September 2012 - Kirche In (Kolumne "Unzensiert")

Geschwisterliche Kirche?

Der Aufbau einer geschwisterlichen Kirche ist die erste der fünf Forderungen des Kirchenvolksbegehrens von 1995. Ziel ist die Gleichwertigkeit aller Gläubigen, Überwindung der Kluft zwischen Klerus und Laien sowie Mitsprache und Mitentscheidung der Ortskirche bei Bischofsernennungen.

Bei den diesjährigen Wir sind Kirche Begegnungs-Tagen auf Burg Rothenfels haben wir uns diesen Begriff unter dem Motto "Ein geschwisterlicher Weg im Evangelium als Weg zum Leben" zum Thema gemacht. - Und es hat uns zunächst einmal erschreckt, was wir alles negatives mit dem Wort „geschwisterlich“ verbinden: Eifersucht, Neid, Konkurrenz, Einschränkung, Verletzung, Abgrenzung … . „Wenn die Bischöfe auch so ein schlechtes Bild von Geschwisterlichkeit haben, dann ist es ja kein Wunder, dass sie Angst haben vor einer geschwisterlichen Kirche“ war ein Gedanke in dieser ersten Findungsphase.

Erst in einem zweiten Schritt konnten die Teilnehmenden aus dieser Erkenntnis über die Erinnerung an kleine, bestärkende und beglückende Erlebnisse heraus positive Werte entdecken: Achtsamkeit, Zärtlichkeit, Anteilnahme, gegenseitige Verantwortung, Verzeihen, … . Es wurde klar, wie eine Teilnehmerin schrieb, „dass Geschwisterlichkeit von einer einzigen Wahrheit lebt: einander Mensch zu sein und zu werden, unter Beibehaltung der je eigenen Art und Farbe.“ Und es wurde auch klar, dass sie anstrengend ist, viel anstrengender als Hierarchie, da sie davon lebt, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse, die unterschiedlichen Wege, Wahrnehmungen, Realisationen gleichberechtigt sind. Geschwisterlichkeit heißt dann: um zusammen leben zu können, müssen wir selbst Abschottung, Bastionen, Besitzstände und Sicherheiten aufgeben um die je Anderen in ihrem Anderssein an uns heran zu lassen, um zu einer tragenden, zu einer getragenen Beziehung zu gelangen.

Die Forderung nach einer geschwisterlichen Kirche ist viel mehr als die Forderung nach demokratischen Strukturen, Geschlechtergerechtigkeit und Mitsprache. Sie ist die Forderung an uns alle, uns als Geschwister vor dem elterlichen Hintergrund Gottes wahrzunehmen und zu verhalten.- Diese Dimension müssen wir, wenn wir uns für eine evangeliumsgemäße Kirche einsetzen wollen, viel tiefer ausloten. Die spirituelle Kraft, die gerade darin steckt, macht uns fähig, Reich Gottes in der Welt zu leben und und Kirche der Frohbotschaft Jesu zu werden.

Sigrid Grabmeier
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

Zuletzt geändert am 26­.09.2012