12. September 2006 - Heidenheimer Neue Presse

Ein Bischof dreht das Rad zurück

Die Kirche ist keine Demokratie, sagt Gerhard Ludwig Müller und bestimmt selbst, wo es lang geht

Engagierte Katholiken sind das Rückgrat vieler Kirchengemeinden. Doch gerade in Regensburg, das Papst Benedikt XVI. heute besuchen wird, macht Bischof Müller selbstbewussten Laien das Leben schwer. Er hat Gremien abgeschafft und behält Geld fürs Zentralkomitee ein.

Diese Vorhersage fällt nicht schwer: Auch in der Diözese Regensburg wird der Besuch des Papstes heute "das" Ereignis sein: Glocken werden läuten, Kinder singen, Verwandte, Honoratioren und Studienfreunde dem Oberhaupt der Katholiken die Aufwartung machen. Kritische Christen von "Wir sind Kirche" oder der "Laienverantwortung Regensburg e.V." werden nicht unter den ausgewählten Gesprächspartnern sein. Dabei hätten sie Benedikt XVI. viel zu sagen. In der Diözese Regensburg hängt der Haussegen schief. Seit Jahren gibt es einen Streit, der weit über persönliche Querelen hinausreicht. Im Zentrum des Konflikts steht die Position von Laien in der katholischen Kirche und damit das Verständnis von Kirche überhaupt. Bischof Gerhard Ludwig Müller hat nach seiner Amtseinführung im November 2002 den Stein ins Rollen gebracht. Seither drehen sich die kirchlichen Räder im Bistum zurück. Konservative sehen darin Hoffnung - über Regensburg hinaus. Alle Missverständnisse, Unterstellungen und persönliche Verleumdungen aufzuzählen, die seit der Amtszeit Müllers in Regensburg öffentlich geworden sind, sprengte diesen Platz. Der durchaus auch als umgänglich beschriebene Theologe ist mit Amtsbrüdern und Laien in den vergangenen Jahren nicht zimperlich umgegangen. Als "Wolf im Schafspelz", "Gschaftlhuber" und "Besserwisser" titulierte er manch verdienten geistlichen Herrn. Den in kirchlichen Gremien engagierten Laien ging es nicht besser. Mit seinem Hinweis "die Kirche ist keine Demokratie" stellte Müller schnell klar, was er von Mitsprache hält. Johannes Grabmeier, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Deggendorf, langjähriger Dekanatsratsvorsitzender und Mitglied bei der "Laienverantwortung Regensburg", erinnert sich an Aufsätze Müllers, in denen er in "militaristischem Ton" über jene hergezogen sei, die sich in der Kirche für Reformen wie die Priesterweihe von Frauen eingesetzt haben. "Schon damals kam aus Kirchenkreisen der Kommentar: Spricht hier ein Hirte oder kommandiert ein General?", sagt Grabmeier. Diözesanrat aufgelöst Müllers Amtsverständnis ist seither noch klarer geworden. Als einziger Bischof in Deutschland löste er Ende 2005 den Diözesanrat auf, das höchste Laienorgan des Bistums. Er setzte die 33 Dekanatsräte ab, formierte einen so genannten Diözesanpastoralrat und ein Diözesankomitee nach seinem Gusto neu und schrieb die Satzung für Pfarrgemeinderäte um. Seither gehen in der Diözese Regensburg die Uhren anders - auf allen kirchlichen Ebenen. Selbst das Mitwirkungsrecht von Pfarrgemeinderäten wurde abgeschwächt. Sie hängen nun "am Gängelband des Pfarrers", sagt Grabmeier. Auch in die übergeordneten Gremien werden Laien seither nach Gutdünken der Geistlichkeit berufen. Grabmeier: "Das ist eine Spaltung von oben." Unter den hauptamtlich Beschäftigten herrsche mittlerweile ein "Klima der Angst". Engagierte aus der "Laienverantwortung Regensburg" werden vom Bischof mittlerweile in die Ecke von "Feinden" gedrängt, Kirchenkritiker in einem Atemzug mit Vertretern der NPD genannt. Versuche des Münchner Kardinals Friedrich Wetter und des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, mäßigend auf den Amtsbruder in Regensburg einzuwirken, wurden brüsk als Einmischung in innere Belange der Diözese zurückgewiesen. Es scheint als habe der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) und der Würzburger Synode (1971-1975) den 1948 geborenen Gerhard Ludwig Müller nie gestreift. Die höchsten katholischen Würdenträger haben damals auf internationaler und nationaler Ebene den Grundstein für ein neues, zeitgemäßes Kirchenverständnis gelegt und die Rolle der Laien gestärkt. Sie gelten seither nicht mehr als "verlängerter Arm des Bischofs", sondern wurden als eigenständiger Teil der Kirche hervorgehoben. Die Kirche wurde danach weniger als "unerschütterlicher Fels im Wandel der Zeit verstanden, vielmehr als Volk Gottes, das gemeinsam und zuversichtlich durch die Geschichte pilgert", wie Kirchenwissenschaftler in einem Memorandum zu den Laienräten in den Diözesen betonen. Dieses Verständnis soll nun untergraben werden. In Zeiten raschen Wandels streben konservative Kirchenkreise wieder mehr nach Hierarchie. Nicht nur in Regensburg. Auch Druck aus Rom Die Rolle selbstbewusster katholischer Laien, die - wie im Zweiten Vatikanischen Konzil vorgesehen - zu gesellschaftlichen Fragen von Leben und Tod Stellung beziehen, scheint auch in Rom nicht mehr gewünscht zu sein. Der neue Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal William Joseph Levada, forderte kürzlich den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, auf, zum Beschluss des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) Stellung zu beziehen, das mehr Mitbestimmungsrechte für Laien verlangt. Lehmann soll sich gegenüber Rom nicht nur erklären, sondern auch über "geplante und getroffene Maßnahmen" in Bezug auf das ZdK berichten. Auch der Druck aus Rom auf die in der Schwangerenkonflikt-Beratung Donum Vitae engagierten Christen steigt. In Regensburg hat Bischof Müller einen ganz eigenen Weg gefunden, das ZdK zu schwächen. Müller behält die anteilig aus der Diözese Regensburg für das ZdK vorgesehenen Kirchensteuergelder ein. Dem ZdK fehlt dadurch eine Summe in fünfstelliger Höhe. Die Abgabe der Kirchensteuer zahlenden Christen für die Laien-Christen hält der Bischof zurück, um die eigene Position zu stärken. Daran hindern könnte ihn in der Kirchenhierachie nur der Papst. Doch der Bischof von Rom weilt zurzeit auf Deutschlandreise. Und selbst in Regensburg, wo die Probleme direkt vor der Domtüre liegen, wird das Kirchenoberhaupt wohl keine vermittelnden Worte zwischen dem Ortsbischof und den engagierten Laien finden.
ELISABETH ZOLL

Zuletzt geändert am 12­.09.2006