7. September 2006 - Zürcher Tages-Anzeiger

Benedikt sieht nur die barocke Fassade

Bayern wird seinen Sohn, Papst Benedikt, triumphal empfangen. Und ihn weder mit der Krise der Kirche noch mit dem Konflikt um die Laien im Bistum Regensburg konfrontieren.

Von Michael Meier

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller jubelt den Papstbesuch vom 9. Bis 14. September in Bayern als <Jahrtausendereignis> hoch. Demgegenüber spricht Nikolaus Schneider, Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, von einem <päpstlichen Heimaturlaub und bayerischer Folkore>. In der Tat: Auch wenn die Visite den Staat 50 Millionen Euro kostet, ist sie in erster Linie ein Heimatbesuch. Joseph Ratzinger ist seiner bayerischen Heimat eng verbunden. Als Präfekt der Glaubenskongregation pflegte er viermal jährlich nach Regensburg zu fahren. Dass er das als Papst nicht länger kann, schmerzt ihn. Verständlich darum, dass er auch einen privaten Tag mit Bruder Georg einlegen wird.

Wenn Benedikt XVI. in den kommenden Tagen an wichtigen Stätten seiner ersten Lebenshälfte Halt macht - in München, Altötting, Regensburg, Marktl, Pentling oder Freising - wird er dies überall vor einer opulent-barocken Kulisse tun, die das Bild einer intakten, saturierten Kirche vermittelt.

20000 Stellen wegrationalisieren

Wie sehr die deutsche Kirche tatsächlich aber im Umbruch ist, wird dieser Papstbesuch nicht zeigen. Eine von der Deutschen Bischofskonferenz veranlasste Studie besagt, dass die katholische Kirche mit ihrer religiösen Botschaft nur noch eine Minderheit der deutschen Bevölkerung erreicht. Die Zahl der Priester geht dramatisch zurück, zwischen 1992 und 2004 um ganze 29 Prozent, von 19300 auf 13700. Neben dem personellen ist ein finanzieller Aderlass zu beklagen. Zwar ist die katholische Kirche in Deutschland noch immer eine der reichsten Kirchen der Welt. 4,15 Milliarden Euro nahm sie allein 2004 an Kirchensteuern ein. Zusammen mit den USA und Italien steht Deutschland an der Spitze der Geberländer, um den Vatikan zu finanzieren.

Doch Kirchenaustritte, demographische Entwicklung, staatliche Steuerreformen und die hohe Arbeitslosigkeit schmälern die Einnahmen der Kirche dramatisch. Die Kirchenleitung antwortet mit drastischen Sparmassnahmen: Pfarreien werden zusammengelegt, Akademien dichtgemacht, Sozialprojekte sistiert und nach McKinsey-Manier Leute wegrationalisiert. Bis zu 20000 kirchliche Stellen werden in den kommenden Jahren gestrichen.

All diese Krisensymptome würden beim Papstbesuch tot geschwiegen, bedauert Christian Weisner, Sprecher der Kirchenvolksbewegung <Wir sind Kirche>. Eine offizielle Begegnung zwischen Benedikt und allen deutschen Bischöfen finde denn auch nicht statt. Ebenso wenig wird die im Vorfeld des Besuches von Bischof Wolfgang Huber geäusserte Kritik Thema sein. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigt sich enttäuscht, dass es im ersten Amtsjahr von Benedikt keinen Fortschritt in der Ökumene gegeben hat.

Der Papst wird in Bayern auf Schmusekurs machen und mit seinem umgänglichen Stil über Krise und Reformstau hinwegtäuschen. <Das Klima in der Kirche, das Glaubenswächter Ratzinger 23 Jahre gepflegt hat, hält an>, so Weisner. <Es gibt von Benedikt keine Signale Richtung Reformbewegung>. In einem Offenen Brief an Papst Benedikt und die deutschen Bischöfe listet die Kirchenvolksbewegung Reformversäumnisse von der Ökumene bis zur Frauenfrage auf und zeigt sich insbesondere besorgt über den neuen Umgang mit Laien und Laienräten.

Bischof Müller gegen die Laien

Mit seinem Besuch akzentuiert der Papst diesen zur Zeit brisantesten deutschen Kirchenkonflikt rund um die Laien: Nur zwei Bistümer besucht Benedikt: München/Freising und Regensburg. Im geliebten Regensburg, wo Professor Ratzinger während Jahren Dogmatik dozierte, fährt Bischof Gerhard Ludwig Müller einen diskriminierenden Kurs gegen die Laien. Und wertet nun den Besuch des Papstes in Regensburg als Gütesiegel für seine klerikale Politik.

Müller gilt als General auf dem Bischofsstuhl, der keinerlei Kritik an seiner Amtsführung duldet. Gleich mehrere kritische Priester und Laien hat er diszipliniert und suspendiert. Der Streit kulminierte letztes Jahr, als Müller das oberste Laiengremium, den von Laien gewählten Diözesanrat, samt 33 Dekanatsräten kuzerhand abschaffte, weil sie sich etwa in Fragen des Frauenpriestertum oder der Abtreibung liberal geäussert hatten. Stattdessen schuf der Bischof einen von ihm berufenen Diözesanpastoralrat.

Diese Entmachtung der Laien hat bundesweit harsche Proteste provoziert. Hunderte von Katholiken demonstrierten vor dem Regensburger Dom. Sogar die benachbarten Kardinäle Friedrich Wetter und Karl Lehmann werteten den Alleingang Müllers als Rückschritt. Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ZdK, warf Müller vor, er habe sich in <paternalistischer und autokratischer Weise> über kirchliche Beschlüsse hinweggesetzt. Worauf der Oberhirte beschloss, die Beiträge seines Bistums an das ZdK zu streichen.

Die Reformkatholiken befürchten, dass Benedikt Müllers Kurs deckt. Gegenüber einem Vertreter des Bistums Regensburg äusserte er neulich, er würde sich mehr Bischöfe wie Müller wünschen. Der Papst ist über die Lage im Bistum Regensburg bestens informiert. Nicht zuletzt durch seinen mit Bistum und Bischof verbundenen Bruder Georg Ratzinger. <Die Tragik ist, dass in Regensburg offensichtlich Laien am Werk sind, die nicht aus der Mitte des Glaubens heraus leben>, sagte dieser zu Medienvertretern. <Der bischöfliche Auftrag ist, dies in Ordnung zu bringen>.

Die Mahnwachen vor dem Regensburger Dom, mit denen der neu gegründete Verein <Laienverantwortung Regensburg> beim Papstbesuch gegen Müllers Politik demonstrieren wird, dürften in den jubelnden Massen untergehen.

Zuletzt geändert am 13­.09.2006