2.11.2012 - Der Pilger

Vorbild: Pastorales Modell von Poitiers

Weihbischof Otto Georgens zu Gast bei Reformbewegung „Wir sind Kirche“

Parallel zum Mitgliederschwund, geht auch die Zahl der Priester und Priesteramtskandidaten kontinuierlich zurück. Die Folgen sind drastisch und gefährden das Fortbestehen der Kirchen vor Ort. Eine Entwicklung ohne Alternative? Dieser Frage widmete sich die Diözesanbewegung Speyer „Wir sind Kirche“ am 27. Oktober und stellte ihr Herbsttreffen in Neustadt unter das Thema „Gemeinden in priesterarmer Zeit – das Modell von Poitiers“. Ein Konzept, das Weihbischof Otto Georgens – selbst bestens vertraut mit der Materie – erläuterte.

„Es erscheint dringend notwendig, dass sich die Kirche in katholisch-weltlichen Angelegenheiten etwas sagen lässt.“ Mit den Worten von Pater Franz Weber, emeritierter Professor für Pastoraltheologie und Missionswissenschaft in Innsbruck, eröffnete Weihbischof Otto Georgens vor rund 30 Zuhörern seinen Vortrag über das Modell von Poitiers. Als Antwort auf den Priestermangel und drohende Kirchenschließungen hat die Erzdiözese im Südwesten Frankreichs einen reformfreudigen Weg eingeschlagen. Das Neue daran: die Bildung von mittlerweile 310 kleinen Lokalgemeinden, die integriert in einen pastoralen Raum, von jeweils fünf Laien geleitet werden. Zwei von ihnen werden von der Gemeinde gewählt, drei ihren Charismen und Begabungen entsprechend von einem Bischofsgremium berufen. Ihre Amtszeit beträgt drei Jahre und darf nur einmal verlängert werden, damit möglichst viele Interessierte die Chance zur Mitwirkung bekommen. Gemeinsam bilden sie das fünfköpfige Basisteam und sind für die Gestaltung eines lebendigen kirchlichen Lebens vor Ort verantwortlich. Ihre Aufgabe ist nicht nur ein anerkanntes Dienstamt, zu dem der Bischof sie persönlich entsendet, „sie ist auch ein Zeichen des Vertrauens. Und das ist der Schlüssel. Denn es fehlt nicht an Christen, sondern an Vertrauen, das man ihnen entgegenbringt“, konstatierte Weihbischof Georgens und unterstrich die Wichtigkeit einer Kirche, die auf die Nähe zu den Menschen setzt und ihnen zeigt, dass sie gebraucht werden. So wie es in Poitiers seit vielen Jahren praktiziert wird. Gegen mögliche Einwände aus Rom hat sich die dortige Erzdiözese kirchenrechtlich abgesichert. Sie verweist auf den Paragraphen zwei des Kanons 516, der dem Bischof aufgibt, auf andere Weise Vorkehrungen zu treffen, falls „gewisse Gemeinschaften“ nicht als Pfarrei errichtet werden können.

Doch ist das Modell von Poitiers auch auf Deutschland übertragbar? „Sicher nicht im Maßstab 1:1. In Poitiers ist ein Prozess vorangegangen, den man durchleben muss“, antwortete der Geistliche. „Allerdings lehrt uns das Modell, dass auch bei uns nur eine lebendige Entwicklung der Kirche möglich ist, wenn ein Mentalitätswechsel stattfindet.“ Der beinhalte, bei einer Neubildung von Kirchengemeinden nicht allein von Strukturen auszugehen, sondern auch von Personen und Beziehungen. Und Laien mehr als „Mitverantwortliche am Sein und Wirken der Kirche zu sehen“, anstatt sie auf Mitarbeiter des Klerus zu reduzieren.

„Ein Umdenken muss vor allem bei der Geistlichkeit stattfinden“, forderte die Mehrheit der Anwesenden, „gekoppelt an einen Rollenwechsel der Priester von der dirigierenden Position in eine inspirierende.“ Ebenfalls in Anlehnung an das Beispiel von Poitiers, das Priester weniger als Machtinhaber, denn als geistliche Begleiter und Diener der Sakramente und Verkündigung sieht. In der Diskussion, durch die Jutta Achtelstetter vom Sprecherteam führte, wurde deutlich der Ruf nach mehr Mitbestimmung der Basis laut, auch in puncto Gemeindepastoral 2015. „Wo ist das Vertrauen, wenn unsere Bedürfnisse nicht gehört werden?“, fragte ein Tagungsmitglied und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass sich die katholische Kirche nicht länger selbst im Weg steht und sich auf die Menschen zu bewegt. „Denn was nützen große Strukturen, wenn das Innere krankt. Und was bringen Dialoge, wenn keine Taten folgen.“

Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ ist aus dem 1995 in Österreich gestarteten Kirchenvolks-Begehren hervorgegangen und setzt sich ein für eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche auf der Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie der darauf aufbauenden theologischen Forschung und pastoralen Praxis. (Redaktion)

http://www.pilger-speyer.de/nachrichten/aus-dem-bistum/article/vorbild-pastorales-modell-von-poitiers/

Zuletzt geändert am 03­.11.2012