26.9.2012- Main-Post

Keine Kirche ohne Steuer?

Streit um Austritte Eine Unterscheidung zwischen der Institution Kirche und der Glaubensgemeinschaft Kirche lassen die Katholiken nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht gibt ihnen recht.

Ein Kirchenaustritt ist in Deutschland nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nur ohne Wenn und Aber möglich. Einen Teilaustritt, der nur darauf abzielt, keine Kirchensteuer mehr zu zahlen, aber in der Glaubensgemeinschaft zu bleiben, kann es demnach nicht geben. Wer Mitglied ist, von dem muss der Staat Steuern eintreiben. Karl Hillenbrand, Generalvikar im Bistum Würzburg, begrüßte die Entscheidung. Für Magnus Lux (Schonungen), Mitglied im Bundesteam der Bewegung „Wir sind Kirche“ bleibt das aktuelle Kirchensteuer-System fragwürdig.

Verhandelt wurde in Leipzig der Fall des Freiburger „Kirchensteuer-Rebellen“ Hartmut Zapp. Der emeritierte Kirchenrechtsprofessor hatte 2007 seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ erklärt und keine Steuern mehr gezahlt. Gleichzeitig bestand er darauf, weiter gläubiges und vollwertiges Mitglied der katholischen Kirche zu sein.

Für die katholische Kirche ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Die deutschen Bischöfe hatten dieser Tage – bestätigt vom Vatikan – unmissverständlich klargestellt: Wer austritt, muss die Folgen tragen. Er kann keine Sakramente wie Eucharistie (Kommunion), Beichte, Firmung und Krankensalbung mehr empfangen, wird von kirchlichen Ämtern ausgeschlossen, und auch eine kirchliche Beerdigung kann ihm verwehrt werden.

Das Bundesverwaltungsgericht betonte in seinem Urteil, dass Zapp aus staatskirchenrechtlicher Sicht eindeutig aus der Kirche ausgetreten ist. Wie die Kirche jetzt mit dem Professor umgehe, ob sie ihn vielleicht doch weiter als Mitglied akzeptiere, sei nicht Sache staatlicher Stellen. „Im Grunde bedeutet das Urteil, dass wir den Ball zurückgespielt haben zu einer kirchenrechtlichen Auseinandersetzung“, sagte der Vorsitzende Richter Werner Neumann.

Die Wirklichkeit sieht so aus: Spricht man im Freundes- oder Kollegenkreis über den Umgang mit Glauben und Kirche, hört man die verschiedensten Varianten. Natürlich gibt es die Christen, die regelmäßig in die Kirche gehen und für die das Zahlen der Kirchensteuer keine Frage ist – und genauso die Nichtgläubigen, für die Kirche prinzipiell „Humbug“ ist, die sich gar nicht vorstellen können, dass jemand zwischen der Institution Kirche und der Glaubensgemeinschaft unterscheiden möchte.

Erstaunlich groß aber ist die Zahl derjenigen, die sich ihren persönlichen Kirchen-Kompromiss gezimmert haben. Viele sagen: „Wir sind wegen der Kinder in der Kirche, Taufe, Kommunion, das gehört doch dazu.“ Gleich nach der Erstkommunion der Tochter trete sie aber aus, beteuert eine Kollegin. Einer hat die Kirche verlassen, weil ihm als Wiederverheirateten die Eucharistie verweigert wird, einen anderen haben die Missbrauchsfälle um den Glauben gebracht, der Dritte hat vom Steuerberater den Tipp bekommen, als Alleinstehender mit Steuerklasse I doch mal über den Kirchenaustritt nachzudenken. „Mit meinen Kindern den Gottesdienst besuchen, möchte ich aber weiter. Die Ruhe, die Rituale, das gemeinsame Beten und Singen, das gefällt mir.“

Der eine Freund verteidigt sein Dabeibleiben: „Die Kirchensteuer, das ist meine Sozialleistung für die Gesellschaft.“ Der andere sagt: „Ich spende lieber für die Caritas oder den Kindergarten vor Ort, da muss ich nicht den Prunk der Bischöfe und des Papstes mitfinanzieren.“ Schwierig wird's beim Thema Tod. Die Vorstellung, als „Ausgetretener“ kein kirchliches Begräbnis mehr zu bekommen, stimmt auch die vermeintlich Coolen nachdenklich. „Vielleicht kann ich im Alter ja wieder eintreten.“ „Solche Spielerei geht gar nicht“, schüttelt ein Kirchgänger den Kopf. „Als ich beim Standesamt ausgetreten bin, hatte ich ein mulmiges Gefühl“, berichtet ein Kollege. „Aber meinen Glauben kann mir niemand nehmen“, versucht er Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidung auszuräumen.

Karl Hillenbrand kennt die Überlegungen seines Kirchenvolks. Gleichwohl begrüßt er das Urteil aus Leipzig. „Es gibt keine gesplittete Kirchenmitgliedschaft“, so der Würzburger Generalvikar. Das Kirchensteuer-System sieht er auch theologisch gerechtfertigt. Der Glaube solle die Welt mitgestalten, da bedürfe es neben der ideellen auch einer materiellen Unterstützung der Kirche, so Hillenbrand. Gut sei der Beschluss der Bischofskonferenz, dass künftig alle Katholiken, die austreten, von ihrem Gemeindepfarrer angeschrieben und zum Gespräch eingeladen werden sollen. „Wir praktizieren das in der Diözese schon länger – mit gutem Erfolg.“ Ein Jahr nach dem Austritt schreibt der Generalvikar die verlorenen Schäfchen an und bietet ihnen ein Gespräch an. „Gut zehn Prozent reagieren, mit Einzelnen treffe ich mich.“ Mal seien es lange Entfremdungsprozesse, die zum Austritt führen, mal aber auch nur der kurzfristige Ärger über einen Pfarrer. „Da ist eine Rückkehr möglich.“

Was den Umgang mit Ausgetretenen im Gemeindealltag betrifft, setzt Hillenbrand auf eine „Kultur der Barmherzigkeit“ bei den Pfarrern vor Ort. Wenn etwa junge Leute verunglücken, die aus der Kirche ausgetreten sind, aber die gläubigen Eltern ein kirchliches Begräbnis wünschen, „ist das auch möglich“. Er habe auch schon erlebt, dass der Pfarrer „in Zivil“ an einer nichtkirchlichen Beerdigung teilnimmt und auf Wunsch der Angehörigen ein Gebet spricht. „Es gibt auch eine pastorale Verpflichtung, sich um die Menschen zu kümmern.“

Für Magnus Lux ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts „konsequent“, allerdings findet er die Haltung der Bischöfe „theologisch bedenklich“. Die Mitgliedschaft in der Glaubensgemeinschaft sei nicht durch den Eintrag in ein staatliches Register, sondern durch die Taufe begründet, „also bleibt ein Getaufter dabei, solange er nicht ausdrücklich sagt, er sei vom Glauben abgefallen“. Eine Absage an die Kirche vor einem Standesbeamten dürfe nicht die Basis sein, um jemanden von Eucharistie, Beichte oder der kirchlichen Hochzeit auszuschließen.

Zwar sieht auch „Wir sind Kirche“ ein Recht der Kirche auf finanzielle Zuwendungen ihrer Mitglieder. Ein Zwang zur Kirchensteuer lasse sich daraus aber theologisch nicht ableiten. „Es gibt auch andere Lösungen“, so Lux mit Blick auf andere Länder. Ein erster Reformschritt könne sein, die Verwendung der Einnahmen transparenter als bisher öffentlich zu erläutern, ein zweiter wäre mehr Mitsprache der Basis beim Geldausgeben.


Auch die evangelische Kirche reagiert auf Austritte. Taufpate kann man dann nicht mehr sein. Kirchlich heiraten darf man nur, wenn wenigstens der Partner einer Kirche angehört und das Dekanat zustimmt. „Das kirchliche Begräbnis steht im Ermessen des Pfarrers vor Ort“, sagt Gerhard Neumeister, stellvertretender Dekan in Würzburg. Die kirchlichen Leitlinien schlössen auch die Teilnahme am Abendmahl aus. „Bei uns in der Gemeinde St. Johannis aber ist das anders, da sind alle Getauften willkommen.“

Mit Informationen von dpa

Die deutschen Kirchen in Zahlen

Mitglieder: Die katholische Kirche hat in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 24,6 Millionen Mitglieder. Bei den Protestanten sind es 23,9 Millionen. Zum christlichen Glauben bekennen sich darüber hinaus rund 1,7 Millionen Orthodoxe und etwa 330 000 Mitglieder in Freikirchen.
Austritte: Aus der katholischen Kirche in Deutschland sind 2011 rund 126 500 Menschen ausgetreten. Im Jahr zuvor waren es 181 200 Frauen und Männer. 2010 war das Jahr, in dem viele Missbrauchsfälle in kirchlichen Schulen und Einrichtungen ans Licht kamen. Das Bistum Würzburg meldet für 2011 3900 Austritte gegenüber 6450 im Jahr zuvor. Die evangelische Kirche verlor 2010 bundesweit rund 145 300 Mitglieder. Nach einem Höchststand 2008 (rund 169 000 Austritte) ist diese Zahl wieder rückläufig.
Kirchensteuer: Sie beträgt je nach Bundesland acht bis neun Prozent der Lohn- und Einkommensteuer. In Bayern sind es acht Prozent; dafür kassieren die Kirchengemeinden ein zusätzliches Kirchgeld. 2011 nahmen die beiden großen Kirchen 9,3 Milliarden Euro an Steuern ein. 4,9 Milliarden entfielen auf Katholiken, 4,4 Milliarden auf Protestanten. 1991 betrugen die Kirchensteuer-Einnahmen erst 7,8 Milliarden Euro. Den Höchstwert gab es 2008 mit 9,8 Milliarden. Der Löwenanteil der Gelder wird in beiden Kirchen für den Pfarrdienst und soziale Dienste ausgegeben.

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Zuletzt geändert am 28­.09.2012