9.11.2012 - Donaukurier

"Der Spalter-Papst"

Ingolstadt/Rom (DK) Ausgesprochen kritisch setzt sich der italienische Journalist Marco Politi mit Papst Benedikt XVI. auseinander. Am 28. November erscheint sein Buch „Benedikt – Krise eines Pontifikats“ im Rotbuch Verlag. Persönlich allerdings schätzt er den Papst aus Deutschland sehr. Mit Politi sprach unser Redakteur Christian Fahn.

Sie nennen den Papst einen Spalter. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung. In Bayern gilt er eher als leutselig und zugänglich.

Marco Politi: Ich glaube, persönlich ist Papst Benedikt XVI. ein sehr feinfühliger, tiefdenkender, liebenswürdiger und humorvoller Mensch. Er hört gerne zu. Als Beobachter sehe ich ihn aber als Spalter, weil die öffentliche katholische Meinung sehr gespalten ist in Bezug auf seine Person. Natürlich stehen viele Gläubige hinter ihrem Papst, andererseits sind viele nicht damit einverstanden, wie er die Kirche führt. Ratzinger ist ein toller Prediger, Theologe und Intellektueller, aber er ist eben keine echte kirchenpolitische Führungsfigur. So kritisieren viele Katholiken Benedikts nachgiebige Haltung gegenüber der Piusbrüderschaft, die Gleichstellung des alten tridentinischen Messritus mit der aktuellen nachkonziliaren Messe. Zudem haben viele Gläubige das Gefühl, dass der Papst die großen Neuigkeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht weiterentwickeln will. Denn in der Kirche steht das Konzil auch für die Offenheit gegenüber Juden und Muslimen. Mit denen hat sich Benedikt aber, wenn auch ungewollt, auf einen Konfrontationskurs begeben. Und das sind nur einige der Krisen, die er heraufbeschworen hat. So viele Krisen gab es unter keinem anderen Papst in den vergangenen 100 Jahren.

Zu den Krisen gehört auch Vatileaks. Zuvor war es dem Vatikan meist gelungen, Skandale unter der Decke zu halten. Diesmal nicht. Was ist anders?

Politi: Noch nie zuvor gab es so viele Einblicke in die Spannungen innerhalb der Kurie. Zudem waren es erstmals Kreise aus dem Vatikan, die die entsprechenden Informationen bewusst an die Öffentlichkeit gebracht haben. Im Zentrum steht die Kritik an der Arbeit von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, der Nummer zwei im Vatikan. Der torpediert alle Versuche, im Kirchenstaat mehr Transparenz zu schaffen. Da ist zum Beispiel der Fall von Kardinal Carlo Maria Vigano. Nachdem er offen Korruption im Vatikan angeprangert hatte, wurde er auf Betreiben Bertones nach Washington abgeschoben.

Spielt in diesem Zusammenhang auch der Skandal um die vatikanische Bank eine Rolle?

Politi: Ja. Hier hat der Papst vor zwei Jahren ein Dekret erlassen, mit dem eine Instanz zur Schaffung von Transparenz in der Bank geschaffen werden sollte. Acht Monate später tauchte ein neues Dekret auf, das wohl Bertone initiiert hatte. Danach muss diese Kontrollinstanz jedes Mal die Erlaubnis im Büro Bertones einholen, wenn sie Einsicht in Bankunterlagen nehmen will. Zudem wurde der Bankchef, der sich ebenfalls für mehr Transparenz ausgesprochen hatte, abgesetzt. Wie wir wissen, war die Bank in die Verteilung von Schmiergeldern in der italienischen Politik und in Mafia-Geschäfte verwickelt. Das haben Richter öffentlich bestätigt.

Wie lange ist Bertone unter diesen Umständen noch zu halten?

Politi: Bertone ist als Ratzingers rechte Hand bei der Glaubenskongregation zu einem engen Vertrauten des heutigen Papstes geworden. Auch wenn Benedikt nicht immer einverstanden ist mit dem, was Bertone sagt. Der Kardinal wird im Dezember 78 Jahre alt. Das wäre so ein Moment, um einen neuen Kardinalssekretär zu bekommen. Es gibt viele Stimmen im Kardinalskollegium, die einen Wechsel befürworten, darunter viele, die den Papst unterstützen.

Wie beurteilen Sie die Berufung des Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller an die Spitze der Glaubenskongregation?

Politi: Benedikt wollte wieder einen tatkräftigen Chef der Glaubenskongregation haben, die er selbst so lange geleitet hat. Sein Nachfolger Kardinal William Levada blieb eher farblos. Selbst als der Missbrauchsskandal die Kirche erschütterte, trat er nicht vor die Presse. Bei Müller ist das anders. Schon beim Amtsantritt hat er zum Beispiel wissen lassen, dass er zu keinen weiteren Zugeständnissen an die Piusbruderschaft bereit ist.

Der 85-jährige Benedikt hat zuletzt sehr gebrechlich gewirkt.

Politi: Der Papst wirkt sehr oft erschöpft. Aber Benedikt kann sehr gut mit seinen Kräften haushalten. Es könnte sehr gut sein, dass er zu einer Art Adenauer-Figur wird, die noch lange regiert. Andererseits hat er ja schon bei seinem Amtsantritt als erster Papst der Moderne gesagt, dass er es für möglich hält, dass sich ein Papst aus physischen, geistigen oder psychologischen Gründen vom Amt zurückzieht.

Haben im Vatikan bereits die Nachfolgediskussionen begonnen?

Politi: In Rom zirkulieren immer wieder Vermutungen, wer zum Zug kommen wird. Man muss sagen, dass nach Vatileaks, wo vor allem italienischen Kardinäle eine Rolle spielen, die Chancen eines Papstes aus Italien deutlich gesunken sind. Gehandelt wird zum Beispiel der kanadische Kardinal Marc Ouellet. Er hat sich als Seelsorger bewährt, ist als Chef der Bischofskongregation mit dem vatikanischen Machtgefüge vertraut und kennt aus seiner Arbeit Lateinamerika sehr gut, wo etwa die Hälfte aller Katholiken lebt.

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Zuletzt geändert am 11­.11.2012