lammert unter großem Applaus.

Es gibt ihn auch, den Mut, den Dialog. Am Donnerstagnachmittag reden Klaus Mertes und Kardinal Rainer Maria Woelki miteinander, der Schulleiter, der den Skandal um den sexuellen Missbrauch öffentlich machte, und der Berliner Erzbischof. Mertes kritisiert das Misstrauen, dass in der Kirche wachse, die Denunziation, die Aggressivität, die Tendenz, die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Kirche wegzujammern, zu leugnen, als Teil der Identität misszuverstehen. Und Woelki sagt, dass die Kirche lernen müsse, den Menschen zuzuhören, und auch über Lehrsätze neu nachzudenken, zum Beispiel „dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, wo sie in einer dauerhaften homosexuellen Beziehung leben, dass das in ähnlicher Weise zu einer heterosexuellen Beziehung anzusehen ist“.

Wo das seine Grenze hat hat am Abend zuvor Claude Perisset klargestellt, der Nuntius. Dialog, sagte er, führe zum Streit, der aber mache „alles kaputt“ und sei „der Beginn einer Revolution“.

Bildunterschrift

Gläubige feiern am Donnerstag den Eröffnungsgottesdienst des 98. Katholikentags im Ehrenhof des Schlosses in Mannheim. Es geht um die Zukunft der katholischen Kirche, befindet sie sich doch seit dem Missbrauchsskandal in einer Krise. „Einen neuen Aufbruch wagen“ lautet das Motto des Treffens, das bis zum Sonntag dauert und zu dem etwa 60 000 Gläubige erwartet werden. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, sagte: „Wir sehnen uns nach einer menschlicheren, gerechteren und friedlicheren Welt.“ Etwa 1200 Veranstaltungen sind geplant, es geht unter anderem um die Wahrung der Menschenwürde, die solidarische Gestaltung einer alternden Gesellschaft oder ökologische Fragen. Kritische Gruppierungen bieten ein alternatives Programm.

Zuletzt geändert am 20­.05.2012