19.10.2012 - www.publik-forum.de

Vati-Freaks

Eigentlich wäre es ganz einfach. All diese Menschen in der Frankfurter Paulskirche, die gebannt nach vorne schauen, wo gerade Hans Küng spricht: Sie könnten doch evangelisch werden. Mit einem Schlag wären sie alle ihre Probleme los - meint Anne Lemhöfer

Denn, mal ehrlich: Im Vergleich zu den 95 Thesen Martin Luthers (445 Jahre früher!) war das Zweite Vatikanische Konzil, das den Paulskirchenbesuchern des 18. Oktober 2012 bei ihrer Konziliaren Versammlung ein solches Leuchten in die Augen zaubert, doch eine mehr als halbgare Veranstaltung. Und dann auch noch eine, auf deren Ergebnisse man 50 Jahre später pochen muss, weil sich einige wichtige Leute das mit dem »frischen Wind« gerade mal wieder anders überlegen.

Warum nicht konvertieren? Diese Männer in ihren Gewändern, die bizarre Lehrverbote aussprechen, Satiremagazine verklagen und die Pille ablehnen. Papst Benedikt XVI, der (Überraschung!) immer noch Joseph Ratzinger ist. Die neuen Konservativen, die in Feuilletonessays schwülstig ihre plötzlich entflammte Liebe zur Messe auf Latein ausbreiten. Ein kleiner bürokratischer Akt, und all das wäre nichts weiter als eine Freakshow auf einem fernen Planeten.

Aber diese Menschen mit den ernsten Gesichtern, die jetzt ihre Digitalkameras auf Hans Küng richten, die sich seit Jahrzehnten in Organisationen wie »Wir sind Kirche« oder »Pax Christi« gegen festgefahrene Strukturen und römischen Wahnsinn auflehnen, sie wollen ihrer Kirche treu bleiben.

Als evangelisch getauftes Kind einer evangelischen Pfarrerin und eines katholischen Vaters wundert mich das nicht. »Papa, wenn du den Papst so blöd findest, dann werd‘ halt evangelisch!«: Keine Ahnung, wie oft ich diesen Satz in meiner Kindheit gesagt habe. Und mein Vater? Erklärte, dass er das Katholischsein nicht einfach so abstreifen könne, dass es zu ihm gehöre, später verwendete er das Wort »Identität«. Ein bisschen wie mein Freund, der als Fan von Eintracht Frankfurt so schrecklich oft hadert und natürlich nicht zum Deutschen Meister Borussia Dortmund konvertiert. »Einen Verein sucht man sich nicht aus, der wird einem in die Wiege gelegt«, behauptet er.

Mein Vater ist bei der Konziliaren Versammlung dabei, er ist einer von Hunderten, die nach Frankfurt gekommen sind, um für eine menschlichere Kirche zu streiten. Eine, die sich für Arme und Ausgeschlossene einsetzt. Die Jesus Christus als Vorbild ernst nimmt.

Er trifft alte Weggefährten, viele scheinen sich hier zu kennen, sie trinken noch einen Wein zusammen, nachdem sie der Politologin und prominenten Attac-Frau Susan George so kopfnickend zugehört haben wie Hans Küng, nachdem sie über den humorvollen, 89-jährigen italienischen Bischof Lugi Bettazzi, einen der letzten noch lebenden Konzilsteilnehmer, gerührt geschmunzelt haben. Ist das ein Hauch vom »Geist des Konzils«, der an diesem Abend immer wieder beschworen wird? Ein Jammer, dass es die Kirche diesen Mitgliedern, die es besonders ernst meinen mit einer gerechteren Welt, so schwer macht.

Ach ja, und natürlich sollen sie dort, wo sie sind, weiterkämpfen. Als Katholiken. Ich wünsche ihnen von Herzen alles Gute. Wird Eintracht Frankfurt nochmal Deutscher Meister? Wird sich die Katholische Kirche nochmal verändern? Warum nicht, jeweils einmal hat es ja schon geklappt: 1959, als die Meisterschale an den Main kam. Und drei Jahre später, 1962, als das Konzil Kirchentüren aufstieß, die keineswegs so verrammelt waren wie befürchtet. Man darf also hoffen. Ein bisschen zumindest.

Anne Lemhöfer (34) arbeitet in Frankfurt am Main als Journalistin. Als evangelisch getauftes Kind einer evangelischen Pfarrerin und eines katholischen Vaters fühlt sie sich vor allem ökumenisch und kann theologischen Streitfragen wenig abgewinnen.

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Zuletzt geändert am 20­.10.2012